Moin Ralf
Wenn schon, dann
ist das eher so, als würde ein Jude, der sich mit viel
persönlichem Einsatz der Aufklärung antisemitischer Vorurteile
und der Würdigung des positiven Beitrags von Juden für die
Gesellschaft widmet, sein Erschrecken über einen
antisemitischen Stereotypen entsprechenden Juden äußern. Ich
fände das möglicherweise etwas naiv - aber sicher nicht zum
Lachen …
Nun, wir wissen aber numal alle, dass bereits ein entsprechender „Fall“ ausreicht, um Antisemiten oder meinetwegen auch Islamophobiker in ihrer Haltung zu bestärken, oder auch kein einziger Fall, wie das Beispiel von Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus in Gegenden beweist, in denen kein einziger Jude oder Ausländer lebt.
Wenn es sich - wonach es ganz ausschaut - nur um einen
dreisten Abzockversuch handelt, dann hat der mit Integration
sicher nichts zu tun. Der eigentliche Punkt aber, über den
diskutiert wird - nämlich ob die Mitarbeiterin eines
Bürgerbüros das Recht haben soll, ihrer Arbeit in einer Burka
nachzugehen - allerdings schon.
Dieser Punkt sollte meiner Meinung nach völlig unabhängig davon behandelt werden, ob es sich bei der Mitarbeiterin um eine mit oder ohne „Imigrationshintergrund“ handelt. Es ist nämlich bei dieser Frage völlig egal, ob die Dame nun Aishe oder Jacqueline heißt, Entscheidend ist hier, ob und wenn ja welche Kleiderordnung es bei Angestellten des Bürgeramts geben sollte.
Natürlich findet die
Integrationsdebatte auf dem Hintergrund einer
grundsätzlicheren statt - nämlich der Frage, wo in unserer
Gesellschaft den Grundrechten auf freie Entfaltung der
Persönlichkeit und auf freie Religionsausübung Schranken
gesetzt werden müssen, weil ihre Inanspruchnahme darüber
hinaus die Grundrechte Anderer verletzt. Das ist ein
gesellschaftlicher Konsens, der immer wieder neu verhandelt
werden muss und in diesem Aushandeln haben wir in Deutschland
einen Nachholbedarf.
Richtig, weil man nämlich ganz schnell ins Schleudern kommt bei dieser Frage. Schon allein die Definition, was denn nun wohl zu einer deutschen „Leitkultur“ dazu gehört und was nicht, war doch schon eine Posse. Da geben Zuwanderer doch ein viel schöneres weil klarer definierters Feindbild ab.
Und zwar wegen des kulturellen Wandels,
bei dem die Migration von Muslimen eine nicht unbedeutende
Rolle spielt. Selbstverständlich geht es dabei um Integration
- die Alternative wären Parallelgesellschaften und die
Entstehung einer Apartheid.
Parallelgesellschaften haben und hatten wir längst jede Menge in D. Ob diese ganzen verschiedenen „Lebensmodelle“ friedlich nebeneinander existieren können hängt aber auch ganz wesentlich davon ab, wie man miteinander umgeht und welche Bilder man forciert. Es ist doch wirklich mal wieder bezeichnend, dass eine einzige Frau es schafft, die ganze deutsche Medienlandschaft auf Trab zu halten, während sich für die ganzen völlig unauffälligen Moslems in D mal wieder keiner interessiert.
Aber kommen wir auf Jacqueline aus Wanne-Eickel zurück - die
ist ja nun einmal nicht die typische Burka-Trägerin. Das ist
eher Halima in Berlin-Kreuzberg aus Kandahar. Jacqueline mag
es sich in den Kopf setzen, künftig nur noch in Burka in der
Öffentlichkeit zu erscheinen. Aber Jacqueline ist nicht das
Problem, das Problem ist vielmehr Halima, der das in den Kopf
gesetzt wird. Was meinst Du - wieviele Frauen würden ein Zelt
mit Sehschlitzen tragen, wenn sie nicht durch sozialen Druck
dazu gebracht würden? Druck, der zumindest bei uns in erster
Linie von den männlichen Familienangehörigen ausgeübt wird. Im
Iran oder in Afghanistan sieht das mit dem Druck noch ganz
anders aus - und die Verhältnisse dort machen die
Ganzkörperverschleierung zu einem unmißverständlichen Symbol
nicht von religiöser Hingabe sondern von Entrechtung und
Unterdrückung von Frauen.
Ich glaube, hier irrst du dich. Zwei Dinge sind mir in den letzten Jahren dazu besonders aufgefallen. Zum einen der Anteil deutscher Konvertiten an radikalen islamischen (und teilweise auch gewaltbereiten) Gruppierungen. Zum zweiten der Eindruck, dass es gerade die hier in D aufgewachsenen Jugendlichen sind, die sich wieder mehr auch (oder insbesondere) äußerlich zum Islam bekennen und debei weit über die Vorstellungen ihrer Elterngeneration hinaus gehen.
Sicher gibt es auch die von dir ansprochenen Frauen, die in den insbesondere durch männliche Familienmitglieder ausgeübten Zwängen gefangen sind. Wenn ich aber sehe, dass Initiativen, die eben diesen Frauen helfen wollen, kaum (finanzielle oder andere) Unterstützund erhalten, bzw. wie mit Frauen oder Mädchen umgegangen wird, die sich hilfesuchend an deutsche Institutionen wenden, um eben diesen teilweise lebensbedrohlichen Zwängen zu entfliehen, dann hab ich nicht unbedingt den Eindruck, dass die deutsche Gesellschaft (oder Regierung) nun ausgerechnet das Wohlergehen dieser Frauen im Sinn hat, wenn mal wieder eine Frau in Burka durchs Dorf getrieben wird.
Es gehört zu unserer Verantwortung, zumindest bei uns Frauen
vor dieser Art sozialem Druck zu schützen - und sei es
dadurch, dass wir Gegendruck ausüben, indem wir das Tragen
einer solchen Vermummung nicht tolerieren. Sicher kann man
(und sollte) darüber diskutieren, ob man mit Verboten in den
privaten Bereich eingreift (wie in Frankreich) - aber wenn man
dies nicht tun will, sollte man Frauen, die sich dem sozialen
Druck ihrer Umgebung entziehen wollen, zumindest Hilfe und
Unterstützung gewähren.
Wie ich oben sagte: Druck wird jede Menge gemacht, aber Hilfe und Unterstützung gleich Null. Und ich rede hier nicht nur über Bekleidungsvorstellungen sondern wesentlich essenziellere Dinge wie minderjährige Mädchen, die sich an deutsche Institutionen wenden, um z.B. einer Zwangsehe zu entkommen. Hilfe und Ünterstützung? Dass ich nicht lache…
Um Alice Schwarzer zu zitieren: "Diskutiert werden kann darüber ja nur in Ländern, in denen
Frauen das Kopftuch überhaupt „freiwillig“ tragen können – und
ihnen ein verrutschtes Kopftuch nicht mit Nägeln in den Kopf
getrieben wird, wie im Iran. " Greifen wir in die Privatsphäre
von Bürgern ein, um zu verhindern, dass Frauen in unserem Land
gezwungen werden können, sich zu verhüllen? Oder tun wir das
erst, wenn sie zwangsverheiratet werden sollen? Oder erst,
wenn ihnen als jungen Mädchen die Klitoris amputiert und die
Scheide zugenäht wird? Irgendwo muss da eine Grenze gezogen
werden - die Frage ist nur, wo.
Das ist ja gerade der Witz. Wenn es darum geht, Gruppen von Zuwanderern oder bestimmte religiöse Gruppen zu diffamieren, dann sind diese Themen gerade recht, wenn es aber darum geht, konkrete Hilfe zu gewähren, zucken alle nur gelangweilt mit den Achseln.
Ich
finde, er hat sehr gute Gründe dies nicht zu tun. Und sei es
nur, weil Jacqueline aus Wanne-Eickel womöglich dann demnächst
darauf bestehen könnte, ihre Arbeit als Altenpflegerin oder
Kindergärtnerin oder sonstwas demnächst mit Tschador oder
Burka als Arbeitskleidung zu verichten.
Oder im Minirock? Oder im Giraffenkostüm? Es kann doch nicht so schwer sein, allgemein gültige Kleidervorschriften zu erlassen, anhand derer sich alle möglichen Kleidungsstücke als geeignet oder ungeeignet einteilen lassen. Dafür muss man doch nicht auf Burkas rumreiten.
Was meinst Du - wie
fändest Du es, wenn Du als Frau zur Polizei gehst, um Deinen
Ehemann anzuzeigen, weil er dich schlägt - und die
Hauptwachtmeisterin, die die Anzeige aufnimmt, trägt eine
Burka? Oder Du musst am Herzen operiert werden und die
Chirurgin trägt eine Burka als OP-Kleidung? Oder Du hast einen
Scheidungstermin bei Gericht und die Richterin erscheint in
Burka …
Tatsächlich ist mir das völlig wurscht. Meine persönlichen Kontakte zu Musliminnen (und da waren auch ein paar ziemlich verhüllte dabei) waren im großen und ganzen durchaus positiv. Darunter waren eine ganze reihe intelligente, warmherzige und unter ihren Kleiderschichten überraschend moderne und kompetente Frauen. Die Vorstellung, unter einem Schleier muss sich immer eine unterdrückte und ungebildete Person befinden, halte ich für bösartig. Warum kann man bei dem Thema nicht mal differenzieren? Während in Afghanisten Schulen für Mächen abgefackelt werden, ist im Iran der Frauenanteil unter den Studenten an Universitäten größer als der der Männer.
Bei einem Punkt stehe ich allerdings wieder ganz hinter Zaimoglu (ich zitieren aus dem oben verlinkten Artikel): „Er warnt aber davor, sich bei dieser Diskussion auf die Frauen zu stürzen und sie „für blöd zu erklären“. Man müsse die Männer dahinter angehen, sagt der Schriftsteller.“
Und da frage ich mich dann, wo es denn jeweils in D irgend eine größere Initiative gegeben hätte, um „die Männer dahinter“ anzugehen? Wenn man Probleme beseitigen will, dann sollte man die Ursachen angehen, und nicht die Symptome. Aber das ist wohl auch wieder ein Thema, das man lieber gar nicht erst anfasst. Dann lieber eine Frau von ihrem Arbeitsplatz verbannen. Ist ja viel bequemer.
freundlichen Gruß
Marion