Während in anderen Fällen diese Disziplin positiv oder
mindestens neutral gewertet wird, muss der Süchtige immer
damit leben, dass er negativ bewertet bleibt, weil ihm die
Schuld für seine Krankheit zugeschoben wird. Voll und ganz.
Du magst Verallgemeinerung nicht und streichst dennoch hier
alle über einen Kamm -
Nein, das tue ich nicht. Ich habe bezogen auf die Diskussion sehr wohl differenziert und ausdrücklich geschrieben, dass es nicht alle Beiträge betrifft, allerdings die meisten.
Was die Stigmatisierung angeht, haben wir es mit einer Situation zu tun, die sicherlich die prägende Mehrheit in unserer Gesellschaft ausmacht. Ich bin an dem Thema beruflich und sogar sehr systematisch dran. Das ist also keine Spontanmeinung aufgrund eines Diskussionsbeitrags.
der Unterschied besteht m. E. darin,
dass sich viele Suchtkranke eben nicht gegen das Ausleben der
Sucht entscheiden (können). Überdies sind derartige
Entscheidungen z. B. bei Krebs i. d. R. schneller todführend
und werden (folglich) nicht so in/von der Öffentlichkeit
wahrgenommen, weil sich die Betroffenen häufig zurückziehen
und auch seltener als krank erkannt werden, während die Sucht
und ihre Folgen durchaus von vielen als „störend“ empfunden
werden.
Ich habe ganz bewusst über den Krebs hinaus erweitert. Nimm Diabetes, Herz-/Kreislaufkrankheiten, etc. Das sind alles Krankheiten, die sehr hausgemacht sind und mit rechtzeitiger „Disziplin“ entscheidend von den Betroffenen beeinflusst werden könnten.
Im Übrigen gibt es m. E. bei jeder Sucht die
Entscheidung des Süchtigen für das Ausleben der Sucht* während
dies z. B. bei vielen Krebserkrankungen nicht der Fall ist . .
Nochmal, ich habe den Krebs weit gehend ausgenommen. Wobei es auch da Krebsarten gibt, bei denen der Zusammenhang enger ist. Lungenkrebs, in Teilen Hautkrebs bspw.
* oder willst Du diese Fähigkeit zur freien Entscheidung bei
Suchtkranken in Frage stellen?
Ja. So pauschal genau das. Es ist eben Ausdruck der Sucht, dass die Entscheidung eben nicht mehr so frei ist. Jedenfalls ist die Entscheidung eines Patienten, der ein Mal bereits einen Herzinfarkt hatte, weil er stressig lebt, ungesund isst, sich nicht bewegt… und dann nichts an seinem Verhalten ändert sondern stramm auf den zweiten zusteuert wesentlich freier!
Der ist aber in aller Regel nicht einer solchen Stigmatisierung ausgesetzt, im Gegenteil - so erntet er noch im Job Anerkennung für dieses Fehlverhalten.
Mag sein, dass es tendenziell von weiten Teilen der
uninformierten Allgemeinheit so gesehen wird - wer sich
allerdings auch nur ein wenig mit der Problematik beschäftigt
(und wer in unserer Gesellschaft kommt nicht irgendwie mit
Suchtfolgen in Berührung?), wird es als schlimme Krankheit und
schweres Schicksal begreifen. Die von Dir skizzierte
Sichtweise ordne ich eher jenen zu, die sich eben nicht mit
der Problematik beschäftigen wollen und das für sich
ausschließen (wollen) in der Hoffnung, dann passiert mir sowas
schon nicht . . . 
Ich weiß nicht, wo du dich bewegst. Aber - noch einmal - ich beschäftige mich beruflich mit dem Thema sehr intensiv. (Wobei ich präzisieren will: mit dem Thema Sucht nur am Rande, es geht um Integration psychisch Kranker, da sind Suchtkranke nur eine Gruppe von vielen)
Deine Aussage, dass Suchterkrankung in der Mehrheit der Gesellschaft als schlimme Krankheit und schweres Schicksal begriffen wird, weil ja die Meisten irgendwie durch Berührungspunkte dahin kommen, ist schlicht falsch. Was u.a. ja auch gerade der Strang hier zeigt. Beim Thema Alkoholsucht hat das natürlich auch ganz simple Gründe, dass die Wahrnehmung verzerrt: Der erfolgreich trockene Alkoholiker ist ja völlig „normal“, unauffällig. Ins Gedächtnis einbrennen tun sich nur die negativen Fälle.
Was psychisch Kranke angeht und speziell das Thema Depression, so haben zwar die prominenten Fälle der letzten Jahre dafür gesorgt, dass minimal Aufklärung betrieben wurde. Aber die Vorurteile sind weiterhin noch sehr hoch. Die Konsequenzen für die Betroffene und ihre Integration insbesondere ins Berufsleben sind enorm.
Und was dabei am allermeisten prägt sind letztlich zwei Stränge: Die vermeintliche Unheilbarkeit bzw. lebenslange Rückfallgefahr, die rechtfertigt, dass man Abstand halten muss - und die den Betroffenen zugewiesene Schuld und Verantwortung für den eigenen Zustand, womit man sich selbst für das Abstandhalten „entschuldigen“ kann. Das Thema ist halt höchst negativ besetzt und unangenehm.