Hallo,
Ich finde es irritierend, dass (nicht nur) Du anscheinend
glaubst gesellschaftliche und ethische Probleme seien einfach
juristisch zu lösen.
Das glaube ich natürlich nicht. Aber ich kritisiere, dass in öffentlichen Statements unserer Regierung nicht die rechtsstaatliche Sichtweise vertreten wird, sondern ein (möglicher) Verstoß gegen internationales Recht gut geheißen wird.
Man hätte sich problemlos neutral äußern können. Es gab keinen Zwang, die Tötungsaktion unter bisher unklaren Umständen zu begrüßen.
Natürlich kannst du das Problem juristisch betrachten, aber
daraus folgt dann zwingend weder eine Aussage über die
Grundlagen westlicher Zivilisation, noch über politische
Opportunität oder gesellschaftliche Akzeptanz.
Aber genau da liegt der Knackpunkt: jede Glaubwürdigkeit ist dahin wenn ein völkerrechtswidriges Vorgehen beklatscht wird.
Ich erwarte auch von der Bundeskanzlerin nicht, dass sie OBL’s Tod bedauert. Sie kann eine Tötungsaktion - noch dazu unter fragwürdigen völkerrechtlichen Umständen - aber auch nicht „mit Freude“ quittieren weil das allen Werten widerspricht, die wir ansonsten ständig vertreten und auf der ganzen Welt etablieren wollen.
Das eine Liquidation wie die von Bin Laden keine Zierde der
Kultur ist, und die Glaubwürdigkeit mindestens der Amerikaner
in manchen Gebieten der Erde nicht fördert sehe ich auch so
Und das ist der entscheidende Knackpunkt! Wenn wir bestimmte Werte vertreten können wir (d. h. die Bundeskanzlerin) nicht zugleich Statements abgeben, die einen Verstoß gegen Rechtsstaatlichkeit „gut heißen“ - nichts anderes bedeutet es ja wenn man Freude über die Tötungsaktion äußert.
(in vielen Ländern wird man aber auch gar kein Problem sehen,
weil man es genauso machen würde - wenn man könnte).
Ja, aber diesem Maßstab können wir uns nicht anpassen… Wir wollen doch, dass archaische Gesellschaften, Diktaturen und sonstige undemokratischen Gebilde Werte wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit usw. annehmen. Da können wir nicht sagen „OK, bei dieser Aktion haben wir es selber nicht genau damit genommen - aber in dem Fall heiligte der Zweck die Mittel.“ - Dann können sich andere auch auf diese Begründung berufen, die haben dann auch IMMER Gründe, warum es in deren Fall ebenso legitim und nötig war.
Aber
daraus folgt kein moralisch ethischer Kollaps wie Semjon
Michalowitsch ihn hier in Szene setzte.
Doch, im Grunde schon. Der Verlust von Glaubwürdigkeit macht sehr viel zunichte. Natürlich kann man sagen, dass dieses hier nur eine - sogar irgendwie verständliche - Einzelsituation war. Dass die dauerhaften und viel „größeren“ Ungereimtheiten (Guantanamo, der mit einer falschen Begründung initiierte Krieg gegen den Irak usw.) viel mehr Schaden anrichten. Allerdings: es richtet Schaden an! Wenn man nicht mehr glaubwürdig ist werden alle Bemühungen, anderswo irgendwelche Werte zu etablieren, ad absurdum geführt.
Unsere Glaubwürdigkeit wird m.E. durch ganz andere viel
alltäglicher Dinge grundsätzlich in Frage gestellt.
Klar. Nur wird dieser Fall nicht besser weil es anderswo auch schief geht. Es ist ein weiteres Fallbeispiel, das in Zukunft mit auf der Negativliste steht.
Gruß,
MecFleih