Hallo Do,
das Problem menschlicher
Gewaltbereitschaft auf das Menschsein (anthropologisch) zu
beziehen ist ja wohl ne nette Tautologie.
eine Tautologie ist das nicht, was schon daraus deutlich werden dürfte, dass ‚anthropologisch‘ hier antithetisch zu ‚ideologisch‘ gesetzt wird. Falls die Aussage nicht klar war: Ideologien (und Religionen) erzeugen keine Gewaltbereitschaft, diese ist vielmehr Teil der conditio humana.
Da Aggression aus Kränkungen resultiert ist der achtsame und
rationale Umgang nur über diese Kränkungen sinnvoll.
Das ist mir deutlich zu monokausal und zu psychologisierend gedacht. Aggressivität ist evolutionäres Erbe; dem Primaten, der auf eine Bedrohung seiner Horde mit Aggressivität reagiert oder sein aggressives Potential einsetzt, um auf der Jagd seinen Hunger und den seiner Sippe zu stillen, mag man ja als Auslöser eine narzisstische Kränkung bescheinigen - ob das hier in irgendeiner Weise zu Erkenntnissen beiträgt, wage ich zu bezweifeln.
Btw -
aggressiv schreibt sich mit zwei"g" - gg -.
Danke für den Hinweis, habe den Begriff lange nicht mehr gebraucht.
Die
Verletzlichkeit des Menschen hat Religion hervorgebracht
Auch das ist mir deutlich zu simplifizierend. Eine nicht unbedeutende Rolle bei der Genese von Religion spielt der Wunsch, die Umstände der menschlichen Existenz erklärend zu verstehen. Religion ist eine Intelligenzleistung - und Intelligenz ist der spezielle evolutionäre Vorteil des Menschen. „Verletzlichkeit“ treibt alle Wesen zu evolutionärer Entwicklung an - genausogut ließe sich also sagen, dass die Verletzlichkeit des Menschen seine Intelligenz und damit sämtliche menschlichen Kulturleistungen hervorgebracht hat, so wie die Verletzlichkeit des Tigers sein effektives Gebiss hervorgebracht hat.
Die zitierte Aussage ist also nicht falsch - aber unbrauchbar. Die Verletzlichkeit des Menschen hat genausogut wie Religion die Wissenschaft, Kunst, soziale und politische Organisationsformen oder - auf niedrigerem Level - die Fertigkeit der Faustkeilherstellung, die Nutzbarmachung des Feuers, die Töpferei und Ackerbau und Viehzucht hervorgebracht. Das macht Deine Aussage zu einer Banalität.
Erst Menschen, die nicht kränkbar sind - und wer
kann das von sich schon behaupten - können auf ihre Antriebe
weitgehend verzichten
Man kann auf seine Antriebe nicht „verzichten“ - aber man kann sich darin schulen, sie wahrzunehmen und zu kontrollieren. Im Buddhismus beispielsweise ist dies ein nicht unwesentlicher Aspekt der religiösen Praxis (smrti, sati - idR mit ‚Achtsamkeit‘ übersetzt). Und diese Antriebe können durch Einsicht (drsti, ditthi) in ihre Ursachen, Bedingungen und Folgen zum Versiegen gebracht werden. Freilich ist letzteres - zumindest nach buddhistischer Lehre - keine intellektuelle ‚Einsicht‘ sondern bedingt durch eine Änderung der kognitiven Grundhaltung, durch Abwerfen der ichzentrierten Perspektive.
allerdings hat sich aus der
Situation der Verfolgungen der ersten drei Jahrhunderte eine
aggressive Kirche gebildet, die ihrerseits verfolgte.
Dies ist nun wieder auf historischer Ebene monokausal und simplifizierend gedacht. Zum einen wird und wurde das tatsächliche Ausmaß der Verfolgung teilweise schon fast grotesk übertrieben. Eine Bewegung, insbesondere eine junge, braucht Helden und Märtyrer als Vor- und Leitbilder. Notfalls erfindet man welche - und das hat die Kirche reichlich getan. Das hat wenig mit Geschichte, aber viel mit Mythenbildung zu tun. Zeitnäher können wir dies etwa bei den Nazis und ihrer mythisch überhöhten ‚Kampfzeit‘ betrachten. Oder noch aktueller bei der Stilisierung unseres zukünftigen Staatsoberhaupt zu einem ‚Bürgerrechtler‘ oder gar ‚Widerständler‘ - zu dem er tatsächlich erst im November 1989 mutierte.
De facto war die - zeitweise - verfolgte frühe Kirche nicht vom Untergang bedroht, sondern sie wuchs und gedieh. Und sie hatte bereits ein erhebliches aggressives Potential - das freilich intern, in Richtungs- Flügel- und Machtkämpfen ausgetragen wurde. Hier , in der frühen Kirche selbst, wuchs der Geist der militanten Intoleranz, der sich nach der ‚konstantinischen Wende‘ dann mit staatlicher Rückendeckung nach außen gegen Nicht-Christen richtete.
Freundliche Grüße,
Ralf