Guten Morgen, Thomas,
belegt, daß Gewaltfilme langfristig einen gewaltsteigernden
Effekt auf die Konsumenten haben.das bestreite ich gar nicht, wenn ich die Betonung auf das
Wort „gewalt steigernd“ lege. Aber das ist keine
Ursachenerklärung.
der Konsum von Gewaltdarstellungen ist nicht die Ursache von Gewalt, wohl aber eine Ursache von Gewaltsteigerung. Wie erklärst Du Dir sonst die Tatsache, daß experimentelle Studien mit randomisierten Gruppen einen Unterschied in der Aggression und Gewalttätigkeit zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe fanden? Die Einschätzung und das Verbot mancher „Angebote“ als jugendgefährdend bzw. gewaltverherrlichend wird wohl auch auf solche Befunde zurückzuführen sein, meinst Du nicht?
Das Problem der Katharsis-Theorie ist nicht, daß sie völlig
falsch ist, sondern daß sie unvollständig ist (siehe mein
erstes Posting und s.o.)Weil sich Katharsis nicht empirisch fassen lässt?
Die Katharsis-Theorie läßt sich schon empirisch überprüfen, nämlich über die postulierten Konsequenzen. Die Auffassung, daß die Theorie unvollständig ist, bezieht sich darauf, daß sie nicht alle Konsequenzen des Konsums von Gewaltdarstellungen berücksichtigt. Für die kurzfristigen scheint sie zutreffend zu sein, bei den langfristigen sieht es nicht so aus. Das Betrachten von Gewalt mag nämlich kurzfristig dem Abbau von Spannungen dienen, aber langfristig setzt ein Lernprozeß ein (Beispiele: Lernpsychologen sprechen von Modellernen; Psychoanalytiker von Identifikation mit dem Angreifer). Natürlich ist dieser Prozeß wieder an Bedingungen geknüpft. Das Betrachten von Gewaltfilmen führt deshalb zu einer Steigerung der Gewaltbereitschaft und der manifesten Gewalt, weil die Bedingungen, unter denen ein gewaltsteigernder Effekt auftritt, bei Gewaltfilmen in der Regel erfüllt sind. Bei den Gewaltdarstellungen, über die wir hier sprechen, ist es gar keine Frage, daß die Bedingungen erfüllt sind.
Ich habe auch einmal eine Studie gelesen, wonach z. B. der
Konsum von Gewalt unter Bildungsbürgern höher ist, wenn ein
pornographischer Aspekt hinzukommt.In Prozentzahlen oder absolut?
Absolut geht ja gar nicht, weil es weniger Bildungsbürger
gibt,
Meistens werden doch Stichproben erhoben, Thomas.
Beispiel zweier Zufallsstichproben aus der Population der Bildungsbürger und einer anderen Bevölkerungsgruppe
Bildungsbürger
Gewalt mit Pornographie: 40 (40%)
Gewalt ohne Pornographie: 50 (50%)
keine Gewalt: 10 (10%)
andere Bevölkerungsgruppe:
Gewalt mit Pornographie: 35 (44,9%)
Gewalt ohne Pornographie: 35 (44,9%)
keine Gewalt: 8 (10,3%)
Man sieht: Wenn man nur die absoluten Zahlen vergleicht, dann konsumieren die Bildungsbüger mehr Gewalt mit Pornographie als die andere Bevölkerungsgruppe. Prozentual gesehen konsumieren sie aber weniger. Der Effekt kommt durch die Vernachlässigung der Stichprobengröße zustande: Es wurden etwas mehr Bildungsbürger untersucht als Personen der anderen Bevölkerungsgruppe. Solche Interpretationsfehler kommen in der Praxis durchaus vor und natürlich häufiger bei Statistikunkundigen.
das bedeutet immer noch
nicht, dass ich jeder Studie glauben muss, weil da ja auch
andere Dinge - wie etwa die politische Einstellung - z. B.
eine Rolle spielen können, wenn man etwa betrachtet, was denn
nun statistisch bewiesen werden soll.
Es geht ja nicht um „glauben“, sondern um das richtige Interpretieren und Bewerten von Forschungsbefunden. Wenn sachfremde Erwägungen eine Rolle spielen, dann kann man nicht mehr von richtig interpretieren und bewerten sprechen. „Richtig bewerten“ meint hier nicht aus Sicht einer inhaltlichen Theorie, sondern aus Sicht der Statistik und Forschungsmethodik. Bei dem obigen Beispiel ist aus Sicht der Forschungsmethodik / Statistik erst einmal nichts problematisch, falsch ist jedoch die Nichtberücksichtigung der ungleichen Stichprobengrößen bei der Interpretation. Jetzt müßte man noch einen inferenzstatistischen Test machen und dann wird man wahrscheinlich herausbekommen, daß sich die dazugehörigen Populationen überhaupt nicht unterscheiden, was die erhobene Größe anbelangt.
Ja, das kann sein, aber wenn wir jetzt über PISA diskutieren,
wo du - wie ich weiß - selbst mitgearbeitet hast, dann können
wir gleich aufhören, weil wir uns wieder streiten werden. Ich
kenne natürlich nicht alle gestellten Fragen, aber die, die
ich gelesen habe, lassen mich zumindest anzweifeln, ob es
sinnvoll ist, hier von „Bildung“ zu sprechen. Aber das wäre
eben wieder eine ganz andere Frage.
Genau, und weil wir uns nicht streiten wollen, lassen wir es lieber
All in all: Wieder viel zu viel über eigentlich sonnenklare Dinge diskutiert. Es ging mir in meinem knappen ersten Posting einzig darum, daß Du mit Deinem „Nein, das ist falsch!“ etwas zu hart mit Maltes Position ins Gericht gegangen bist und ein paar Dinge bei Deiner Verteidigung des Konsums von Gewaltdarstellungen nicht berücksichtigt hast.
Beste Grüße,
Oliver Walter