All diese Bewegungen zielen letztlich auf religiös
legitimierte politische Ordnungen und religiös homogene
Gesellschaften ab.Schön. Und wieso darf man deiner Meinung nach nicht die
folgenden Fragen stellen:
- Finden sich in den religiösen Glaubensgrundsätzen Inhalte,
welche die religiös legitimierte politische Ordnung und die
religiös homogenen Gesellschaften fördern?
Ja, klar - weil die Schriften zu einer Zeit entstanden sind, in denen Staat und Religion nicht getrennt waren.
- Haben sich überwiegende Teile der jeweiligen
Glaubensgemeinschaft klar von althergebrachten, fundamentalen
Thesen verabschiedet und sehen Religion lediglich als
Grundlage für das private Seelenheil an?
Bestrebungen dagegen gibt heute es in jeder Glaubensgemeinschaft
Und schließlich:
- Wenn weder die eine noch die andere Frage zugunsten der
Demokratie beantwortet werden kann, muss das nicht Anlass zur
Sorge geben?
Doch, denn damit halten Sätze wie dieser
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, […]“
Einzug in Texte, die den Geltungsbereich von Gesetzen betreffen.
weltweit bekannt. Und wie sieht es nun in den meisten islamisch geprägten Staaten
heute aus? Mit der Türkei verlieren wir gerade praktisch den letzten dieser Staaten.
Wieso können nahezu alle westlichen Staaten das ohne Probleme? Du meidest diese
Frage wie der Teufel das Weihwasser. Dafür kann ich persönlich nichts.Habe ich nicht eingangs in dieser Diskussion geschrieben:
Nein, zu dieser Frage hast du noch nichts geschrieben. Vor 80
Jahren herrschte bei uns Unrecht und Menschenverachtung. Das
hat nichts daran geändert, dass im Anschluss daran eine
demokratische Gesellschaft aufgebaut werden konnte.
Du meinst warum das im Nahen Osten nicht klappt. Dass aber Islam nicht zwingend mit Theokratie und Scharia einher gehen, ist belegt, hier ein Auszug aus einer Publikation der Konrad Adenauer Stiftung (2013):
Wer von Säkularität im Islam spricht, denkt dabei gewöhnlich – jedenfalls aus deutscher Perspektive gesehen – in erster Linie an die Türkei mit ihren gut 70 Millionen Einwohnern, davon über 90 % Muslime. Dabei wird leicht übersehen, dass auch Indonesien ein wichtiges Land der Islamischen Welt ist, in dem der Islam trotz des hohen Anteils von Muslimen an der Gesamtbevölkerung gleichfalls nicht Staatsreligion ist und die offizielle Trennung von Staat und Religion als besonders ausgeprägt gilt. Mit fast 240 Millionen Einwohnern, davon 88 % Muslime (daneben beinahe 6 % Protestanten, 3 % Katholiken und fast 2 % Hindus) ist diese Region heute der größte muslimische Nationalstaat auf dem Erdball. Gleichwohl präsentiert sich Indonesien als größte Demokratie der Islamischen Welt. Quelle
Bei einem öffentlichen Vortrag beim Deutschen Orientalistentag sieht die Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer in arabischen Ländern keine Mehrheit für das säkulare Prinzip, faktisch aber schon vielfach Säkularisierung. (Bericht), ebenfalls 2013
Wer sich in Ländern des Arabischen Frühlings oder in Iran für Säkularität als Weg zur gesellschaftlichen Befriedung einsetze, finde bislang keine Mehrheit. „Die Trennung von Religion und Politik wird von vielen mit Atheismus assoziiert. Und wer gottlos ist, hat weder Werte noch Anstand.“ So scheuten sich auch säkulare Kräfte, offen für Säkularismus zu plädieren. „Dabei sind Religion und Staat im Islam nicht zwingend eins“, so die Expertin. „Koran und Sunna lassen das säkulare Prinzip durchaus zu – jedoch nicht in der Lesart, die heute im Mittleren Osten vorherrscht.“
Faktisch lassen sich der Wissenschaftlerin zufolge längst „reale Prozesse der Säkularisierung“ in arabischen Gesellschaften feststellen – in Politik, Recht, Wirtschaft, Kultur und Bildung. Umso mehr müsse die Ablehnung des säkularen Prinzips erstaunen. Sie werde gemeinhin nicht nur religiös begründet, sondern auch politisch: „Säkularismus wird als Ideologie autoritärer Regierungen dargestellt, die ihn gewaltsam gegen die eigene Gesellschaft durchsetzen“, so die Forscherin der Freien Universität Berlin. Beispiele seien die Türkei unter Mustafa Kemal Atatürk (1881-1938), Tunesien unter Habib Bourguiba (1903-2000) und Irak unter Saddam Hussein (1937-2006). „Zugleich werden Säkularisten als Agenten des Westens denunziert.“ In dieser Sichtweise sei die Trennung von Religion und Staat ein Mittel der „Kolonisierung und kulturellen Entfremdung“. Das wiege für viele Muslime ebenso schwer wie die Furcht vor einer sinkenden Bedeutung des Islams.
Also kurz: Dort wo die Säkularisierung gewaltsam oder gar vom Westen selbst durchgesetzt werden sollte sind auch die fundamentalistischen Strömungen am stärksten.
hth
maria