Hallo,
Anders gesagt: es handelt sich bei der Herleitung der
Todesstrafe für Apostasie aus dem Koran um eine Auslegung des
Koran. Aber solche Differenzierungen sind für dieses immer
mehr verkommende Forum anscheinend schon zu „verharmlosend“.
Diesen Hinweis verstehe ich nicht wirklich, denn im Grunde
sind heute alle Aussagen zum Sinn von Biblischen oder
Koranischen Texten Auslegungen.
Nein. Es gibt Aussagen im Koran, die schlicht keinen Auslegungsspielraum zulassen. Dies betrifft im Zusammenhang mit unserem Thema insbesondere hadd-Strafen. Da werden Vergehen und Strafe ganz konkret benannt: Ehebruch und Unzucht / 100 Peitschenhiebe (Sure 24:2-3), eine einschlägige Verleumdung / falsche Anzeige: 80 Peitschenhiebe (24:4), schwerer Diebstahl / Amputation der rechten Hand (5:33) bzw. im Wiederholungsfall zusätzlich des linken Fußes (5:38). Im Fall der Apostasie hingegen wird im Koran keine weltliche Strafe genannt - entsprechend gibt es hier auch unterschiedliche Auslegungen. Bei den vorgenannten Straftatbeständen ist das hingegen nicht der Fall - da gibt es keinen Spielraum für Auslegungen.
Wie bei jeder Interpretation wäre festzustellen welchen
Stellenwert diese spezielle Interpretation der inkriminierten
Koransure hat.
Wird sie überwiegend anders interpretiert?
Dazu wieder ein Verweis auf Frau Dr. Schirrmacher: http://christineschirrmacher.info/tag/todesstrafe-fu…
Money Quote:
_"Heute vertreten muslimische Theologen vor allem drei Positionen zur Frage der Apostasie: Eine Minderheit fordert wie der einflussreiche pakistanische Theologe, Journalist und politische Aktivist Abu l-A’la Maududi (gest. 1979) kompromisslos die Todesstrafe für jeden, der den Islam verlässt. Eine weitere Minderheit fordert, wie der von den Malediven stammende Theologe Abdullah Saeed (geb. 1960), vollkommene Glaubensfreiheit, wozu für ihn auch die Freiheit gehört, sich folgenlos vom Islam ab- und einer neuen Religion zuwenden zu können. Abdullah Saeed ist der Auffassung, dass die Bedrohung des Konvertiten mit der Todesstrafe zu Zeiten des Frühislam durch das politische Überleben der islamischen Gemeinschaft motiviert war und daher heute keinerlei Bedeutung mehr hat.
Die Mehrheit der klassisch-islamischen Theologen dürfte heute die Auffassung des international einflussreichen ägyptischen Gelehrten Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) befürworten: Danach darf ein Muslim zwar durchaus in seinem Innersten Zweifel hegen, denn das Innerste eines Menschen ist niemand zugänglich und daher nicht zu beurteilen. Er darf nach Qaradawis Auffassung jedoch mit niemand über seine Zweifel sprechen, nicht zu einer anderen Religion konvertieren oder versuchen, andere vom Islam abzuwerben. Auch die Scharia, den Islam, den Koran oder Muhammad darf er in keinem Aspekt kritisieren. Tut er dies doch, betrachtet Qaradawi dies als Aufruhrstiftung, Verrat und Entzweiung der muslimischen Gemeinschaft, die unterbunden und bestraft werden muss: al-Qaradawi hält in diesem Fall die Anwendung der Todesstrafe für verpflichtend. Seine Definition von „Glaubensfreiheit“ bedeutet eben nicht Religionsfreiheit, sondern nur innere Gedanken- und Überzeugungsfreiheit, ohne dass diese auch zum Ausdruck kommen darf. Damit wird ein persönliches Bekenntnis zum Staatsverrat."_
Den eigentlichen „Stellenwert“ haben für mich allerdings nicht theologische Interpretationen, sondern ob solche Interpretationen konkrete Auswirkungen auf das Rechtssystem haben, wie in dem genannten aktuellen Fall im Sudan oder in früheren Fällen insbesondere im Iran. In Saudi-Arabien, Jemen, Oman und Kuwait ist Apostasie ebenfalls lebensgefährlich. Mithin leben ca. 210 Millionen Muslime (von insgesamt 1,57 Milliarden) in einer Rechtsordnung, in der zumindest offen bekannte Apostasie mit dem Tod bestraft wird.
Dazu nochmals Schirrmacher:
„Wer seine abweichenden Auffassungen jedoch propgagiert, ist nach Meinung einer breiten Mehrheit traditionell ausgebildeter Theologen des Todes schuldig – auch wenn es nur wenige Länder gibt, in denen es überhaupt möglich wäre, einen Apostaten vor Gericht zu stellen.“
Die zweifellos verurteilenswerte gesellschaftliche Ächtung von Apostaten bis hin zum Mord, die es in Ländern wie Pakistan oder Ägypten gibt (Schirrmacher äußert sich ausführlich dazu), soll damit nicht „verharmlost“ werden - das muss man in diesem weitgehend auf Stammtischniveau abgesoffenen religionswissenschaftlichen Forum anscheind mittlerweile bei jedem Posting zum Thema Islam beteuern.
Freundliche Grüße,
Ralf