Zur 'Tiefenstruktur' des deutschen 'Rechtsrucks'

Mein spontaner Gedanke beim Betrachten dieses Bildes:

Die/Wir sind einfach überfressen/übersättigt/vollgestopft: „Schnauze VOLL“, „Faxen DICKE“, „(Körper)grenzen DICHT“ - symbolisch zu verstehen.

Klingt natürlich erst mal lächerlich, aber wenn das als „orale Thematik“ im Sinne der Tiefenpsychologie verstanden wird, wirds durchaus gehaltvoll. Zum Beispiel zeigt das die kindische ‚Unreife‘ der rechten Plärrerei, rahmt andererseits aber auch deren Protest als einen (unreifen) Protest gegen Mangel an Autonomie und gegen Zwangsbeglückung. Dass die gegenwärtige und gefühlt-ewige oberste Herrscherin „Mutti“ genannt wird, ist in dem Zusammenhang ein besonderer Witz der Weltgeschichte.

Ideen dazu?

Gruß
F.

Quelle des Bildes: Christian Thiel/Imago

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MIt dem Ansatz kann ich sehr viel anfangen.

Hinzuzufügen wäre noch diese auffällige Sorge, dass es irgendwie nicht reichen könnte, nicht genug da ist. Angeblich. Das ist ja häufig die Prämisse all dieser „Sorgen“.
Eine Mangelthematik. Eine Mischung aus Mangel und Bedrohung.

Man könnte auch sozialpsychologisch ansetzen und sich die Schatten des unbegrnezten Wachtums, des Kapitalismus angucken, der quantitativ quasi ohne jedes limit ist aber gleichzeitig alles Lebendige funktionalisiert und somit seines lebendigen Kerns, seiner Seele beraubt. Dann reicht´s nie, ein circulus vitiosus.

Man könnte da jetzt richtig tief einsteigen, aber ist diese Forum der richtige Ort dafür?

Alexander Freiherr von Humboldt

Die fehlende Neugierde auf das Andere, auf die Anderen, auf das Unbekannte, ist für mich ursächlich für die Vorbehalte der Leute gegenüber allem, was das gewohnte Umfeld „stört“.
Wer wie ich in seinem Leben viel in der Welt herumgekommen ist, lernt mit Kulturen, Lebens- und Denkweisen umzugehen, spricht mit den Leuten, schaut wie sie leben, probiert mal Gerichte, die man nicht kennt, usw.
Man müsste vielleicht die eigene Kultur überdenken, man würde vielleicht auch seine Definition von „Heimat“ berichtigen, man könnte vielleicht nachvollziehen , warum noch heute viele lieber in Pfahlbauten leben, statt sich in Hochhauswohnungen unterbringen zu lassen.
Auf jeden Fall würde man kritischer mit der eigenen Lebensweise umgehen, wenn man feststellt, dass auch die Frauen in ihren „Stoffgefängnissen“ oft sehr zufrieden sind.

trifft es recht gut. Man lässt die Deutschen abstimmen über die Zusammensetzung der Verwaltungsräte von Rentenversicherungen und Kirchenvorständen, nicht aber über die wirklich wichtigen politischen Fragen. Daneben: Überdruss gegen die falschen, ablenkenden und geradezu dummen Fragen, mit denen Quarkshows und „Diskussionsrunden“ aufwarten.

„Rechts“ sind diese Bewegungen vielleicht insofern, als sie sich gegen (übermäßige) Zuwanderung richten. Daneben haben sie aber auch andere, emanzipatorische Bestrebungen, die man auch als „links“ ansehen kann: gegen Parteienstaat, bevormundende Obrigkeit, Filzokratie, für direkte Demokratie. Ich kann aber mit diesem rechts-links-Schema immer weniger anfangen.

Freundliche Grüße

myrtillus

Richtig, das ist ein und derselbe orale Themenkreis: Übersättigung und Angst, dass zu wenig da ist.

Nein, so tief will ich gar nicht einsteigen, egal in welchem Forum.
Ich fands spannend, dass bei dem Bild so viele (orale) Übersättigungs-Aspekte vorgebracht werden, und das im Diskurs auch ansatzweise reflexiv wird, wie etwa beim Gebrauch des Begriffs der „Zwangsbeglückung“, der von rechts gegen Merkel/Rot/Grün ständig vorgebracht wird.

Gruß
F.

Um im Bild zu bleiben: man tut dies, wenn man nicht übersättigt und vollgestopft ist. Symbolisch verstanden. Es geht nicht unmittelbar ums „Fressen“, sondern z.B. darum, dass heute ein Lebenslauf unbedingt lückenlos sein muss. Da geht sich vielleicht ein durchstrukturiertes Auslandssemester aus, aber dieses Herumprobieren und Fremdes Kennenlernen schwerlich.

Gruß
F.

Wobei ich auf mein „unreif“, das diesem Satz unmittelbar vorherging, bestehe. Deshalb …

… erscheint mir dein Aspekt völlig richtig, aber das vermeintliche Gegengift „Volksabstimmungen“ (für die FPÖ seit Jahrzehnten quasi das Allheilmittel) völlig falsch, weil genauso „unreif“. Ein Gift durch ein anders Gift ersetzt.

Richtig, ein ganz wichtiger Aspekt der „Vollstopfung“ in diesem Zusammenhang.
Aber auch hier finde ich es „unreif“, mit einer totalen Abwertung der Medien („Lügenpresse“) zu reagieren anstatt mir einer „reifen“ Kritik, die Ambivalenzen beinhaltet und Differenzierungen, wie das etwas die traditionell-„linke“ Rhetorik der „Kulturindustrie“ tat, die auf sehr Ähnliches abgezielt hat wie die Lügenpresse-Rhetorik.

(Womit ich jetzt keinesfalls allgemein links=reif, rechts=unreif behaupten möchte und überhaupt, da gebe ich dir völlig recht, das links-rechts-Schema schwierig ist)

Gruß
F.

Weil das,was Du Übersättigung nennst, das „Falsche“ ist, Surrogat.
Und von dem, was so dringend gebraucht wird, ist tatsächlich viel zu wenig da.
Individuell sehr häufig, und das System ist so aufgebaut.
Was rede ich, Fromm hat es kürzer formuliert:
Haben oder Sein.

Auf der oralen Ebene: Vollgestopft werden mit dem Fläschchen., dabei aber nicht wirklich gehalten werden.Ich meine gehalten im ganz tiefen Sinne.

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Hi,

war ganz klein geschrieben und in Klammern …

Wenn du Volksabstimmungen für falsch hältst, was wäre denn das richtige Gegengift? Ich fände Volksabstimmungen oder vielleicht auch andere Elemente der direkten Demokratie gut als Gegengewicht gegen die Parteiprogramme, die oft ohne sachliche Notwendigkeit bestimmte Dinge miteinander kombinieren. Was die Kriegseinsätze im Ausland anbelangt sympathisiere ich mit der Linkspartei, aber mit ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik bin ich nicht uneingeschränkt einverstanden. Durch Volksentscheide in Sachfragen könnte man hier vielleicht etwas Ordnung einbringen und Dinge trennen, die in den Parteiprogrammen ohne Not kombiniert sind. Jedenfalls würde ich gerne bei den Kriegseinsätzen der Bundeswehr im Ausland der Bevölkerung ein Vetorecht einräumen.

Das viel gescholtene Wort „Lügenpresse“ finde ich selbst auch nicht treffend. Ich beobachte nur (stärker als früher) Kritiklosigkeit in den Massenmedien gegenüber der Regierung und den etablierten Parteien auf Bundesebene, noch stärker auf Gemeindeebene gegenüber der „kommunalen Obrigkeit“ (hauptamtliche Bügermeister, Landräte, Amtsleiter etc.). Irgendwie scheint der „journalistische Biss“ abhanden gekommen zu sein.

Ganz besonders nervt der ÖRR. Den dürfen die Deutschen durch ihre Beiträge alimentieren, angeblich damit er nicht zum Staatsfunk wird. In den Rundfunkräten aber haben die Vertreter des Staates, der Parteien, Kirchen etc. das Sagen. Und das macht sich dann eben doch in Alternativlosigkeit, bedenklicher Staatsnähe und Kritiklosigkeit merkbar.

Aber es gibt auch Positives: Dass die Leute überhaupt auf die Straße gehen, von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen und ihr Anliegen gemeinsam vertreten, ist immerhin ein Fortschritt.

FG myrtillus

Die Wichtigkeit eines Gegengewichts sehe ich auch.
Auf lokalen Ebenen können das direktdemokratische Elemente schon leisten, auf großen Ebenen m.E. nicht, weil die Abstimmungen a) viel zu sehr emotionalisiert werden, b) der Ausgang der Abstimmung nicht wenig von den ankreuzbaren Alternativen und deren Formulierungen abhängt (die wiederum in irgendwelchen Hinterzimmer ausgeklüngelt werden) und c) zu leicht „gekauft“ werden gekönen (über den ökonomischen Einfluss auf die Massenmedien).
Da sind m.E. Überlegungen wie das „Bürgerparlament“, also Elemente aleatorisch-partizipativer Demokratie weit sinnvoller, wenn es darum geht, den „einfachen Bürger“ an der Politik zu beteiligen. V.a. wird der „einfache Bürger“ da als einer beteiligt, der mit anderen argumentiert und echten Dialog führt, und nicht als einer, der seine Wut bloß in ein simples Kreuzchen umsetzt.

Das ist richtig.
Andererseits findet sich journalistische Qualität halt unleugbar dennoch eher bei ARD und ZDF (und ihren vielen kleinen Sendern) als bei RTL, SAT 1 und Pro 7.

Gruß
F.

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Das gerade bei den abgebildeten Demonstranten zu vermuten…

Ist nicht gerade das historisch einzigartige Experiment, eine monoethnische, monokulturelle Demokratie in eine multiethnische zu verwandeln (Zitat des Politikwissenschaftlers Yascha Mounk in den Tagesthemen) ein Zeichen für eine solche Übersättigung?

Hast du mal überlegt, was heutzutage der absolut einfachste Weg ist? Geht man ein Risiko ein, wenn man - wie Kirchenvertreter, sieben Achtel der Bundestagsabgeordneten, die meisten Hochschulprofessoren, die meisten Bosse der großen Unternehmen usw. es fordern - für den einfachen Weg ist, die Grenzen offen zu halten und alles auf das noch nie gelungene Experiment zu setzen, hunderttausende kulturfremde Zuwanderer zu integrieren? Oder eher, wenn man sich dagegen ausspricht?

Dort Saturiertheit zu vermuten, wenn es an anderer Stelle als Teil der persönlichen Selbstverwirklichung der wohlhabenden, grün-wählenden Mittelschicht gesehen wird, dem zur Symbolfigur stilisierten Migranten beiseite zu stehen, halte ich für einen wenig überzeugenden Ansatz.

Schade, dass Miosga in der Stelle nicht nachfragt, was Mounk mit dieser Aussage gemeint hat.
Für mich ist es nicht unmittelbar nachvollziehbar, welches Deutschland je „monoethnisch“ gewesen sein soll. Vielleicht bin ich auch nur zu bayerisch dafür (der sowies alles nördlich von Ingolstadt nicht zur eigenen Ethnie zählt) oder zu jung (der ich in den 80ern und 90ern wie selbstverständlich inmitten vieler Süd- und Südosteuropäer sowie muslimischer Vorderasiaten, hier aufgewachsen bin).

„Saturiertheit“ ist etwas anders als die „Übersättigung“, die ich gemeint habe.
Zahira und Myrtillus haben mich da schon richtig verstanden.

Gruß
F.

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Damit drückst du dein Unverständnis darüber aus, wenn jemand - sei es nun ein Befürworter oder ein Gegner ethnopluralistischer Ansätze - einen Staat als Heimstätte eines Volkes, das durch eine gemeinsame kulturelle Identität geprägt ist, ansieht.

Vielleicht liegt in dem Unverständnis der Grund darin, dass du tiefenpsychologische Erklärungen suchst für die von dir gezeigten Demonstranten. Für einen anderen ist es legitimer Teil des Meinungsspektrums, dass man Vorbehalte gegen eine politische Entwicklung artikuliert, die wir kaum beherrschen werden und der man nicht mit dem Argument begegnen kann, dass es innerhalb der Nation unterschiedliche regionale Sub-Identitäten gibt (welche ich durchaus ebenfalls kenne, da ich in einem Bindestrich-Stadtteil aufwuchs und sogar felsenfest die Straße benennen kann, die meiner nach die Grenze zwischen uns und den anderen darstellt, obwohl ein Außenstehender wahrscheinlich keinerlei Unterschied zwischen beiden Orten erkennen würde).

Und vielleicht liegt in meinem Unverständnis für relativ zweifelhafte tiefenpsychologische Erklärungsversuche in dafür komplett ungeeigneter Umgebung auch der Grund dafür, dass ich deine Gedankensplitter nicht zuordnen kann. Doch bloß, weil man etwas nicht kennt, sollte man es nicht ablehnen oder irgendetwas böses vermuten: „Rechts“ ist ein Pfui-Wort in diesem Land – irgendwo in der Nähe von „Kinderschänder“ angesiedelt. Das ist eine deutsche Besonderheit. Right in den Anglo-Ländern, Droite in den frankofonen enthalten keine emotionale Ladung; diese Begriffe stehen für legitime Parteien im demokratischen Spektrum.

Yo. Erstens lassen sich Beispiele finden, in denen Klima"aktivisten" sowie ihre Gegenspieler, die Kohlearbeiter, die Schnauze vollzuhaben angaben (auf Demoschildern etc.) und ebenso Gewerkschaftler sowie Erwerbslose. Das ist demzufolge ein völlig gängiger Begriff.

Die Nase vollzuhaben, was das gleiche aussagt, würde Deinem Ansatz von oraler Thematik wohl widersprechen. Oder gibt es auch eine nasale Theorie? :smirk:

Faxen dicke hat einen ganz anderen Hintergrund https://gfds.de/herkunft-von-die-faxen-dicke-haben/

Und das „Körpergrenzen“ klingt schon extrem „bemüht“ bis aus der Nase gezogen.

Der Zweck einer Demo ist u,a, darauf hinzuweisen, dass man irgendeinen Zustand als Mißstand ansieht. Damit sind volle Schnauze und dicke Faxen per se vorprogrammiert.

Gruß
vdmaster

Ich sehe es ähnlich.

Für mich ist die herrschende Bürokratie die größte Gefahr für die Demokratie.
Gesetze und Vorschriften verlieren sich mittlerweile in einem unübersichtlichen Klein-Klein, von dem in täglichen Gebrauch der „kleine“ brave Bürger betroffen ist, während für Lobbyisten und Unternehmen mit passendem finanziellen Hintergrund aber andere Regelungen gelten.

Diskussionen über die großen Themen landen in intellektuellen Debatten, denen der normal denkende Mensch auch nicht immer folgen kann.

Es breitet sich ein wachsendes Ohnmachtsgefühl denen „da oben“ gegenüber aus…

Beatrix

Mir erschleßt sich allerdings nicht, warum sich die Wut dann gegen Flüchtlinge, Muslime und andere gesellschaftlich Schwache richtet.

:paw_prints:

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Du drückst dich darum zu sagen, wann genau es dieses ethnisch und kulturell einheitliche Deutschland gegeben haben soll.

:paw_prints:

Mir auch nicht wirklich.

Übertragung? Ohnmächtig gegenüber der Obrigkeit und unwissend, was man dagegen tun könnte, tut man das, was man tun kann, geht wenigstens gegen die Schwächeren vor - zumal diese gefühlt „von oben bevorzugt werden“.
Auch wenn man nichts „gegen Flüchtlinge hat“, stellt man sich trotzdem an die Seite dieser Bewegung, weil diese sich als Einzige sichtbar und scheinbar konsequent gegen „die da oben“ stellt.

Beatrix

Weil ich es etwas psychologisch verstehen will, heißt nicht, dass es illegitim wäre.
Ich fands halt des Nachdenkens wert, dass auf diesem Bild gleiche alle drei Plakate mit einer „oralen“ Metaphorik auftauchen. Wie bestimmte Schlagworte im Diskurs auch.

Übrigens missverstehst du mich, wenn du meinst, ich würde von einer „Tiefenstruktur“ der Rechten sprechen. Ich spreche von der „Tiefenstruktur“ der Gegenwartsgesellschaft, die den „Rechtsruck“ bedingt. Da finde ich so etwas wie ‚mit Konsum und Unterhaltungsberieselung vollstopfen‘, ‚klein und unmündig halten‘ usw. durchaus bedenkenswert und findet sich übrigens zentral auch als Erklärungansatz in „rechten“ Diskursen.

Der von dir ins Feld geführte Yascha Mounk spricht am Beginn des Interviews übrigens auch davon, wenn er den Aufstieg der AfD damit erklärt, dass den Bürgern seit einer Dekade nur Einheitsbrei (ode wie es v.a. Gysi immer nennt „Einheitssoße“; auch orale Metaphern) vorgesetzt wird. Das ist aber natürlich nur ein kleiner Teil der Erklärung, schon klar.

Gruß
F.

Es hat aber doch keiner behauptet, dass un-gängige Begriffe verwendet würden.
Es geht um die Analyse der verwendeten Metaphern.

Ich will jetzt nicht tiefenpsychologische Theorie ausbreiten, aber je nachdem wie „Nase voll“ konkret gemeint ist, wäre es dem oralen (als Über-/Untersättigung; Zwangszufuhr usw.) oder dem analen (als Nicht-Loswerden-Können, Nicht-Hergeben-Wollen, Popeln formen und auf andere schmeißen usw.) Themenkreis zuzuordnen.

Insofern wäre es tatsächlich relativ egal, ob da „Schnauze voll“ oder „Nase voll“ steht.

Nö.
Wo welche Metaphern verwendet werden, ist doch interessant.
Ein „Wir haben die Schnauze volll“" ist doch durchaus eine andersartige Form des Protests als „wir scheißen auf euch!“, wenn man auf die Feinheiten hören will. Gängig sind beide.

Du missversteht, dass es in dieser Denkweise nicht um die Herkunft oder Bedeutung von Begriffen geht, sondern einzig um den bildlich-assoziativen Gehalt der Begriffe. Dafür ist bei „Faxen dicke“ mit Sicherheit der dicke Faxe aus ‚Wickie‘ unendlich bedeutsamer, als die etymologische Tatsache, dass der Ausdruck irgendwie vom Namen Václav kommt.

Gruß
F.