Hallo Mohammed,
Einem einsprachigen Chinesen zu erklären, warum Meisterwerke
von Shakespeare oder Goethe das Gedicht von Amateur XY
übertreffen, ist nicht besonders sinnvoll. Dies erst recht,
wenn der Chinese literarisch völlig unberührt ist. Wirklich
erschließt sich darum die literarische Unnachahmlichkeit des
Koran nur jemandem, der die hocharabische Sprache beherrscht
und zugleich in höherer Literatur und Dichtung zu Hause ist.
Du machst es Dir zu einfach. Nachdichtungen sind Gang und Gäbe, Shakespeares Sonnete sind verschiedentlich ins Deutsche nachgedichtet worden, z.B. hier: http://de.wikisource.org/wiki/William_Shakspeare%27s… , ebenso die „Illias“ von Homer: http://www.digbib.org/Homer_8JHvChr/De_Ilias_.pdf , die Odyssee: http://www.digbib.org/Homer_8JHvChr/De_Odyssee_.pdf , die Sinngedichte des Omar Khayyam : http://gedichte.xbib.de/gedicht_Khayyam.htm , das (wunderbare!) chinesische Tao Te King des Lao-Tse : http://www.das-klassische-china.de/Tao/Ubersicht%20d… , usw.
Und ich bin sicher, dass es auch Nachdichtungen von Shakespeares Gedichten ins Chinesische gegeben hat.
Nachdichtungen sind also gar nichts Unübliches. Wieso sollte man also nicht zumindest Teile des Koran nicht nur übersetzen, sondern auch nachdichten können, wenn doch die Dichtkunst angeblich das sein soll, was den Koran so auszeichnet? Natürlich wird eine Nachdichtung nie genauso sein wie das Original, aber zumindest könnte es einem des Arabisch Unkundigen einen Eindruck vermitteln, wie der Koran gedichtet ist.
Ich gebe Dir noch ein Beispiel was ich meine: Das mittelhochdeutsche Nibelungenlied wurde von George Henry Needler ins (moderne) Englisch übersetzt.
Die erste Strophe des Nibelungenliedes lautet bekanntlich auf Althochdeutsch:
Uns ist in alten mæren / wnders vil geseit
von heleden lobebæren, / von grôzer arebeit,
von frevde vn– hôchgecîten, / von weinen vn– [von] klagen,
von kvner recken strîten / mvget ir nv wnder horen sagen
Die neuhochdeutsche Übersetzung von Karl Simrock:
Viel Wunderdinge melden / die Mären alter Zeit
Von preiswerten Helden, / von großer Kühnheit,
Von der Freude Festlichkeiten, / von Weinen und von Klagen,
Von kühner Recken Streiten / mögt ihr nun Wunder hören sagen.
Und die englische Übersetzung von George Henry Needler:
To us in olden story / are wonders many told
Of heroes rich in glory, / of trials manifold:
Of joy and festive greeting, / of weeping and of woe,
Of keenest warriors meeting, / shall ye now many a wonder know.
http://www.gutenberg.org/dirs/etext05/niebn10h.htm#A1
So hat eben jemand, der weder mittelhochdeutsch noch neuhochdeutsch spricht, wohl aber englisch, einen Eindruck nicht nur vom Inhalt des Nibelungenliedes, sondern auch von dessen Form.
Und nun frage ich mich, warum das für den Koran entsprechend nicht ebenfalls möglich sein soll, diesen nachzudichten.
Wie gesagt, ein paar Verse des Koran oder nur die letzte Sure, die ja wohl ganz kurz ist, würden mir schon reichen.
Gruß Jasper.