‚Aman‘ und ‚pistis‘ im jüdisch-christlichen Denken
Hi.
Die großen monotheistischen Religionen, die im Mittleren Osten entstanden sind - Judentum, Islam, Christentum - können kategorisiert werden als Glaubenssysteme („belief systems“). Leider wird das Wort „Religion“ in unserer heutigen Welt beinahe synonym verwendet mit dem Wort „Glauben“, was darauf hindeutet, dass Glauben die herausragende Eigenschaft in diesen Religionen darstellt.
Ich bin immer dafür, Ideen oder Grundbegriffe auf ihren historischen Ursprung hin zu untersuchen, da ihre Eigenart nur daraus verständlich wird. Im Falle des Glaubensbegriffs veschleiern spätere Bedeutungsverschiebungen und Homonymien den Blick auf diese ursprünglichen Sinn. Als Homonymie würde ich die unterschiedlichen modernen Bedeutungen des Wortes „Glauben“ (im Englischen entsprechend „belief“), einerseits profan „etwas für wahr oder möglich halten“, andererseits sakral „von der Wahrheit Gottes (oder des Christus) überzeugt sein“, bezeichnen. Die Vermischung beider Bedeutungen im religionswissenschaftlichen Diskurs ist fatal. Im Tanach, z.B. Jesaja 7,9, heißt es hebräisch „aman“ dort, wo in der deutschen Übersetzung „glauben“ steht. Dieses „aman“ bedeutet: Sich fest an Jahwe binden, oder sich festmachen an Jahwe. Das hat nichts mit Für-wahr-oder-möglich-halten zu tun und auch nicht mit Vertrauen, was beides eine gewisse Unsicherheit impliziert, ganz im Unterschied zum felsenfesten „aman“ (aus dem das Amen = So ist es! hervorging). Vielmehr geht es um eine Entscheidung (für Jahwe), an der man irreversibel festhält, auch wenn der Himmel einstürzt.
Diese Einstellung war eine israelitische Innovation und hatte es im Polytheismus bis dahin nicht gegeben, einfach deswegen, weil sie innerhalb des polytheistischen Denkens nicht notwendig war. Das unbedingte Festhalten an Jahwe bedeutete nämlich ineins die unbedingte Verneinung der Existenz aller anderen Götter. Genau dieser Punkt war in der altorientalischen Kultur, die seit Jahrtausenden (bis auf Echnaton) ausschließlich polytheistisch dachte, derart revolutionär, dass es eines ganz besonderen Denkmodus bedurfte, um diese neue, die monotheistische Überzeugung, psychologisch aufrechtzuerhalten.
Dieser neue Denkmodus war das jede Göttervielfalt streng negierende „aman“, das Sichfestmachen am einzigen Gott Jahwe, und das um absolut jeden Preis.
Im Unterschied dazu bedurfte es im polytheistischen Denken keines Sichfestmachens an irgendeinem Gott oder einer Göttin, da die Überzeugung der Menschen von der Existenz und Wirksamkeit der Götter grundsätzlich immer stabil war. Zu Zeiten des assyrischen Königs Tukulti-Ninurta I. kamen zwar punktuelle Zweifel an der Menschennähe der Götter auf (was sich in ersten Theodizeen niederschlug), nie aber an deren Existenz. Lediglich das Vertrauen in die Götter war phasenweise gefährdet, nie aber die Überzeugung von ihrem Dasein. Ganz anders war das, wie gesagt, im jahwistischen Denken, das sich auf revolutionäres Neuland begab, indem es einem einzigen Gott wahre Existenz zusprach. Dieser Schritt erforderte eine neue psychologische Haltung, eben das „aman“ = Sichfestmachen an Jahwe.
Neu war auch die unbedingte Hingabe an den einen Gott. Diese Selbstverleugnung des Menschen zugunsten der absoluten Macht eines Gottes, sein Sichausliefern an ihn, war nicht minder revolutionär als das „aman“, eigentlich nur dessen andere Seite der gleichen Münze. Auch diese Haltung gab es nicht im polytheistischen Denken, da die Vielfalt der Götter und deren individuelle spezielle Funktionen (die Jahwe komplett in sich vereinte) keine absolute Bindung an einen bestimmten Gott oder eine Göttin gestatteten und damit auch kein absolutes Sichausliefern.
Christentum und Islam übernahmen natürlich, da sie sich aus jüdischen Quellen speisen, diesen Denkmodus. Im griechischen Original des NT steht, z.B. bei Paulus, das Wort „pistis“, das mit „Glaube“ sehr missverständlich übersetzt ist. Es bedeutet vielmehr, ähnlich wie das hebräische „aman“, eine unbedingte Hingabe an entweder „Gott“ oder „Christus“.
Von daher - würde ich sagen - ist eine Differenzierung in Glaubens- und Erziehungssysteme in Bezug auf den Unterschied von Monotheismus und atheistischem Buddhismus kaum hilfreich. Beide Systeme bauen - zumindest in ihrem ursprünglichen Denken - auf eine unbedingte Hingabe (oder Sichfesthalten) an eine bestimmte Überzeugung. Freilich sind diese Überzeugungen inhaltlich so verschieden, wie etwas nur verschieden sein kann. Auch halte ich beide Systeme für „erzieherisch“, nicht nur den Buddhismus.
Also sollte eine Differenzierung zwischen beiden Systemen sich weniger auf formale Aspekte (Glauben vs. Erziehung) als auf inhaltliche Aspekte konzentrieren
.
Das ist nun umfangreicher geworden als geplant, also gehe ich auf weitere Punkte in deinem Beitrag erst morgen ein, vielleicht als Antwort auf deine direkte Antwort weiter oben an den UP.
Chan