Hi.
Dass Elimelech gestern im Board ´Religionswissenschaften´ eine sehr eigenwillige Variante des postmodernen Ideals eines Werte- und Wahrheitsrelativismus präsentierte, hat mich dazu angeregt, ein auf Eis gelegtes Threadprojekt über „Postmoderne - Pro und Contra“ wiederzubeleben.
Was ist Postmoderne? Dieser Begriff bezeichnet, wie schon angedeutet, seit den 1970ern eine Geistesströmung, die in Distanz zu den bis dahin als modern erachteten Werten und Wahrheitsansprüchen geht, also zu den Idealen der Moderne, d.h. der Aufklärung und der ihr folgenden Epochen bis zur Mitte des 20. Jh., welche z.B. sind:
(1) die Überwindung des theologischen Denkens, das Wahrheitsansprüche auf institutionelle Autorität und auf „Offenbarung“ gründet, zugunsten empirischer Methoden, die objektiv nachprüfbare Befunde gestatten, oder kurz: Vernunft statt Glaube.
(2) die Festlegung eines universellen Menschenrechtskanons nach rationalen statt nach theologischen Kriterien
(3) der „Diskurs“ als ein Medium, in dem Wahrheitsansprüche nach rationalen Argumentationsverfahren öffentlich diskutiert und abgewägt werden. Ein Wahrheitsanspruch, der sich der öffentlichen Debatte entzieht, weil er nicht nachprüfbare „Offenbarungswahrheiten“ zugrunde legt, gilt als irrational und antimodern.
Postmodern denken heißt dagegen, Wahrheitsansprüchen auch dann nicht zu widersprechen, wenn sie mit der eigenen Auffassung von Wahrheit nicht übereinstimmen. In diesem Sinne sind z.B. Islam-Apologeten postmodern und Islam-Kritiker modern.
Erstere gestehen dieser „Religion“ den Anspruch auf die verkündeten angeblichen Wahrheiten zu, auch wenn sie von dieser Wahrheit selbst nicht überzeugt sind. Sie tolerieren diese Wahrheitsansprüche sogar, wenn diese sich zu den moralisch-ethischen Normen der eigenen westlichen Wertegemeinschaft in diametralem Gegensatz befinden (z.B. persönliche Unfreiheit vs. persönliche Freiheit). Ihr Grundsatz lautet: Meine Werte und Wahrheitsansprüche stehen nicht über den Werten und Wahrheitsansprüchen anderer Gruppen.
Letztere, die Kritiker, halten an den Idealen der Moderne fest und behaupten eine Hierarchie von Werten und Wahrheitsansprüchen. Ich selbst gehöre, wie hier jeder weiß, dazu.
An diesem Punkt lässt sich bereits eine Schwäche des postmodernen Prinzips des Nivellierens, des Gleichmachens, erkennen: Es wird gleichgemacht, was gar nicht gleich ist. Beispiel Islam: Diese „Religion“ behauptet ja, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein, steht damit also in extremem Gegensatz zum Ideal des Werte-Relativismus. Der Postmoderne toleriert, was er inhaltlich gar nicht tolerieren dürfte, da es seinem Ideal widerspricht.
Ein weiterer innerer Widerspruch des postmodernen Relativismus ist der sog. „performative Selbstwiderspruch“: Der Postmoderne behauptet, keine Wahrheit als absolut anzuerkennen, insistiert aber auf der absoluten Wahrheit seines Ideals. Hätte dieses Ideal für ihn keine absolute Geltung, wie könnte er ihm dann systematisch anhängen?
Der Postmoderne, der Relativist, ist also, wie an zwei Beispielen gezeigt, unvermeidlich in einem logischen Selbstwiderspruch gefangen: Er sagt „hüh“ und „hott“ zugleich.
Der verdienstvolle Inspirator dieses Threads, Elimelech, hat gestern auf diesen Widerspruch allerdings noch eins drauf gesetzt: Er behauptet nicht nur, dass die monotheistischen Religionen über ein (so wörtlich) „Wissen“ verfügen, sondern sogar, dass ein solches „Wissen“ auch dann als Wissen anzuerkennen ist (bzw. anerkannt werden muss), wenn man dieses „Wissen“ für falsch hält.
Kollege Elimelech entkoppelt den Wahrheitsanspruch also vollständig vom Wissen: Dieses ist im Fall der monotheistischen Religionen nicht ein Bewusstsein von Fakten (= der einzig vernünftige Wissensbegriff ), sondern besteht aus nicht diskutierbaren und nicht nachprüfbaren Ideen eines Kollektivsubjekts, d.h. einer religiösen Gruppe. Man darf, so E., zwar an der Wahrheit dieses „Wissens“ zweifeln, man muss es aber trotzdem als „Wissen“ anerkennen.
Seine Auffassung hält unser Wissensexperte für wahrhaft modern und für die ultima ratio. Wer an ihr Zweifel übt, ist „unwissend“.
Viel weiter zurück in die Vergangenheit kann meines Erachtens der post-moderne Denkmodus nicht mehr fallen: Hier ist er endgültig auf das prä-moderne, also vor-aufklärerische Niveau gesunken.
Wie denken nun die Leser über den Widerstreit von Moderne und Postmoderne?
Gibt es eine Hierarchie von Wahrheitsansprüchen aufgrund einer Hierarchie der Wahrheitsfindungsmethoden (Wissenschaft vs. Glaube)?
Haben auf der Ebene der Werte die Menschenrechte eine universelle, also absolute Geltung oder stehen sie auf der selben Ebene wie die Werte religiöser Gruppen, z.B. der drei monotheistischen Religionen?
Chan