Hi!
Darum geht es nicht. Du diskutierst über Politik, arbeitest in
den von ihr geschaffenen Rahmenbedingungen und kennst nciht
alle Details. Wie sehr viele von uns und eben auch sehr viele
um 1930/40.
Doch, denn wir haben von Leni Riefenstahl, die einen
Propagandafilm fuer die Nazis gemacht hat: 1934.
Und wir haben heute Beckmann und Jürgen Fliege…
Zu einer ganzheitlichen Informiertheit führt dies jedoch (auch) nicht…
Das ist die gleiche Argumentation, die man in Suedafrika in
Bezug auf Apartheid immer wieder hoert: wir wussten ja nicht,
wie schlimm es war.
Dieser Vergleich hinkt, denn man musste nur mit dem Auto durch
Johannesburg fahren und wusste bescheid.
Schon ein bisschen schwieriger: mit dem Auto durch
Johannesburg hat dir Rassentrennung vorgefuehrt (schlimm
genug),aber nicht, was der Staat tat, um dieses System
aufrecht zu erhalten.
Jeder, der in den 70ern und 80ern dort lebte, wusste das. Ich habe hier die direkte Infoquelle in der Familie.
Das war im Deutschland der 30er Jahre ganz anders. Die
subtilen Ziele kannte keiner.
Warum haben dann viele Kuenstler usw. ihre Koffer gepackt, als
die NSDAP die Wahl gewonnen hatte. 1933 schon. Alfred Kerr,
um nur ein Beispiel zu nennen. Er verschwand sofort nach der
Wahl. Waren die alle uebervorsichtig?
Sie waren einfach gebildeter, schätze ich.
Dass die NSDAP in gewisser Weise auch Einschränkungen der persönlichen Freiheit propagierte, war ja kein Geheimnis. Das könnte ien weiterer Grund gewesen sein.
Nur reicht dies alles bei weitem nicht aus, die Leute, die, auch als Künstler, nicht emigriert sind, anzuklagen.
Wer sich auch nur ein bisschen interessiert hat und mit
offenen Augen durch die suedafrikanische Welt ging, wusste
sehr wohl, dass es Dinge gab, die es nicht haette geben
duerfen. Nicht immer in allen Details. ABer genug, um diese
Politik nicht AKTIV zu unterstuetzen.
Richtig.
Nur war das eben in D anders.
Wie gesagt, das bezweifle ich. Man konnte nicht alles sehen,
nicht alles ahnen, aber jemand der 1934 einen Propagandafilm
macht, sollte sich zumindest mit mehr als nur mit
Filmtechniken auseinandersetzen, sondern auch mit dem Thema.
Klar. Aber das Thema war nicht „wir rotten die Juden aus und überziehen die Welt mit einem Krieg“.
Es ging ja eher um die Verherrlichung des Deutschtums an sich. Und das sehe ich kaum als Problem an, Frankreich und Spanien machen das ja heute auch noch…
Und noch spaeter, wie hiess der Film „Tiefland“?, da hat sie
sogar Statisten aus Konzentrationslagern in ihren Filmen
verwendet (ob sie nun wusste, was wirklich dort geschah, oder
sie nur als ‚normale‘ Gefaengnisse betrachtete - warum waren
die da eigentlich interniert? - sei mal dahingestellt).
…dann muss es wohl auch dahingestellt bleiben, ob der
deutsche Normalo das hätte erkennen können/müssen.
Der deutsche Normalo hat nicht mit Menschen aus einem
Konzentrationslager zusammengearbeitet. WEnn du den Film mal
sehen solltest: es haette vielleicht gereicht, wenn sie die
Statisten gefragt haette, ob sie genug zu essen bekommen, dort
wo sie sind.
Sie konnten sie nicht fragen und wussten nicht, woher diese
Menschen kamen. Ich hatte hierzu seinerzeit ein Gespräch mit
meinem Großvater. Man wusste es nicht.
Aber Leni Riefenstahl KONNTE, denn sie hat mit ihnen (Sinti)
gearbeitet. Sie sich von der Partei fuer den Film zustellen
lassen.
Hatte sie die Möglichkeit, mit ihren Statisten zu diskutieren?
Spricht Steven Spielberg mit seinen Statisten?
Wie läuft es auf so einem Set ab.
Sie hätte schon fragen können, aber ich traue mir eine Bewertung dieser Situationen aus heutiger Sicht nicht zu.
Daher gilt: in dubio pro reo.
Und das Opa-Argument kaufe ich nicht so einfach. Auch meine
Eltern haben nichts gesehen und nichts gewusst und wenn man
dann anfaengt, so ein kleines bisschen nachzuhaken: ja, da
waren ploetzlich alle Juden weg, hmmm, und der Sozi von der
Ecke, der war schon 1933 weg, und kam '35 wieder, und war ganz
duenn und hat nur noch gesoffen. Aber da wollte man dann sehr
bewusst nicht mehr wissen.
Mag sein, aber das sind eben auch alles Bewertungen aus der heutigen Sicht heraus.
Damals dacht man wohl eher, dass der Jude in der Nachbarwohnung halt weggezogen wäre…
Und es war bekannt, dass die NSDAP Gewalt gegen andersdenkende Leute ausübte.
Aber irgendeine Randgruppe juckt die Mehrheit nie. Heute z.B. schreit ja auch jeder nach der Besteuerung großer Vermögen, da die Randgruppe der wohlhabenden Bürger unpopulär ist. Also wählt man die Sozis und schröpft sie.
Das ist nciht ganz so brutal, aber doch plakativ.
Aber darum geht es mir in dieser Diskussion gar nicht. Sondern
mir geht es um eine prominente Kuenstlerin, die ihre Karriere
mit Hilfe dieses Systems gebaut hat.
Das haben viele Leute gemacht. Nur sie eben sehr unmittelbar.
Es gibt m.E. genug GEgenbeispiele von Kuenstlern, die einen
anderen Weg gegangen sind.
Viele Künstler gehen einen ganz anderen Weg als andere.
Aber wir reden davon, dass sie ihre Taten durch ihr
Kuenstertum gerechtfertigt werden.
Verstehe ich nicht.
Das Argument lautete: sie hatte soviel Talent, sie hat es nur
mit den Nazis entwickeln koennen, es waere eine Vergeudung
gewesen (siehe Olympia-Sport-Boykott Argument irgendwo im
Thread), wenn sie das nicht gemacht haette.
Ich würde das andersherum aufziehen: eine junge, talentierte Frau hat eine gute Chance, unter der vorherrschenden Regierung ihre Karriere zu optimieren. Also macht sie es eben.
Was danach passierte, konnte sie nciht wissen.
Vielleicht sogar eine ganze Menge
von Kuenstlern, die wir heute nicht mehr kennen, eben weil sie
auf die grosse Karriere und die Moeglichkeiten verzichtet
haben. Eine davon hab ich in meinem Posting weiter unten
erwaehnt. Ich bin sicher, dass wenn Leontine Sagan bei der
UFA geblieben waere, sie als eine der bedeutensten
Filmregisseure in die (deutsche) Geschichte eingegangen waere.
Ihr Film war bahnbrechend (was ihre Fuehrung von Darstellern,
sowie Kamerafuehrung - immerhin ein technischer Bereich und
sie war totaler Filmneuling und kam vom Theater - anging).
Das kann ich nicht beurteilen, ich kenne die Dame und auch den
Film nicht.
Eben.
Was eben?
Du und viele andere kennen Leontine Sagan nicht. Vielleicht
wuerden wir ihren Namen und ihre Filme kennen, wenn sie
laenger in Deutschland geblieben waere und mit den Nazis
kollaboriert haette.
Möglicherweise.
Sie hat also ihre Karriere nicht optimiert.
Talent ist nicht gleich Moral und
umgekaehrt. Ein Talent in eine Richtung bedeutet nicht bestes
Verständnis einer anderen. U.s.w.
Nein. Aber um mich noch einmal zu wiederholen: es ist auch
kein Freibrief dafuer, dass man Moral ausser acht lassen kann.
…sofern man überhaupt weiss, dass man in einem Fall einen speziellen moralischen Massstab anlegen muss. Leni Riefenstahl konnte es eben noch nciht wissen.
Grüße,
Mathias