H wie Hola.
Tja, hier prallen die diametralen Weltbilder aufeinander.
Ich kenne die DDR-Kinderkrippe und den DDR-Kindergarten,
sowie die Unterstufe der Einheitsschule(*) noch aus eigener Erfahrung.
Was mir an diesem DDR-Brei so völlig fehlt, ist die Förderung
der Individualität.
Erstens ist das kein „Brei“. Jener „Brei“ war 1960 schon pädagogisch wie erziehungswissenschaftlich fortgeschrittener, wie sämtliche Kindergärten der Bundesrepublik heute.
(Einschließlich der ostdeutschen, die 1990 die neuen Sichtweisen
übergestülpt bekamen.)
Was Du bemängelst, hat es als Mangel in der Praxis überhaupt so gut wie gar nicht gegeben.
Es ist natürlich nicht in Abrede zu stellen, daß es hier und da echte
Parteisoldaten gab, oder Biester von einer Erzieherin.
Solche fehlgeleiteten Exemplare sind heute allerdings um mehrere Größenordnungen häufiger anzutreffen.
Über alles gesehen wurde man jedoch in keinster Weise dem Zerrbild der vielbeschworenen „Gehirnwäsche“ oder „scharfen Indoktrination“ unterzogen. Was man manchmal so hört oder von westdeutschen Mitbürgern als Lesestoff vorgesetzt bekommt, um Himmels Willen, da hätte es Gleichschaltung wie zu Hitlers Zeiten gegeben, oder wir hätten in einer Tour Soldatenlieder und Militärmärsche zum Besten gegeben, oder wir hätten andauernd den Genossen Honecker ausgeschnitten, ausgemalt und aufgeklebt.
Ein einziges Mal kam ich im Kindergarten mit der NVA in Berühung,
und das war kurz bevor ich 6 Jahre alt wurde. Wir fuhren als Exkursion in die hiesige Kaserne und durften uns die Militärtechnik aus der Nähe anschauen und mit den Soldaten sprechen.
Das war für uns Jungen natürlich richtig toll!
Als technikbegeisterter Junge in einem russischen T-86 sitzen -
hrr hrr hrr hrr.
Mehr war’s dann aber auch nicht.
Ich habe zu DDR-Zeiten mit anSicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einer bessere Kindheit verlebt, als die die allermeisten Kinder heute.
Um uns kümmerte man sich intellektuell wie sozial mit unglaublichem Wohlwollen. Und selbstverfreilich ging das Individuum nicht unter im Kollektiv, sondern wurde einfach nicht so nervig überbetont wie heute.
Gutes gemeinschaftliches Funktionieren ist nunmal ein kollektiver Akt,
nur hat es die DDR in den späteren Lebensphasen der Menschen bis zum Schluß nicht verstanden, bestimmte Rechte des einzelnen zu schützen.
Doch sonst war der Umgang mit uns Kindern und auch untereinander Lichtjahre dem überlegen, was man aktuell gesellschaftlich überall beobachten darf.
Das Prinzip des gemeinschaftlichen Lernens war eine der Hauptgrundlagen der zehnklassigen Einheitsschule.(*)
Es war auch das entscheidende Regulativ gegen Niveauabsturz in der Einheitsschule, vorallem in der Unterstufe (Klasse 1 bis 4).
Denn nicht nur, daß die Kinder wesentlich höher gebildet in die Schule kamen als heutzutage, und daß man sich andererseits einer modernen, straffen Pädagogik und intensiver Wissensvermittlung bediente, die Guten wurden außerdem immer wieder für das Kollektiv eingespannt, kümmerten sich um die anderen, übten mit den anderen, wiederholten den Stoff und lernten zusammen mit den mäßigen Schülern.
(Es gab freilich noch mehr Mechanismen in der Einheitsschule,
um das Niveau überdurchschnittlich zu halten.)
Deswegen rate ich dringend davon ab, ideologische Scheuklappen hochzuziehen und sofort in die Schublade mit den Klischees vom
genormten Einheitsbrei
zu sprechen.
Und dann auch noch ohne überhaupt zu wissen, womit man es zu tun hat.
Außerhalb der Gemeinschaft also nicht?
Es gab kein außerhalb der Gemeinschaft im Kindergarten.
Warum keine individuelle Förderung um die Fähigkeiten
und Kräfte zu steigern?
Ist das jetzt Dummheit oder Polemik?
Warum denn nur darauf?
Ist das jetzt Dummheit oder Polemik?
Versuche das mal in Duisburg-Marxloh *g*
Ist das jetzt Dummheit oder Polemik?
Du verkennst entschieden den machtvollen Apparat, den eine pädagogische Förderung von Kindesbeinen an eröffnet.
Gerade ein Bildungssystem wie in der DDR hätte überhaupt keine
Sorgen mit Ausländern gehabt. Nichts leichter als das.
Hätte es einen nennenswerten Anteil ausländischer Mitbürger gegeben,
wären die Bildungsinstitutionen der Vorstufe für die betreffenden Leute einfach zur Pflicht erhoben worden, damit die Chancengleichheit wieder stimmt.
Du ziehst hier über ein System her, was Du nicht im Ansatz erlebt hast,
was Du nicht im Ansatz überblickst, und was erfolgteich in unzählige Staaten außerhalb der DDR exportiert worden ist.
(Schau nach Skandinavien, dort werden jede Menge Ideen des zweiten Deutschlands heute noch mit großem Erfolg praktiziert.)
…die völlig an der Individualität eines fertigen
einzigartigen Geschöpfes vorbei gehen.
Falsch. Es ist bloße Propaganda, das hier irgendetwas an der „Individualität“ vorbeiging.
Diese ideologisch motivierte Fehleinschätzung kann man tagtäglich in Kindergärten bewundern, in den die Kinder überhaupt nichts lernen, da alles freiheitlich sein muß; keine Regeln, keine Werte, keine Bildung, kein Sozialverhalten - nichts davon wird aktiv erzogen.
In einer solchen Atmosphäre profitieren nur die wenigen Kinder, die vom Naturell so veranlagt sind, derartige Defizite in Sozialisation und intellektueller Beschäftigung gut auszugleichen.
An einem ähnlich eklatanten Problem frißt sich übrigens momentan der offene Unterricht fest. Mehr und mehr Studien halten fest: Freier Unterricht hilft nur den Kindern, die bereits alle notwendigen sozialen Grundlagen mitbringen und vor allem intelligent sind.
Dagegen führt das Max-Planck-Institut seit Jahren die Beobachtungen an, daß ein lehrerzentrierter, straff und diszipliniert geführerter Unterricht mit geschicktem pädagogischem Ausgleich des Leistungsgefälles deutlich überlegen ist.
Exakt also die Pädagogik, die die DDR maßgeblich erfunden und pädagogikwissenschaftlich Mitte der 60er fortzuentwickeln begann.
(In Finnland herrscht übrigens allergrößtenteils auch Frontalunterricht, wie man es damals von der DDR gelernt hat; mündliche Zensuren sind defacto nicht existent; Leistungen sind schriftlich zu erbringen.)
Also komm von diesem individualistischem Wahn herunter.
Ich kenne keinen Ex-DDR-Bürger in meinem Alter, den ich in seinem individuellen Verhalten als gestört bezeichnen müßte.
Im Gegenteil, durch die Erziehung, wie wir uns positiv im Kollektiv bewegen konnten, erlangte man eine recht hohe Selbständigkeit.
Tischdienst, Blumendienst, Essen holen zu den festen Mahlzeiten, später dann der Tafeldienst, Schlafbereitschaft herstellen zum pflichtmäßigen Mittagsschlaf, das eigenverantwortliche Aufräumen von Sachen, mit denen man gespielt hat. All das machte schon in sehr jungen Jahren selbständig - und das merke bei mir bis heute in punkto ordentlich den Haushalt schmeißen, die Wohnung in Ordnung halten
Ich bin immer wieder schockiert, wenn ich erlebe, wie unselbständig z.B. 12jährige Jungen sind im Westen, und wie groß die Unselbständigkeit und der Mangel zum eigenverantwortlichen, freiheitlichen Handeln bei Kindern allgemein ausgeprägt ist.
(Hier spielt auch das traditionelle Hausfrauendasein in den Alten
Ländern hinein gekoppelt an krankhafte Überbemutterung, während in
den heutigen Neuen Ländern ja kinderreiche, oft akademisch hoch
gebildete, voll werktätige Mütter die Regel waren.)
Hauptsächlich mit dem großen Mund können die Kinder heute alles, aber wehe, sie sollen ihres Alters gemäß dann Taten folgen lassen.
…und werden so völlig der Fähigkeit beraubt, auf besondere
Situationen besonders einzugehen
Das waren ausnahmslos studierte Pädagogen. Und selbstverfreilich konnte auf alle erdenklichen Situationen reagiert werden.
Du verrennst Dich zusehends in Vorurteilen und Hasch-mich-ich-bin-der-Frühling-Vorstellungen der ideologischen Indoktrination, die den Westkindern offenbar zuteil wurde.
Und wenn die Eltern so gar keinen Wert darauf legen, dass sich
die Erzieherinnen weiter in die Erziehung der Kinder
einmischen, als es ein Kindergarten machen sollte?
Unmöglich.
Die Eltern waren vom Gesetz her verpflichtet, die Kinder anständig zu erziehen.
Ebenso waren alle gesellschaftlich an der Bildung und Erziehung der Kinder beteiligten Kräfte zur gegenseitigen Zusammenarbeit verpflichtet; Lehrer hatten die Pflicht, mit den Eltern zusammenzuarbeiten, Eltern hatten die Pflicht, mit den Lehrern zusammenzuarbeiten.
Da der Kindergarten, wie auch die Kinderkrippe(**), bereits zum Bildungssystem zählte, und weil ein zentrales Prinzip des Bildungswesens die Einheit von Erziehung und Bildung war, war der Kindergarten automatisch eine Erziehungseinrichtung.
Woraus sofort folgt, daß die verantwortlichen Pädagogen in Abwesenheit der Eltern vergleichbare Befugnisse genossen.
Zudem herrschte in der Regel erhebliches Vertrauen zwischen den Eltern und den Kindergärtnerinnen, so daß sich jeder über die eigenen Grenzen im Klaren war.
Übrigens übersiehst Du ein Detail: Der Kindergarten war in der DDR bis auf das pflichtmäßige Vorschuljahr völlig fakultativ.
Niemand mußte per Gesetz sein Kind in die Kinderkrippe oder den Kindergarten bringen.
Demzufolge haben Eltern, die aus irgendwelchen Gründen die 1. Stufe der Einheitsschule meiden wollten, das Kind erst gar nicht in den Kindergarten gebracht.
Daran sieht man schön, daß Du nicht im entferntesten eine Ahnung hast,
worüber Du eigentlich sprichst, und wogegen Du eigentlich polemisierst.
Das halte ich für zu spät und vom Ansatz her falsch.
Es hat sich jahrzehntelang bewährt.
Des weiteren ist natürlich hinzuzusetzen, daß auf Grund des BEP (Bildungs- und Erziehungsplan) defacto von Anfang an Vorschule herrschte.
Die explizite Vorschule, die alternativ auch an Lernnachmittagen erfolgen konnte, garantierte, daß ALLE Kinder, eben auch die, die sonst nicht in den Kindergarten gingen, ein Mindestmaß an intellektueller wie sozialer Förderung genossen.
Für die Kinder, die regulär den Kindergarten besuchten, war das also nicht von Belang.
Außerdem:
Zum Beispiel lernte ich mit dem Übertritt von der Krippe ab dem Alter von 3 Jahren Englisch, da das mein Kindergarten eben angeboten hat.
Einheitsschule heißt nicht, daß alles präzise in 100%igen Plänen
generalstabsmäßig im absoluten Gleichtakt aufgeht, sondern es gab in der Praxis immer einen gewissen Spielraum.
Allerdings vergleichsweise gering und eher nach oben hin, d.h. vom Niveau her war das „Planüberfüllung“, denn nach unten konnte man nicht ausweichen, da dort die absolut verbindlichen Vorgaben einer Unterschreitung den Riegel vorschoben.
Der genannte Spielraum wurde sogar ministeriell „geplant“, so ist bspw. im Lehrplan der Erweiterten zwölfklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (EOS) für die Lehrer eine bestimmte Wochenanzahl eingeräumt, die für Wiederholung, Festigung, Vertiefung oder eigenverantwortliche Sonderinteressen zugestanden war.
Wie gesagt, hüte Dich vor Einschätzungen bei Dingen, die Du nicht überblickst, und bei denen Du nur den qualitativ fragwürdigen „westlichen“ Weg kennst.
Grüße und anhaltendes schönes Wetter
D Ing
(*) Hinweis zu „Einheitsschule“ :
„Einheitsschule“ ist im allgemeinen nicht deckungsgleich
mit "Gemeinschaftsschule.
Sondern Einheitsschule bezieht sich genau genommen auf alle Stufen
des Bildungssystems, und nicht direkt nur auf die achtklassige oder
zehnklassige Schule, die ab dem 7. Lebensjahr zu besuchen ist.
Die Einheitsschule *als Schule* ist somit vom Begriff her ein Sonderfall
der Einheitsschule, die Synonym für *Einheitsschulsystem* in mehreren Ebenen verstanden wird.
Deswegen kann eine Gemeinschaftsschule niemals eine Einheitsschule sein, aber eine Einheitsschule ist mindestens eine Gemeinschaftsschule. Das heißt aber auch, wenn nicht eine echte Einheitsschule gemeint ist, sollte von Gemeinschaftsschule gesprochen werden.
(Und natürlich, weil Einheitsschule auf deutschem Boden automatisch nur die DDR meinen kann, da es hier ansonsten noch nie eine derartige Schulstruktur gab.)
(**) Ministeriell unterstanden die Kinderkrippen dem Gesundheitswesen, rangierten aber von der Bedeutung her in der Vorstufe der Einheitsschule.
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