Erschaffungszweck der ‚Seele‘ (des Lebens)
Hallo FraLang,
älter als Genesis 1
Möglicherweise; jedenfalls sind im Ps 104 wohl eher ältere stilistische Elemente zu entdecken.
Natürlich kann man dann immer noch mit gutem Grund auch der Meinung sein, Gen 1 sei früher erstmals aufgeschrieben oder früher als religiös relevant eingestuft worden. Sollte aber Ps 104 sowohl literarisch als auch als religiöser Text älter sein, wäre dies ein noch stärkerer Hinweis auf eine mögliche Interpretation für Gen 1.
Schiffe ziehen dort einher und die Zedern
Zum Einen muss nicht der ganze Psalm aus genau der gleichen Epoche stammen, er kann im Laufe der Zeit zusammengewachsen sein.
Zum Andern sind auch Schiffe und Zedern nicht totale Hindernisse für eine Frühdatierung.
Seedrache
Einiges deutet darauf, dass Gen 1 sich an genau diesem Bild orientiert. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass Gen 1 literarisch aus einer Überlieferung schöpft, in der die Bilder des Ps 104 ebenfalls beheimatet sind oder sogar den Nährboden bilden.
geht es in Vers 30 um Wiedergeburt?
Neuschöpfung. Der Begriff der Wiedergeburt wäre hier wohl zu konkret, wenn auch vom isolierten Text her theoretisch möglich. Es könnte mit dem Wortlaut des Psalms Reinkarnation oder auch Taufe oder auch noch mehr gemeint sein; der Autor sagt es nicht, sondern lässt es offen.
Ich habe den Ps 104 übrigens nicht nur des Inhalts, sondern auch der Methode wegen zitiert, also als Handlung. Man stelle sich einen Psalmbeter vor, der mit diesem Gebet Gott lobt. Dass dieser Psalm als Lobgebet zu verstehen ist, bildet den Rahmen. Der Inhalt zeigt nun auf, was denn Gegenstand dieses Gotteslobes sei und - was wohl unser Thema ist - sein müsse. Anscheinend befasst sich gerade dieser Psalm gerade mit dieser Frage. Beispiel: Der Vers 15 („der Mensch geniesse…“) versucht, aus dem Gotteslob mehr zu machen als nur Pflichterfüllung.
Besonders ist aber Vers 24 (am Ende) für unsere Frage wichtig: „Die Erde ist voll Deiner Güter.“ D. h. der Psalmbeter fasst die Schöpfung als Zeugnis für den Schöpfer auf und versucht, nicht nur über das Lobgebet etwas auszusagen, sondern auch die Schöpfung zu ihm in ein Verhältnis zu bringen und zu charakterisieren. Selbst im Grauenvollen, Unerkannten und Gefährlichen („Du rührst die Berge an, sodass sie rauchen“ u. a.) wird nichts als ein Teil der Schöpfung gesehen, die nach Ansicht des Beters in das Gotteslob einzubeziehen ist, da seine ganze Seele, durch die er die Schöpfung erst wahrnimmt, eben den Auftrag des Gotteslobes hat: „Lobe den Herrn, meine Seele, halleluja“ (Ende des Psalms).
D. h. der Psalmbeter ist der Ansicht, durch die Tatsache, dass er die Welt wahrnimmt, mithin durch die Tatsache, dass er lebt, hat er den Auftrag gefasst, alles Wahrgenommene zu heiligen und Gott dahinter nicht bloss zu suchen sondern schon von Vorneherein zu sehen und Ihn dafür zu loben.
Wenn Gott in den Geschöpfen einerseits Spuren hinterlässt und andererseits der Erkennende die Spuren lobt, ist es dann nicht schwer, anzunehmen, dass diese Spuren das Lob Gottes nicht nur tatsächlich erzählen, sondern sich dessen auch bewusst sein sollen.
Nach Auffassung des Psalmbeters wird sich die Schöpfung also ihrer selbst bewusst, wenn sie Gott bewusst lobt. Dass sie Zeugnis gibt, hat er ja genügend klar gemacht, und dass alles, was er von ihr weiss bzw. erlebt („meine Seele“), Ihn loben soll, drückt er am Ende auch aus. Dadurch, dass er „meine Seele“ (man könnte auch übersetzen „mein Leben“) sagt, hat er die ganze Schöpfung ausdrücklich in seine Wahrnehmung gesetzt. Dort enthält sein Leben alles, was er von der Schöpfung weiss. Da sein Leben Gott loben soll, soll also auch diese ganze von ihm wahrgenommene Schöpfung (zunächst in seinem Innern) Gott loben.
Man ergänze an diesem Punkt nun mit andern Bibelworten, z. B. Ps 150 („Alles, was atme, lobe den Herrn“).
Gruss,
Mike