Hi Rainer,
ich habe das Buch gelesen und obendrein „Beckmann“ und „Hart aber fair“ gesehen.
„Beckmann“ war meiner Meinung nach unter aller Sau. Es ist kein fairer Umgang einen Gast gegen 5 andere zu platzieren. Es ist journalistisch bedenklich als Moderator nicht neutral zu bleiben. Man muss einen Gast aussprechen lassen und nicht 5 andere fallen ihm immer wieder ins Wort. Man hätte das Buch lesen und verstehen sollen bevor man sich äußert.
Sarrazin hat in dem Buch kaum auf die Aspekte abgehoben, die ihm jetzt andauernd angekreidet werden. Er ist Ökonom, ein Mensch der Zahlen, dabei auch etwas weltfremd und Statistik-orientiert. Rhetorisch nicht sonderlich begabt und Schlaganfall oder sonstiges, als Sprecher verlangsamt und eingeschränkt. Da ist es zum einen doppelt unfair ihn alleine gegen 5 Angreifer zu stellen und zum anderen wurde er, indem man thematisch permanent nur um die Gene kreiste, auf’s Glatteis geführt weil der Diskussionmittelpunkt damit immer nur die reininterpretierten, aber im Sinne des Buches gar nicht relevanten genetischen Streitpunkte ging. Sarrazin hat sich da auf eine ungeschickte Diskussion eingelassen, in der er sich natürlich verhaspeln musste, sowohl fachlich wie auch rein sprachlich und argumentativ in einer solchen Runde.
In meinen Augen war diese Sendung ein Tiefpunkt deutscher Talkshow-Kultur, genauso wie der Rauswurf von Eva Herman bei Kerner - und das hat erstmal gar nicht mit dem Thema und den Thesen der Gäste zu tun, sondern allein der Konstellation der Runde und der Gesprächsführung.
Insofern widerstrebt es mir auch, wenn intelligente Menschen - wie auch du - sich nur an den verqueren, von Kritikern in den Mittelpunkt gezerrten Nebenkriegsschauplätzen aufreiben und den Autor auf ungeschickten Aussagen in Metadiskussionen festnageln, anstatt sich seinem eigentlichen Thema zu widmen und erstmal unvoreingenommen zu schauen, was denn wirklich geschrieben und gemeint ist.
Es geht in Sarrazins Buch um die Zukunft Deutschlands. Wohin entwickeln wir uns wenn immer mehr Menschen von staatlichen Leistungen leben, aber immer weniger die Staatskassen füllen? Da wir im internationalen Vergleich vor allem durch Bildung bestehen können kommt Sarrazin auf die Bildungsmisere zu sprechen und tritt ein für Fleiß, Streben nach Bildung und Eigenverantwortung.
Es geht dabei keineswegs nur um Ausländer oder gar Muslime, sondern ganz allgemein bildungsferne Millieus, also auch die deutsche Unterschicht. Rein ökonomisch betrachtet stellt Sarrazin allerdings fest, dass Einwanderer aus islamischen Ländern Deutschland mehr Kosten verursachen als einbringen und der Staat das nicht reguliert weil er viele Leistungen nicht an Gegenleistungen koppelt, also z. B. der Bezug von Transferleistungen nicht an die Bedingung geknüpft ist, deutsch zu lernen oder andere Integrationsbemühungen einzubringen. Das ist um so verwunderlicher als viele türkisch-arabische Einwanderer ihr Gastland verachten, sich zugleich aber nicht zu schade sind, die Leistungen des Sozialstaats abzugreifen.
Sarrazin führt dann aus, dass es sich für die unteren Einkommensschichten eher lohnt viele Kinder zu haben weil sich damit das Familieneinkommen erhöht, wobei die Mehreinnahmen aber oft zweckentfremdet werden, also nicht etwa den Kindern zugute kommen, sondern z. B. der Flachbildfernseher davon gekauft wird.
In diesem Zusammenhang geht es dann darum, dass Bildung/Intelligenz zu einem gewissen Anteil nicht durch Sozialisation und guten Schulunterricht hervorgerufen wird, sondern teilweise auf Vererbung beruht und sich die mäßige Bildung mancher Schichten negativ auf das Bildungsniveau des ganzen Volkes auswirkt.
Bekannt ist, dass sich Einwanderer aus Ostasien, den EU-Ländern und Osteuropa meist schnell integrieren, während muslimische Einwanderer es nicht tun - und das nicht nur in Deutschland, sondern die Probleme sind in fast allen europäischen Ländern gleich. Es gibt dazu ausreichend Zahlenmaterial und auch hierzulande sind die Aussagen von Buschkowsky, dem Neuköllner Bezirksbürgermeister oder der verstorbenen Jugendrichterin Heisig eindeutig. Offenbar unterscheidet sich eine bestimmte Einwanderergruppe deutlich von anderen Migranten, die sich spätestens in der 2. Generation gut integriert haben, abhebt.
Sarrazin ist daher für eine durchdachte Einwanderungspolitik, bei der Kindergartenbesuch, Ganztagsschulen usw. zum Konzept gehören, wo der Erwerb von Sprachkenntnissen und die Bemühung um Eingliederung in die hiesige Gesellschaft erwartet wird.
Er zitiert Zahlen und Statistiken, beruft sich auf Studien… Man kann seine rein auf der Basis von Zahlen/Statistiken aufgebaute Argumentation lebensfremd finden, vielleicht an der ein oder anderen Stelle zu anderen Schlüssen kommen (ich halte es auch für zu hoch gegriffen wenn er schreibt, dass Intelligenz zu 50-80% vererbt sei) - aber es ist hahnebüchen aus diesem Buch eine rassistischen Hetzschrift zu machen.
Ich halte Sarrazin seit langem für einen Provokateur, teile manche seiner Ansichten nicht. Aber mir ist wichtig, dass man in diesem Land seine Meinung äußern darf und nicht jede kritische Äußerung zu Missständen bei der Integration etc. als rechtspopulistisch hingestellt und der Redner oder Schreiber mundtot gemacht wird. Und genau das passiert hier: man beschäftigt sich nicht mit den Thesen und nachprüfbar wahren Aussagen, sondern springt allein auf Schlüsselworte wie „Migration“, „Intelligenz“ und „Vererbung“ an ohne überhaupt den Sinnzusammenhang sehen zu wollen, in dem Sarrazin darüber schreibt und ohne zu hinterfragen, ob auch ein Wahrheitsgehalt in den Aussagen liegen könnte.
Allein die Tatsache, dass es wieder mal eine Veröffentlichung von Sarrazin gibt, reichte schon um ein Medienecho hervorzurufen - denn der Mann ist ja als Provokateur bekannt und immer für einen Skandal gut. Also wird dramatisiert, egal worum es geht. Dass der Mann jetzt auch noch ausgerechnet die deutschen Tabuthemen angeschnitten hat - ja, da MUSS natürlich ein Eklat produziert werden, ganz egal ob der Stoff des Buches das inhaltlich hergibt oder nicht.
Man verdreht Sarrazin das Wort im Munde, drückt ihn in eine geistige Ecke, in die er überhaupt nicht gehört, diskutiert über Genetik obwohl das eigentlich nicht sein Thema ist. Man legt den Fokus des Interesses auf genetische Detaildiskussionen, drängt den Mann damit in eine Ecke drängt und dort verhaspelt er sich, oh Wunder, früher oder später mangels Sachkenntnis und weil 5 Inquisitoren auf ihn einreden. Wobei es sicherlich auch sehr ungeschickt von Sarrazin war, sich diesen Diskussionsschwerpunkt überhaupt aufdrücken zu lassen, anstatt über sein eigentliches Thema, Finanzen und Demografie, zu reden.
Ich kann jetzt nicht jede einzelne Aussage Sarrazins bei „Beckmann“ erinnern, sehe die ganze Sendung und viele Aussagen dort aber als nicht valide Einlassungen. Wenn man jemanden ins Kreuzverhör nimmt, nicht ausreden lässt, wie in Talkshows üblich das Zitieren irgendwelcher Quellen oder Zahlen sofort unterbindet und damit auch die Sarrazinsche Argumentationsweise im Keim erstickt - das sind „Verhörmethoden“, von denen ich gehofft hatte, dass es sie seit 1945 im Westen und 1989 auch im Osten nicht mehr gibt.
Ohne dir da etwas unterstellen zu wollen, aber ich finde es bedenklich wenn man nur solche unter Druck und sehr unzulänglichen Bedingungen getätigte Aussagen wie bei Beckmann sieht, dann nicht mehr bereit ist sich mit der eigentlichen Grundlage, hier dem Buch, zu beschäftigen um dennoch zu einem Gesamturteil zu kommen. Das ist eine Art der Beurteilung und des Umgangs mit einem Menschen in der Öffentlichkeit, die unsäglich ist und wo ich für Sarrazins Redefreiheit eintrete auch wenn mir der Mann selber nicht sympathisch ist.
Gruß,
MecFleih