Erbsünde: Geschichte und Begriff
Hi Ma-kani,
ganz recht nennst du das blamabel, was in diesem Thread zu deiner Frage bisher verzapft wurde. Nicht nur, weil deine Frage nicht beantwortet wurde, sondern weil vieles auch hanebüchen in Bezug auf das Verständnis der Erbsünde-Lehre ist, wie sie auch heute noch in der kath. Lehrmeinung enthalten ist.
Zunächst deine Frage
wieso werde ich mit etwas belastet was doch außerhalb meiner Schuldfähigkeit liegt?
Wieso kann ich nicht in den Himmel kommen wenn ich nicht getauft worden bin. (kath)
Zunächst: Die Frage kann ja nur (für dich) relevant sein, insofern du dich der (jetzt mal speziell) römisch-katholischen Lehre verpflichtet fühlst, auch wenn du nicht getauft bist. Hier gilt, was im Brett immer wieder zum Tragen kommt: Wer sich irgendeiner religiösen Lehre nicht verpflichtet fühlt, dem kann deren Inhalt doch wurscht sein? (Außer einem generellen religionshistorischen Wissensinteresse natürlich.)
Sofern du die röm-kath. Auffassung aber auf dich beziehen möchtest: Der Erbsünde-Begriff wird dort betont unterschieden von einer individuellen Sünde, die auf einer als sündhaft verstandenen Handlung beruht. In der Terminologie wird das als „Tatsünde“ bezeichnet. Sie kann nur auf einer „frei gewollten Übertretung gottgegebener Gebote“ beruhen.
In diesem Sinne kann also ein Neugeborenes keiner Sünde schuldig sein. Und das ist mit Erbsünde („peccatum originale“, „peccatum haereditorium“) auch nicht gemeint (und in der Geschichte des Begriffs trotz endloser Kontroversen nie so gemeint gewesen). Es ist aber durchaus verwirrend und ist immer wieder mißverstanden worden. Insofern ist deine Frage also berechtigt. Und die Antwort lautet schlicht und einfach: Nein, das Neugeborene ist mit keiner individuellen Sündenschuld belastet. - Soweit die kath. Lehre.
Auf welche Basis stützt das denn die kath. Kirche?
Da ich nicht entnehmen kann, wieweit dich die Geschichte und die biblischen und außerbiblischen Hintergründe interessieren, hier nur vorab ein paar „basics“:
„Erbsünde“ setzt voraus, daß der Paradiesmythos in 1.Mose 2.4 ff und insbesondere das Essen von der „verbotenen Frucht“ infolge der Verführungskunst der Schlange eine anthropologische Relevanz für alle Menschen habe. Dabei wird in der christlichen Interpretation dieses Mythos (und zwar nur darin) die Handlung Adams wegen der Gebotsübertretung als individuelle Tatsünde aufgefaßt, die für alle Menschen per physischer Abstammung einen primordialen Schuldzustand zu Folge hat.
Dieser Schuldzustand besteht im Verlust der „heiligmachenden Gnade“ (ich gebe hier nur die kath. Terminologie wieder), die ursprünglich dem Adam zubestimmt war - und da er in dieser Auffassung als Stammvater aller Menschen gilt, auch allen Menschen. Durch die Sünde Adams sind aber alle Menschen dieses Gnadenzustands verlustig gegangen. Daß damit auch die Sterblichkeit über den Menschen kam (das war ja gerade die Konsequenz der Verbotsübertretung) ist dabei ein anderes Thema, das mit der „Erbsünde“ nur bedingt zusammenhängt.
Zu betonen ist, daß diese Deutung keineswegs auch die jüdische Auffassung war und ist. Insbesondere ist die spätere Identifizierung der Schlange mit dem „Teufel“ der jüdischen Auffassung völlig fremd. Das Judentum kennt keinen Teufel.
Es ist eine speziell (und ausschließlich) paulinische Interpretation des Paradiesmythos, in der Adam die Schuld an einem grundsätzlich gnadenlosen Zustand zugeordnet wird. Und insbesondere, daß diese Schuld durch den „zweiten Adam“, also Christus, wieder aufgehoben wird. An dieser Aufhebung durch den Opfertod Christi wird aber nur der teilhaftig, der durch die Taufe mit diesem Geschehen physisch und spirituell verbunden ist.
Soweit der Bezug zu Paulus, auf den diese (zweifellos höchst eigenartige Konstruktion) zurückgeht. Aus den Evangelien ist Dergleichen nicht zu entnehmen. Es ist eine Konstruktion, die die Frage beantwortet, inwiefern Jesus als „Erlöser“ bzw „Retter“ verstanden werden konnte: „Wovon erlöste er denn eigentlich?“ und „Worin bestand das Erlösungbedürfnis der Menschen?“. Denn die verschiedenen Arten einer Messias-Erwartung, die sich hier und da in den Schriften des „Alten Testamentes“ findet, enthält diesen Erlöserbegriff keineswegs. Die jüdische Messias-Erwartung sah/sieht ganz anders aus. Daß mit Adam der Tod bzw. die Sterblichkeit ins Menschengeschlecht kam und der Verlust eines paradiesischen Urzustandes, war sehr wohl auch genuines jüdisches Verständnis, nicht aber ein grundsätzlicher, von individueller Handlung unabhängiger Sündenzustand, der sich physisch-biologisch vererbt. Das ist vielmehr erst die paulinische Interpretation des Messias-Begriffs:
Paulus Römerbrief 5.12-21 war also der Anfang der Erbsündelehre. Sie wurde auch schon vor Augustinus höchst kontrovers diskutiert, von sehr vielen insbesondere auch abgelehnt. Augustinus hat sie nur differenzierter ausgearbeitet. Die Schriften, in denen er das tut, sind weniger, wie unten behauptet, „De civitate dei“ als vielmehr „Contra Julianum“. Dort argumentiert er auch gegen den Vorwurf, daß er der Erfinder dieser Lehre sei und nennt explizit zahlreiche Vorgänger: U.a. Irenäus, Cyprian, Hilarius, Ambrosius, Hieronymus usw. Alle haben sich aber in den Details erheblich unterschieden.
Für Augustinus stellte sich u.a. aber die Frage, was denn dann mit denen ist, die 1. vor Christus lebten, da sie an der Wiederherstellung des primordialen Gnadenzustands nicht teilhaben konnten, und 2. mit denen, die noch ungetauft sind und keine Entscheidung dazu haben konnten, also die Neugeborenen. Und dazu hatte er halt eine höchst fragwürdige Aufassung, die auch zeitgenössisch heftig bekämpft wurde (insbesondere im sog. Pelagianismus und durch Julianus von Aeclanum, gegen den Augustinus Schriften verfaßte): Die Nichtgetauften kommen in die Hölle (die Augustinus btw auch bereits als Ort der Qualen beschreibt, was auch in den kanonischen Bibeltexten nicht enthalten ist). Aber Augustinus verstand es, sich durchzusetzen und so wurden seine Auffassungen auf verschiedenen Konzilien (411 Karthago, 431 Ephesus, 529 Orange, 1546 Trient) abgesegnet und als verbindlich erklärt.
Das ganze Konzept, an dem der römische Katholizismus verbindlich festhält, hat also zur Voraussetzung:
- Der Adam-Mythos hat historische, und damit anthropologische und heilsgeschichtliche Relevanz
- Alle Menschen stammen realiter von Adam ab
- Adam hat eine individuelle Sünde begangen, die sich ohne individuellen Beitrag auf alle Menschen biologisch vererbt („durch Vererbung, nicht durch Nachahmung“, „non imitatione sed propagatione“) und durch die alle Menschen der übernatürlichen Gnade Gottes verlustig sind
- Diese Sünde geschah durch den Einfluß des Teufels (eine nichtjüdische Vorstellung und rein christliche Erfindung)
- Die Menschenheit wird prinzipiell durch den Opfertod Christi von
dieser Sündenschuld erlöst (= nichtjüdische Messias-Interpretation) und der Gnadenzustand wird wiederhergestellt
- An dieser Wiederherstellung können Menschen nur durch die Taufe teilhaben (auch wenn das allerdings alleine nicht reicht).
Später wurde aus populärmythologischen Quellen der sog. „Limbus puerorum“ erfunden, ein Zwischenzustand zwischen Fegefeuer, Hölle und Himmel, in dem sich die ungetauft gestorbenen Kinder befinden. Von dieser Idee, die eh nie zur offiziellen Lehre gehörte, hat sich B XVI kürzlich distanziert. Ungetaufte Kinder sind jetzt unmittelbar der Gnade Gottes anheimgegeben.
Gruß
Metapher