Hallo Claudia,
Meine „politische“ Geschichte ist absolut untypisch. Gerade deshalb wollte ich sie dir erzählen. Manchmal bewegt sich in festgefahrenen Strukturen eben doch etwas.
Ich bin seit 4 Jahren hier ehrenamtliche Bürgermeisterin. 220 Seelen auf 814 ha. Sehr ländlich. Jaja, eine richtige Popelgemeinde.
Der Gemeinderat hat 7 Mitglieder , davon sind 2 Frauen. Eine bin ich, eine ist meine Mutter. Nein, mit den anderen bin ich nicht verwandt. Was aber bei 220 Einwohnern nicht wirklich etwas ändert.
Das Alter liegt zwischen 38 (ich) und 58 (meine Mutter).
Wir haben 2 Fraktionen. Ich bin parteilos (Wählergemeinschaft).
Vor 4 Jahren ist der alte Gemeinderat fast geschlossen nicht wieder zur Wahl angetreten. Das waren alles Herren zwischen 60 und 75. Sie waren sich einig, dass sie sich diese ganzen Pläne und Finanzkürzungen und derlei Dinge „von oben“ nicht mehr antun wollten, schließlich wäre dies ihr Lebensabend und nun sollten mal die Jungen dran. Und ich sollte der nächste Bürgermeister werden.
Guter Witz, hab ich gedacht.
Ich bin kein Bauer, ich hab nicht mal ein eigenes Haus. Ich habe drei Kinder, von denen zwei unehelicherweise das Licht der Welt erblickten. Den Vater des ersten hat hier nie jemand gesehen. Und das letzte hat mir zu der Zeit gerade die Bauchdecke von Innern zerbeult. Ich habe sogar schon mal von Sozialhilfe gelebt ( und das wissen alle ). Mir gehen ständig alle Blumen ein, weil ich vergesse sie zu gießen und Eintopf kann ich auch nicht kochen. Ich bin 34, gehöre keiner Partei an und ich bin eine Frau ! Wer soll mich denn wählen ? Wir sind hier auf’m Dorf !
Aber je länger ich darüber nachdachte, umso besser fand ich die Idee. Es gab wirklich niemanden, der das besser könnte. Ich (!) würde mich wählen. Außerdem : wann wird man schon gefragt, ob man Bürgermeister werden will ? Wär doch zu und zu schade, diese Gelegenheit nicht zu nutzen.
Also hab ich mich aufstellen lassen, und sie haben mich tatsächlich gewählt. Was mich heute noch verblüfft. Wir hatten in dem Jahr eine Wahlbeteiligung von über 80 Prozent und erstmals bekam nicht die CDU die Mehrheit.
Da gab es dann die Leute, die schrien „Gewonnen!“ und die, die murrten „Wollte denn wirklich niemand Bürgermeister werden ?“
Das erste Jahr war so eine Art Wildwasserfahrt.
Abwasser, Klärschlamm, Straßenbau, Finanzausgleichsgesetze, Steuern, Bauleitpläne, Landschaftspläne, … Alles, was man schon immer nicht wirklich wissen wollte.
Gemeinderat, Feuerwehr, Amtsausschuß, Wasserbeschaffungsverband, Schwarzdeckenunterhaltungsverband, Fischereigenossenschaft, Kindergartenbeirat,…
Goldene Hochzeiten, hohe Geburtstage, Beerdigungen, Einweihungen,… Und nix zum Anziehn :o).
Inzwischen geht es ziemlich gut. Die meisten haben akzeptiert, dass ich diese „Würde“ anders trage, als die Herren vor mir. Sicher hat die Gemeinde nie einen schwächeren Bürgermeister gehabt, als mich. Soll heißen, dass ich niemals etwas durchsetzen würde, nur weil ich „die Macht“ habe. Und wenn es in all den Jahren zuvor auch anders war, jetzt ist es eben nicht mehr so. Die Gemeinde hat auch noch nie einen so starken Gemeinderat gehabt. Und ich muß schon richtig nachdenken, damit mir wieder einfällt, wer zu welcher Fraktion gehört. Wir beraten uns. Wir wägen ab. Wir beschließen. Ich bereite vor und führe aus – oder drück es einem anderen aufs Auge. Mein Vertreter nimmt mir ohne viel Worte das eine oder andere ab, wenn ich in Druck bin. Viele Termine nehmen wir auch gemeinsam wahr. Und wenn ich weiß, da ist einer, der hat ein ernstes Problem damit, dass eine Frau mit ihm verhandelt, dann geht er auch allein. Das klappt wirklich gut. Nur die „Alten“ krümmen sich noch manchmal zusammen : Wenn das mal gut geht, der ist doch von der CDU!
Obwohl ich mich immer noch manchmal frage, welcher Teufel mich geritten hat, mir so eine Gemeinde ans Bein zu binden. Als ich meinen Vorgänger damals gefragt hab, wie viel Zeit die Bürgermeisterei so braucht, hat er nur was von „nicht so schlimm“ und „das schaffst du leicht“ gemurmelt. Die Wahrheit ist : Bürgermeister ist man den ganzen, lieben ,langen Tag. Es macht sehr viel Spaß und es ist eine wahre Plage.
Aber ob ich mich in einem Jahr wieder zur Wahl stelle ? Irgendwann muß ich ja auch mal wieder arbeiten, oder ? :o))))
Grüße
Heike