Vertreibungsstory = Rohrschach-Klecks
Hi FraLang.
danke für die interessanten Hinweise.
Die hier nicht jedem gefallen
„Welches Tages“ würde heißen „wann immer“. Warum wird das dann überall falsch übersetzt? Auch in der Interlinearübersetzung heißt es „an jenem Tag“.
Die Übersetzung ist nicht falsch, sondern, je nach Interpretation, irreführend. Die Interpretation des „am Tag“ als konditionales „wenn“ sowie des „Sterbenmüssens“ als „sterblich werden“ ist allerdings kein allgemeiner Konsens, sondern wird nur von einem Teil der Fachleute vertreten. Diese Interpretation hat den Vorteil, den logischen Bruch zwischen Todesankündigung und Nichteintreten zu eliminieren. Der andere Teil der Interpreten nimmt die Textstelle aber wörtlich und akzeptiert den Bruch, also die Nichterfüllung der Drohung. So z.B. Claus Westermann in seinem „Biblischen Kommentar“ zur Genesis.
Falls der Baum der Erkenntnis in der ursprünglichen Version noch nicht enthalten ist, woraus besteht dann der Konflikt mit der Schlange? Wozu verführte dann die Schlange die Menschen?
Auch wenn es bei manchen, die viel mehr von diesen Dingen verstehen als ich, als „So-tun-als-sei-ich-auf-der-Höhe-der-Forschung“ rüberkommt: es besteht kein wissenschaftlicher Konsens über die Zusammensetzung und Herkunft der Textschichten in Genesis 2-3 und schon gar nicht über den Sinn ihrer Inhalte. Die Deutung der Baum-Geschichte ist z.B. ein Ratespiel. So schreibt Westermann in seinem „Biblischen Kommentar zu Genesis 1-11“ (S. 368): „Die Situation der Forschung zu den drei letzten Versen von Gn 3 ist äußerst verworren.“
Was den agierenden „Gott“ betrifft, kann man auch nur mutmaßen, in welchem Grad sein Verhalten von anderen Mythen beeinflusst ist, in denen das sog. „Neid-der-Götter“-Motiv anschlägt, was in diesem Fall den Neid Jahwes auf möglicherweise allwissend und unsterbliche Menschen meint. Der Text entstand in einer definitv polytheistischen Phase des Jahwe-Glaubens (siehe auch die Formulierung in Gn 3, 22 „ Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner“, also wie die Götter). Berücksichtigt man diesen polytheistischen Hintergrund und den Umstand, dass die Götter damals wie (extrem mächtige) Menschen konzipiert waren, nicht, dann bleibt man bei Deutungen des Sündenfalls nur an der Oberfläche.
Zur „Schlange“: welche symbolische Bedeutung hat sie? Das ist nicht eindeutig festzulegen. Zunächst einmal ist „Schlange“ im Hebräischen ein männliches Wort, was einen psychologischen Unterschied zu unserem deutschen Wort macht. Sie kann Unendlichkeit oder Sexualität symbolisieren oder beides zusammen, und sie kann zusätzlich zum Sexaspekt – in dieser Geschichte – auch als Symbol der von den Jahwisten bekämpften Kultgötter Baal und Ashera gedeutet werden. Das wäre ein „politisches“ Moment, das dem heutigen Leser fremd ist. Außerdem war die Schlange für die Menschen jener Tage ein vertraute Gestalt aus vielen mythologischen Erzählungen, was das Verständnis dieser Gestalt für Zeitgenossen grundlegend beeinflusste.
Was überhaupt mit „Gut und Böse“ gemeint ist, darüber sind sich die Experten auch nicht einig.
Meine persönliche Meinung ist also, dass man mit dem Interpretieren dieser Dinge vorsichtig sein sollte. Die Sündenfall-Story enthält eine Handvoll von Elementen, die jedes für sich vielfältig interpretierbar ist, und enthält klare Logikbrüche. Sie ist, so meine ich, ein schöner Untersuchungsgegenstand, aber keine sinnvoll deutbare Geschichte, außer man nennt das „Deutung“, was man in eine Geschichte so unbefangen hinein projiziert wie in einen Rohrschach-Klecks.
Chan