Hi Anja,
Märchen:
"Als die ältere weiß-blonde große Dame am Parkplatz der Seilbahn mit ihrem Auto ankam, öffnete sie voll Elan die Tür, nahm ihren Rucksack und den Krückstock heraus, schlug die Autotür mit voller Kraft zu und blickte zur Seilbahnstation, deren Gondeln nach oben zum Berg führten.
Mit hängenden Mundwinkeln spürte sie ihre Arthrose-Schmerzen in allen Gelenken, während sie die Menschentraube an der Seilbahnstation begutachtete.
Dann zogen sich ihre Mundwinkel nach oben, sie schwang den Rucksack auf den Rücken und schritt mit der Krücke voran. Sie ließ die Seilbahn-Talstation links liegen und schritt flott aus, immer dem Weg zu, der auf den Berg führte. Wiesen und Blumen, Gezwitscher und Rascheln im feuchten, grünen Gras, sie hörte, sie sah, sie ging langsam bergan.
Der gefällte Baum am Wegesrand lud zur Rast ein, sie mußte sich stärken, hatte auch alle dabei, Salami-, Käsebrote, Tomaten, Wasser, alles sauber in Folie und Geschirrtuch verpackt. Als sie sich auf dem Baumstamm niederließ war sie glücklich, es gab nichts schöneres als auf eigenen Beinen zu stehen und während die, jetzt im April schon warme Mittagssonne auf ihr Gesicht schien und sie die Augen schloß, hörte sie knirschende, langsame Schritte, die vom schmalen, weißen Schotterweg um die Ecke, herüberdrangen.
Wer schlurft wie ich durch Flur und Wald? Dachte sie sich. Dann kam ein Mensch um die Ecke, grauhaarig, aber mit noch vollem Haar, leicht gebeugt und sich auf seinen Krückstock aufstützend. Der Mensch, ein Mann, sah den Baumstamm auf dem sie saß und voll Glück sagte er: „Endlich, sitzen, darf ich?“
„Gerne“ sagte die ältere Dame. Als er sich niederließ und den schweren Rucksack vom Rücken nahm, konnte er seine gebeute Wirbelsäule wieder aufrichten. Es war ein großer Mann, im Sitzen war er sogar größer als sie, er flößte ihr Respekt ein, war er doch so mutig wie sie.
Er blickte auf ihre Salamibrote und das Wasser, zog dann den Reißverschluß seines Rucksacks auf und sagte: „Guten Appetit, ein schöner Tag heute, aber ich habe genau das, was ihnen noch fehlt“. Sie war gespannt. Es kam eine kleine Flasche Wein, eine frische Paprika und als Nachtisch ein Apfel zum Vorschein. „Sollen wir teilen?“ fragte er. Sie war fassungslos, wie das zusammenpaßte und richtete ihren Rücken voll Vorfreude auf. Gemeinsam schmeckte dieses Menue einfach köstlich!
Als sie gemeinsam den Weg nach oben fortsetzten, war ihnen klar, daß sie in Zukunft gemeinsam durch die Bergwelt schreiten würden.
Jetzt - endlich - nach den ganzen Jahren hatten sie sich gefunden.
Und sie waren glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.
Ein Märchen von Karin
(So wird es bei mir wohl auch sein, Hoffnung ist immer gut)