Hallo Paran
Es ging mir nicht um die Grenzziehung zwischen Humor und Spott oder Beleidigung.
Darum ging es mir auch nicht - vielmehr darum, aufzuzeigen, dass eine solche Grenzziehung objektiv gar nicht möglich, sondern immer subjektiv ist. Das eigentliche Problem hier ist nicht Grenzziehung, sondern Differenzierung - und eine solche lässt Deine Ausgangsfrage in der Tat vermissen. Und die oben zitierte Bemerkung von Dir lässt befürchten, dass Dir an einer differenzierten Antwort auch gar nicht gelegen ist. Trotzdem will ich eine solche einmal versuchen.
Wie die Antworten hier zur Genüge gezeigt haben, ist die Unterstellung, Menschen, die sich zu einer Religion bekennen, hätten keinen Humor, schlicht unzutreffend. Dies trifft nicht einmal zu, wenn sich der Humor auf die eigene Religion richtet - nur ziehen diese Menschen die Grenzen zwischen akzeptablem Humor und beleidigendem / verletzendem Humor in der Regel enger als Menschen, die dieser Religion nicht angehören. Wohlgemerkt - das ist keine Grenzziehung zwischen Humor und Beleidigung. Humor ist nicht per se harmlos - es gibt Menschen, die bestimmte Arten des Humors als beleidigend oder gar menschenverachtend empfinden und es gibt Menschen, die das dessenungeachtet lustig finden - nicht zuletzt gerade deswegen, weil andere Menschen sich dadurch herabgesetzt und verletzt fühlen und man sich durch die ‚humorvolle‘ Verächtlichmachung dieser Menschen bequem über sie erheben und sich im Gefühl der Überlegenheit sonnen kann. Um so schöner, wenn einen dann auch noch die staatliche Ordnung weitgehend vor handgreiflichen Konsequenzen solchen Verhaltens schützt. Wobei - um dies nochmals zu betonen - ich die permissive Haltung unseres Rechtssystem hier gar nicht Frage stellen möchte. Aber es ist durchaus sinnvoll, solche Formen des Humors bzw. diejenigen, die sich daran delektieren, moralisch zu hinterfragen. Ein Herr Nuhr (um auf die aktuell durchs Dorf gehetzte Sau zu verweisen) etwa mag ja - zumindest an anderen Comedians gemessen - noch eine halbwegs intelligente Show machen, aber sein Islambashing appelliert lediglich beifallheischend an kleinbürgerliche Ressentiments und Vorurteile. Das ist nur Schielen auf billige Lacher, wobei er ziemlich perfide mit Vergröberungen, Verallgemeinerungen usw. usf. arbeitet. Nun darf man eine differenzierte Auseinandersetzung mit Religion sicher nicht von einem Bühnenkasper erwarten - aber mit aufklärerischer Religionskritik hat so etwas nun wahrlich auch nichts zu tun. Wobei die Anzeige gegen ihn natürlich nicht nur abwegig und völlig ohne Aussicht auf Erfolg ist (weswegen ich zuerst den Verdacht einer von Nuhr selbst initiierten PR-Aktion hatte) - sie tut ihm einfach zu viel der Ehre an. Ich zumindest finde diese Art seichten Humors nicht witzig - ich kann sie aber auch als Religionskritik nicht ernst nehmen. So anspruchslos bin ich weder beim einen noch beim anderen.
Warum ist es sinnvoll, Humor auf seine moralische Qualität abzuklopfen? Ganz einfach, weil innerer Friede und Harmonie in einer Gesellschaft (und damit ihre Stabilität) vor allem auf dem gegenseitigem Respekt und der Achtung ihrer Mitglieder voreinander basieren und bestimmte Formen des Humors geeignet sind, beides zu untergraben. Als Extrembeispiel sei hier auf die in diesem Zusammenhang immer wieder (zu Recht) angeführten antisemitischen Karikaturen und Witze des „Stürmer“ unseligen Angedenkens verwiesen. Ist das Humor? Ja. Es gab (und gibt immer noch) Leute, die darüber lachen können. Sind die nun besonders humorvoll? Man kann möglicherweise darüber streiten, ob solche Formen des Humors hierzulande zu Recht verboten sind - wie sie moralisch zu werten ist, sollte hingegen nicht wirklich ein Streitthema sein.
Weil innerer Friede und Harmonie in einer Gesellschaft nicht mehr als ein schönes Ideal ist, gibt es Gesetze, die freilich nicht mehr als einen Notbehelf darstellen. Solche Gesetze beruhen in einer freien und demokratischen Gesellschaft grundsätzlich auf einem unausgesprochenen Konsens darüber, wo Grenzen zu ziehen sind - z.B. die zwischen Humor, den man ertragen muss und Humor, der die öffentliche Ordnung stört (das ist jedenfalls der entscheidende Straftatbestand im sog. Gotteslästerungsparagraphen des StGB). Wobei die gesetzliche abstrakte Regelung natürlich bei ihrer Anwendung auf konkrete Einzelfälle einer Klasse ausgebildeter Spezialisten bedarf, die mit der Wahrnehmung des Amtes richterlicher Entscheidung beauftragt sind.
Ich will jetzt hier nicht weiter auf Einzelheiten eingehen - der entscheidende Punkt um den es hier geht, ist der oben angesprochende gesellschaftliche Konsens darüber, welches Maß von Humor für den, der sich dadurch herabgesetzt und / oder beleidigt fühlt, als erträglich zu gelten hat. Hier lässt sich feststellen, dass dieser Konsens einem permanenten Wandel unterworfen ist - in historischer Hinsicht aber auch in Hinsicht auf das kulturelle Substrat der Gesellschaft, in der sich ein solcher Konsens bildet. So sollte es eigentlich nicht verwunderlich sein, dass der angesprochene Konsens in kulturell stark verschiedenen Gesellschaften auch sehr unterschiedlich aussehen kann. Das heisst nicht, dass Gesellschaften mehr oder weniger humorvoll / humorlos sind. In den USA beispielsweise sind selbst krass rassistische Witze über Muslime durchaus gesellschaftsfähig - wenn man jedoch in diesen Kreisen amerikanische Kultur- und Bildungsferne oder gar amerikanischen Patriotismus zur Zielscheibe von Witzen macht, wird man auf ein ganz erhebliches Maß an ‚Humorlosigkeit‘ stoßen. Unterschiedliche Kulturen habe da unterschiedliche Tabus bzw. definieren sich ihre eigenen humorbefreiten Zonen. Auch ist zu beachten, dass der diesbezügliche Konsens stets Ausdruck von Mehrheitsauffassungen ist und nicht der eines gesellschaftlichen Einvernehmens - daher notwendig nie unbestritten bleibt.
Um nun auf die Spezialfrage des Konsenses über ‚erlaubten‘ und ‚unerlaubten‘ Humor zurückzukommen, so ist natürlich festzustellen, dass der Gegenstand des Humors hier einen entscheidenden Faktor darstellt. Es ist richtig, dass es bei religiösen Gegenständen besondere Empfindlichkeiten gibt und gerade hier die Akzeptanz zwischen Anhängern der betreffenden Religion und Nichtanhängern stark differiert. Grund dafür ist der Grad der Identifikation mit dem Gegenstand des Humors. Wie ich in meiner ersten Antwort schon angedeutet habe, empfindet ein einer bestimmten Religion stark verbundener Mensch Äußerungen über seine Religion, die er subjektiv als beleidigend und herabsetzend empfindet, auf Grund dieser Identifikation auch als persönlich beleidigend und herabsetzend - also gegen seine Person gerichtet. Eine Verbindung mit Humor mildert das nicht etwa ab, sondern verstärkt diesen Effekt, wird er damit überdies auch noch öffentlich lächerlich gemacht.
Nicht zu vernachlässigen ist auch der Grad der - wenn auch unausgesprochenen - Bedrohung, die damit verbunden ist, wenn sich jemand beleidigt, herabgesetzt und lächerlich gemacht sieht. Das erklärt, warum etwa ein Jude auf einen Witz über krumme Nasen (insbesondere, wenn ein deutscher Goi ihn erzählt) empfindlicher reagieren dürfte als eine blonde Ostfriesin auf einen Blondinenwitz. Ostfriesen und Opelfahrer sind hierzulande wohl eher weniger in Gefahr, gesellschaftlich diskriminiert und ausgegrenzt zu werden als beispielsweise muslimische Migranten. Humor ist eben nicht per se und in jedem Fall harmlos.
Kommen wir noch kurz auf die historischen Wurzeln des ‚Religionstabus‘ im Humor. Religion ist einer der wesentlichen kulturellen Faktoren, über die sich soziale Gruppen definiert haben. Deutlich älter als Ethnie oder protostaatliche Organisationsformen und in Bezug auf ihr Alter lediglich jünger als verwandschaftliche Bindungen. Das bedeutet, dass Religion - von der jüngsten Geschichte in den säkularen westlichen Gesellschaften einmal abgesehen - ein wesentliches Bindeglied und Stabilitätsmoment menschlicher Gemeinschaften und insbesondere die Uniformität religiös-kultischer Praxis Selbstversicherung der Uniformität der Gemeinschaft und damit ihrer Stärke gegenüber äußeren Bedrohungen war. Das heisst, dass religiöses Abweichlertum mit einer Schwächung und damit Gefährdung der sozialen Gemeinschaft gleichgesetzt und entsprechend sanktioniert wurde. Belege aus sehr unterschiedlichen Zeiten und Kulturen wären da etwa der Prozess und die Hinrichtung des Sokrates, die (freilich durch christliche Autoren stark übertriebene) Christenverfolgungen im römischen Imperium und die Aufhebung des Ediktes von Nantes durch Ludwig XIV. Verteidigt wurde die gesellschaftliche und religiöse Uniformität durch ein religiöses Begründungsmuster, bei dem der Begriff der Ordnung eine zentrale Rolle spielt. Diese Ordnung wurde (und wird) vorgestellt als eine Art ‚Vertrag‘ zwischen der Gesellschaft (nicht dem Einzelnen) und numinosen Kräften, wobei eine ‚Vertragsverletzung‘ durch Einzelne als Störung der göttlichen Ordnung auf die Gesellschaft als Ganzes (nicht nur den Einzelnen) in Form von Strafen zurückfällt. Das heisst, der Gläubige wird für den Verletzer der göttlichen Ordnung in Mithaft genommen, weil er dessen Tun nicht unterbindet. Auch Duldung (moderner formuliert: Toleranz) ist strafbar. Dass durch solche Begründungsmuster natürlich auch sehr menschlich-profane Herrschafts- und Gewaltausübung lediglich ein religiöses Mäntelchen umgehängt bekam, bedarf wohl keiner näheren Erläuterung - trotzdem funktionierte dies als weitgehend akzeptiertes Begründungsmuster. Belege für eine besonders brutale Durchsetzung religiösen Uniformitätszwanges finden sich in großer Menge im sog. ‚Alten Testament‘ der Bibel - und solch ‚religiöser Eifer‘ galt bis weit in die Neuzeit hinein als fromm und vorbildlich. Entsprechend war der gesellschaftliche Konsens bezüglich akzeptablen Humors in Bezug auf die christliche Religion auch ein völlig anderer als der heutige. Die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft, also dass Religion Privatsache ist, ist historisch gesehen eine noch recht junge Idee, die in islamischen Kulturen bei weitem (noch) nicht die Akzeptanz findet, die sie in westlichen Gesellschaften hat. Ob uns das das Recht gibt, von diesen Gesellschaften die Anpassung an unsere Werte einzufordern, ist eine andere - durchaus bedenkenswerte - Frage. Dass wir das Recht haben, eine solche Anpassung von Migranten zu fordern, die dauerhaft bei uns leben wollen, sehe ich hingegen nicht in Frage gestellt. Auch nicht von der überwältigenden Mehrzahl dieser Migranten.
Noch ein paar weitere Anmerkungen:
Nicht, dass ich das gleichsetzen würde, aber eine Gemeinsamkeit gibt es da schon: rassistischer Humor unterstellt bestimmten Menschen eine biologische Minderwertigkeit, Witze über Religion unterstellen den Gläubigen dieser Religion eine intellektuelle Minderwertigkeit.
Unterstellen? M.W. ist das sogar statischtisch belegt, aber der Unterschied ist eben nur statistisch relevant, also recht gering.
Ich will mich jetzt nicht über die Seriosität solcher Statistiken auslassen (dazu gehörte eine genaue Analyse der angewandten Methoden). Ich verlasse mich da auf meine persönlichen Erfahrungen - ich habe im Laufe meines Lebens strunzdumme Atheisten und hochintelligente Christen und Muslime kennengelernt. Das Gegenteil war natürlich auch der Fall. Wie ich das nun quantitativ und qualitativ gewichten sollte (falls mich das interessieren würde) - sorry, dazu habe keine Idee. Wer sich allerdings schon einmal mit der statistischen Auswertung von Intelligenztests befasst hat (habe ich, lange ist’s her), der weiss um die Problematik des Begriffs Intelligenz. Es gibt da den Grundsatz: „Intelligenz ist das, was ein Intelligenztest misst“. Mit anderen Worten: das Ergebnis ist wesentlich durch die Art des Tests bzw. der Befragung vorgegeben.
Kritischer, intelligenter Humor kann auch zum Nachdenken anregen oder Missstände aufs Tapet bringen - das war eher die Richtung von Humor, an die ich gedacht hatte.
Das ist zweifellos richtig, wobei man darüber, was „intelligenter Humor“ ist, durchaus geteilter Meinung sein darf. Der entscheidende Punkt ist doch, was darauf folgt - werden da Brücken für einen Dialog aufgebaut oder nicht vielmehr abgebrochen? Wo liegen da die Interessen z.B. des Witzbolds Dieter Nuhr? Anders gefragt: was bewirkt so jemand bei seinem Publikum? Nachdenken? Eher nicht. Als Gegenbeispiel mal so was: http://www.youtube.com/watch?v=TsWLyy8Uin0 bzw. http://www.youtube.com/watch?v=3q0uLtWxAjU
Religiöse Witze erzeugen oft wesentlich mehr erbitterten Widerstand, als alle anderen Themen des Humors.
Besonders wird da immer Respekt gefordert, Respekt vor dem „Glauben“
Was gefordert wird, ist mir eigentlich egal. Ich habe keinen Respekt vor irgendeinem Glauben. Aber ich respektiere Gläubige - nicht mehr und nicht weniger als Ungläubige. Es gibt natürlich Menschen, deren Handeln ich nicht respektiere - das hat dann allerdings weder mit deren Glauben noch Unglauben etwas zu tun.
Da wird mit zweierlei Maß gemessen.
Darum gehts.
Lies noch mal nach, was ich oben zum Thema ‚Bedrohung‘ geschrieben habe. In manchen Fällen ist es angebracht, mit zweierlei Maß zu messen. Humor kann auch geistige Brandstiftung sein. Um die Abschlussbemerkung H. Rethers aus dem zweiten oben verlinkten Video zu zitieren: „Wehe uns, wenn hier demnächst die Moscheen brennen. Dann will’s wieder keiner gewesen sein.“ Abwegig? Übertrieben? Nur mal eine kleine, unvollständige Presseschau der letzten Wochen:
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/brandansch…
http://www.nw-news.de/owl/kreis_lippe/bad_salzuflen/…
http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2014-0…
Im Jahr 2012 35 Brandanschläge auf Moscheen in Deutschland, 2013 waren es 36. Von den vergleichsweise harmlosen wenn auch deutlich zahlreicheren Schändungen von Moscheen mit Hakenkreuzschmierereien, Schweineblut oder Scheisse, von falschen Bombendrohungen usw. will ich gar erst reden. Es gibt dafür auch schon einen Begriff: „Schleichende Kristallnacht“. Mir würde da als Muslim auch der Humor vergehen. Von Brandanschlägen auf Nagel- oder Sonnenstudios, weil sich da bevorzugt Blondinen aufhalten, ist mir hingegen nichts bekannt.
Freundliche Grüße,
Ralf