Hallo Franz,
Nun wirst auch du nicht sicher sein, ob die seinerzeitige
Verhaltensweise vielleicht mehr Menschen das Leben gerettet
oder doch mehr geschadet hat.
die These, dass man mit Schweigen und Nichtstun Menschenleben rettet, scheint mir doch etwas gewagt. Möglicherweise hat Bergoglio tatsächlich durch Fürsprache bei Videla und Massera die Freilassung von Jalics und Yorio erreicht, wie er seinen Biographen Sergio Rubin 2010 berichten ließ. Wenn das stimmt, kann man ihm zumindest nicht Gewissenlosigkeit vorwerfen - dass Bergoglio höchstselbst für die mißliche Lage der beiden verantwortlich war, widerlegt das freilich nicht.
Ansonsten weiss Rubin an Positivem lediglich vage zu berichten, Bergoglio habe Verfolgten Unterschlupf und Hilfe angeboten. Darüber, ob solche Angebote auch tatsächlich gewährt wurden, schweigt sich Rubin bzw. Bergoglio aus - es hat wohl nicht sollen sein. In solch einem Fall könnte man dann ja auch Namen nennen. Da das Hauptanliegen der Biographie ‚Der Jesuit‘ ziemlich offensichtlich darin besteht, einen Mohren weiss zu waschen, ist es ziemlich bezeichnend, dass es da nicht Exkulpierenderes zu berichten gibt - Rubin hätte damit wohl kaum hinterm Berg gehalten, wenn es denn exitierte.
Mir scheint, wenn Papst Franz durch seine „seinerzeitige Verhaltensweise vielleicht […] Menschen das Leben gerettet“ hat, dann hat er das allenfalls dermaßen unauffällig getan, dass es keiner gemerkt hat …
War seine persönliche Gefährdung ausschlaggebend für sein
Verhalten?
Das weiss nur er selbst - aber darum ging es gar nicht, sondern darum, dass Billis „Argument“ völlig unsinnig ist. Ein Jesuiten-Provinzial hat in einer klerikalfaschistischen Diktatur, wie es die Videlas war, nicht nur größere Möglichkeiten, öffentlich Stellung zu beziehen (und damit eine größere Verantwortung) als ein x-beliebiger Bürger, er setzt sich auch in deutlich geringerem Maße damit einer persönlichen Gefahr aus. Auch ein Graf von Galen konnte im 3. Reich straflos öffentlich Dinge äußern, für nahezu jeder andere hingerichtet worden wäre. Um nicht mißverstanden zu werden - dass auch für Graf Galen ein Risiko bestand und für Bergoglio eines bestanden hätte, will ich damit nicht in Abrede stellen. Aber man kann einen Prälaten nicht einfach damit von jeder Schuld und Verantwortung freisprechen, indem man darauf verweist, dass ein Herr Müller oder Herr Meier in dieser Lage möglicherweise auch so gehandelt hätte. Ein jesuitischer Ordensprovinzial und erst recht ein Papst Franz ist nun mal kein Otto Normalverbracher - er muss sich schon gefallenlassen, dass man an ihn etwas andere Maßstäbe anlegt.
Man sollte die Einflussnahme einzelner Personen nicht
überschätzen.
In solchen Lagen geht es weniger um „Einflussnahme“ als um moralische Integrität.
Und geschicktes Verhalten (darunter auch
Entgegenkommen und vielleicht sogar Kooperation) hinsichtlich
Schadensabwehr nicht unterschätzen.
Wer sich durch „geschicktes Verhalten“ moralisch kompromittiert, mag zwar mit sich selbst möglicherweise im Reinen sein. Als Repräsentant einer Organisation, die mit hochmoralischen Ansprüchen antritt, disqualifiziert man sich damit. Bzw. man macht deutlich, dass diese moralischen Ansprüche wohl nur für das Fußvolk gedacht sind - während Praläten da ihre eigenen Maßstäbe setzen dürfen.
Freundliche Grüße,
Ralf