Schulreform Hamburg

Hallo Experten,

zum vielleicht ersten Mal dürfen Bürger ja per Volksentscheid entscheiden, ob die Schule in Hamburg radikal reformiert werden soll oder nicht.
Meint ihr, durch die sechsjährige Primarschule in Hamburg werden Unterschichtkinder wirklich besser gefördert als früher?

Gruß!
Karl

Servus,

zum vielleicht ersten Mal dürfen Bürger ja per Volksentscheid
entscheiden, ob die Schule in Hamburg radikal reformiert
werden soll oder nicht.

Volksentscheid? BWAaahahahahaha… klar als nächstes entscheidet das Volk ja noch was. :wink:
Was du machen kannst ist dich beim Kultus zu beschweren, bzw. deine Meinung dazu äußern mit Begründungen, sodass die netten Leute mal zum Nachdenken angeregt werden(wobei du auch mit Ignoration rechnen musst).

mfg,

Hanzo

Volksentscheid? BWAaahahahahaha… klar als nächstes
entscheidet das Volk ja noch was. :wink:
Was du machen kannst ist dich beim Kultus zu beschweren, bzw.
deine Meinung dazu äußern mit Begründungen, sodass die netten
Leute mal zum Nachdenken angeregt werden(wobei du auch mit
Ignoration rechnen musst).

Hallo Hanzo,
dein Informationsstand ist - glaube ich - noch nicht ganz ausreichend. Außerhalb von Hamburg sind die Wellen, die die Sache schlägt, sicher auch nicht so hoch!
Karl

Hallo Karl

Meint ihr, durch die sechsjährige Primarschule in Hamburg
werden Unterschichtkinder wirklich besser gefördert als
früher?

Kaum! Das spezifische Problem der deutschsprachigen Schulsysteme ist ja die Herkunftsspezifische Selektion.
Mit der Verlängerung der Grundschule findet die Selektion halt zwei Jahre später statt.

Aber dieses Thema habe wir schon sehr häufig gehabt.
/t/dreigliedriges-schulsystem-wieder-in-kritik/39927…
/t/bloss-nicht-zu-viele-gute-schueler/4733911

Gruß
Carlos

Meint ihr, durch die sechsjährige Primarschule in Hamburg
werden Unterschichtkinder wirklich besser gefördert als
früher?

Da brauchst du gar nicht zu spekulieren: Berlin hat die sechsjähriger Grundschule schon seit eh und je.
Und der Erfolg? Kaum anderswo gibt es so katastrophale Ergebnisse wie in Berlin.
Und die Lösung: Ab diesem und nächstem Jahr wird hier die gemeinsame Schule in Teilen bis in Klasse 10 verlängert, heißt dann Gemeinschaftsschule. Die Argumente sind die Gleichen,die in Hamburg für die Verlängerung der Grundschulzeit angeführt werden.

Und die Realität: Privatschulen schießen aus dem Boden, bildungsnahe Eltern lassen ihre Kinder eher Latein und Altgriechisch lernen, anstatt ihnen eine 6 jährige Grundschulzeit zuzumuten.
Gruß n.

Hallo,

also die Hintergründe der geplanten Schulreform und der damit verbundenen Proteste liegen bestimmt nicht in pädagogischen Detailfragen. Vielmehr wird die Schulreform ein rein ideologisch geprägtes Projekt der Grünen vom Reißbrett aus wahrgenommen.

Ideologisch deswegen, weil der gemeinsame Unterricht als Heilsbringer angesehen wird. Dabei wird zum einen vergessen, dass für unterschiedlich starke Schüler mit unterschiedlichen Berufs- bzw. Studienaussichten auch eine gezielte Beschulung sinnvoll sein kann. Zum anderen befürchten viele, dass die Gymnasien, in denen auch ein großes Traditionsbewusstsein herrscht, von der Bildfläche verschwinden könnten. Übrigens geht es dabei gar nicht unbedingt um eine Abgrenzung der Elite. Ein Schüler, für den später vielleicht eine Berufsausbildung im gewerblich-technischen Bereich in Frage kommt, benötigt ab der fünften Klasse vielleicht eine andere Schule als der designierte Philosophie-Student. Zumindest sollte man diesen Aspekt nicht unterschlagen.

Gruß
Ultra

Hallo,

…Vielmehr wird die Schulreform ein rein
ideologisch geprägtes Projekt der Grünen vom Reißbrett aus
wahrgenommen.

Ideologisch deswegen, weil der gemeinsame Unterricht als
Heilsbringer angesehen wird.

Das könnte sein.

Ein Schüler, für den später vielleicht eine
Berufsausbildung im gewerblich-technischen Bereich in Frage
kommt, benötigt ab der fünften Klasse vielleicht eine andere
Schule als der designierte Philosophie-Student.

Auch das könnte sein.

Dabei wird zum einen vergessen,
dass für unterschiedlich starke Schüler mit unterschiedlichen
Berufs- bzw. Studienaussichten auch eine gezielte Beschulung
sinnvoll sein kann.

Nein, das wird nicht vergessen. In Deutschland wird genau das den Menschen seit Jahrzehnten von konservativer Seite gepredigt.
So, dass es die überwiegende Mehrheit glaubt. Ich glaubte es auch bis 2004.

  • Fakt ist, dass ein mehrgliedriges Bildungssystem nur in Deutschland, Österreich, Schweiz, Lichtenstein und Nordirland gibt.
  • Fakt ist, dass dieses System nicht geplant wurde sondern sich historisch aus standesspezifische Schulen entwickelt hat.
  • Fakt ist, dass in keinem anderen Industrieland der Bildungserfolg so stark von der Herkunft abhängt wie in Deutschland.
  • Fakt ist, dass die Fähigkeit von von Grundschullehrern den späteren Schulerfolg einzuschätzen bei ca. 60% liegt, was ja nicht ganz schlecht ist. Eine gravierende Entscheidung für das spätere Leben eines Menschen im zarten Alter von 9,10, 11 Jahren auf eine solch mässige Basis zu setzen ist nur zynisch.

Das entscheidnende Argument, gegen das mehrgliedrige Schulsystem ist, dass ihre entschiedenden Befürworter selber nicht daran glauben, wenn es sie selber betrifft.
Wenn das Kind eines erfolgreicher und vermögender Eltern in der Grundschule mäßige Leistungen bringt, glaubt ihr, dass sie ihr Kind auf die Hauptschule schicken. Pustekuchen, dass landet es auf einer Privatschule, um dann doch noch die Hochschulreife zu erlangen.

Nun wenn es zu einem Boom von Privatschulen in Hamburg kommt, hat das wenigstens den Vorteil, dass sich sich die tatsächlichen und vermeintlichen Eliten ihre besseren Schulen nicht nur vom Steuerzahler bezahlen lassen.
Insgeasmt landet dann mehr Geld in Hamburger Schulen.

Gruß
Carlos

3 Like

Hallo!
Hallo!

So, dass es die überwiegende Mehrheit glaubt. Ich glaubte es
auch bis 2004.

  • Fakt ist, dass ein mehrgliedriges Bildungssystem nur in
    Deutschland, Österreich, Schweiz, Lichtenstein und Nordirland
    gibt.

Und in 7 Grafschaften Englands.

  • Fakt ist, dass dieses System nicht geplant wurde sondern
    sich historisch aus standesspezifische Schulen entwickelt hat.

Nicht grundsätzlich. In Großbritannien war es sehr wohl geplant. Es wurde nur sehr bald wieder abgeschafft, weil es sozial zu mobil war (Auswahl nicht durch Grundschulnoten, sondern Aufnahmenprüfungen, die ähnlich wie Intelligenztests strukturiert sind, daher gab es auch viele Unterschichtkinder in den Grammar Schools).

  • Fakt ist, dass in keinem anderen Industrieland der
    Bildungserfolg so stark von der Herkunft abhängt wie in
    Deutschland.

Sagt PISA. Blöderweise kann man PISA aber nicht uneingeschränkt als verlässlich bezeichnen. Das hat mehrere Gründe. Es wird zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass die Kinder vermögender Eltern in GB in äußerst vielen Fällen nie in ihrem Leben eine staatliche Schule besuchen. Fast die komplette Oberschicht entzieht sich so ohnehin der Studie.

  • Fakt ist, dass die Fähigkeit von von Grundschullehrern den
    späteren Schulerfolg einzuschätzen bei ca. 60% liegt, was ja
    nicht ganz schlecht ist. Eine gravierende Entscheidung für das
    spätere Leben eines Menschen im zarten Alter von 9,10, 11
    Jahren auf eine solch mässige Basis zu setzen ist nur zynisch.

Ich kenne sehr viele, die sich von der Hauptschule bis zum Abi gearbeitet haben, ohne dabei Zeit zu verlieren. Diese Entscheidungen sind also nicht endgültig.

Das entscheidnende Argument, gegen das mehrgliedrige
Schulsystem ist, dass ihre entschiedenden Befürworter selber
nicht daran glauben, wenn es sie selber betrifft.
Wenn das Kind eines erfolgreicher und vermögender Eltern in
der Grundschule mäßige Leistungen bringt, glaubt ihr, dass sie
ihr Kind auf die Hauptschule schicken. Pustekuchen, dass
landet es auf einer Privatschule, um dann doch noch die
Hochschulreife zu erlangen.

Ach, und das ist in anderen Ländern nicht so? Siehe oben.

Nun wenn es zu einem Boom von Privatschulen in Hamburg kommt,
hat das wenigstens den Vorteil, dass sich sich die
tatsächlichen und vermeintlichen Eliten ihre besseren Schulen
nicht nur vom Steuerzahler bezahlen lassen.
Insgeasmt landet dann mehr Geld in Hamburger Schulen.

Da ist was dran. Ich finde, so eine Schulreform wär mal ganz interessant. Um zu sehen, ob sich dann irgendetwas ändern würde an der sozialen Mobilität. Glaub ich nämlich nicht.

LG,
Sarah

4 Like

Hallo Sarah,

schön mal was neues zu lesen und dazu zu lernen.

Und in 7 Grafschaften Englands.

Wie muss ich mir das vorstellen? Gemäß Wikipedia gibt es 81 Verwaltungsgrafschaften. Sind diese so autonom, dass sie eigene Schulsysteme etablieren können.

Es wurde nur sehr bald wieder abgeschafft, weil es
sozial zu mobil war (Auswahl nicht durch Grundschulnoten,
sondern Aufnahmenprüfungen, die ähnlich wie Intelligenztests
strukturiert sind, daher gab es auch viele Unterschichtkinder
in den Grammar Schools).

Das verstehe ich inhaltlich nicht. Was waren die unerwünschten Folgen der Mehrgliedrigkeit?

Ich kenne sehr viele, die sich von der Hauptschule bis zum Abi
gearbeitet haben, ohne dabei Zeit zu verlieren. Diese
Entscheidungen sind also nicht endgültig.

Ich nicht. Ich kenne es persönlich umgekehrte Fälle, dass jugendliche Problemfälle vom Gymnasium mit Zwischenstation Realschule in der Hauptschule landet. Soweit ich es aus Artikeln kenne ist die Durchlässigkeit nach „oben“ in deutschen Schulsystem eher begrenzt. Vor allem hängt es auch vom Standort ab. In Frankfurt dürfte es deutlcih anders aussehen als auf dem flachen Land in Bayern.
Wenn in Frankfurt ein türkischstämmiger Junge auf der Hauptschule landet, kommt er da so schnell nicht mehr weg, mag er noch so begabt sein.
Andererseits kenne drei Fälle, wo heute hochintelligente und hochbegabte ITler als Kinder für die Sonderschule oder Hauptschule empfohlen wurde (habe mich umgehört und gesucht). In Hessen ging es mit der zwischenstufe der Förderstufe, bzw. Gesamtschule dann aufs Gymnasium.
Kurzum es wurden den Grundschullehrern gravierende Fehler gemacht. Eine leistungsbezogene Selektion die so lausig funktioniert kann man auch abschaffen,… HALT, in Bezug auf die soziale Selektion hat sie funktioniert, denn es waren Arbeiterkinder oder Zugezogene.

Ach, und das ist in anderen Ländern nicht so? Siehe oben.
… Ich finde, so eine Schulreform wär mal ganz
interessant. Um zu sehen, ob sich dann irgendetwas ändern
würde an der sozialen Mobilität.

Nun bisher war es so, dass in die Gymnasien pro Schüler das meiste Geld reingesteckt wurde. Gymnasiallehrer haben das höchste Einkommen und das meiste Prestige. Wozu braucht es eine teure Privatschule irgendwo mit Internat, wenn es vor Ort das traditionelle Gymnasium gibt, auf das die Eltern schon selber waren.

Gruß
Carlos

Hallo Sarah!

  • Fakt ist, dass dieses System nicht geplant wurde sondern
    sich historisch aus standesspezifische Schulen entwickelt hat.

Nicht grundsätzlich. In Großbritannien war es sehr wohl
geplant.

Naja, in Deutschland war es tatsächlich so: Die höhere Schule für die Reichen, die Volksschule für die Armen.

Sagt PISA. Blöderweise kann man PISA aber nicht
uneingeschränkt als verlässlich bezeichnen. Das hat mehrere
Gründe. Es wird zum Beispiel nicht berücksichtigt, dass die
Kinder vermögender Eltern in GB in äußerst vielen Fällen nie
in ihrem Leben eine staatliche Schule besuchen. Fast die
komplette Oberschicht entzieht sich so ohnehin der Studie.

Das ist ja super spannend! Hast du dafür einen Beleg oder kannst sagen, wo man ungefähr das findet?

Da ist was dran. Ich finde, so eine Schulreform wär mal ganz
interessant. Um zu sehen, ob sich dann irgendetwas ändern
würde an der sozialen Mobilität. Glaub ich nämlich nicht.

So würde ich auch denken, wenn ich nicht als Lehrer in Hamburg ständig neue Konzepte zu erstellen hätte, die ich nach 2-3 Jahren dann im Müll entsorgen kann, weil sich eh wieder alles geändert hat.

Der wahre Grund für die Erfindung der Schulreform ist übrigens der: Hamburg möchte Weltmeister im Schulreformieren werden: 4 Reformen in 12 Jahren, dazu ca. jedes Jahr unzählige neue Erlasse: Darin sind wir endlich mal Weltspitze!

Gruß!
Karl

1 Like

Hallo Carlos!

schön mal was neues zu lesen und dazu zu lernen.

Und in 7 Grafschaften Englands.

Wie muss ich mir das vorstellen? Gemäß Wikipedia gibt es 81
Verwaltungsgrafschaften. Sind diese so autonom, dass sie
eigene Schulsysteme etablieren können.

Ja, sind sie. Sie haben einfach die Grammar Schools beibehalten, und die Schulen dürfen dann die Selektion selbst in die Hand nehmen. Oft sind die Grammar Schools sogenannte Foundation Schools, d.h. sie erhalten vom Staat ein Budget, das sie aber komplett selbst verwalten dürfen. Sie haben dann ein sogenanntes Board of Governors, dem Lehrervertreter, Elternvertreter und irgendwelche anderen Leute angehören. Die bestimmen dann auch die Budgetverteilung auf die einzelnen Fächer. Grammar Schools arbeiten nach dem National Curriculum, haben aber in der Regel mehr Pflichtfächer. Zum Vergleich: meine Grammar School-Schüler haben in der 11. Klasse durchschnittlich 10 GCSEs (Mittlere-Reife-Zertifikate) erworben, die von der benachbarten Comprehensive School 5 oder 6. Außerdem war an der Grammar School mindestens eine Fremdsprache Pflicht und es gab auch Lateinunterricht.

Es wurde nur sehr bald wieder abgeschafft, weil es
sozial zu mobil war (Auswahl nicht durch Grundschulnoten,
sondern Aufnahmenprüfungen, die ähnlich wie Intelligenztests
strukturiert sind, daher gab es auch viele Unterschichtkinder
in den Grammar Schools).

Das verstehe ich inhaltlich nicht. Was waren die unerwünschten
Folgen der Mehrgliedrigkeit?

Das Tripartite System (dreigliedriges System) bestehend aus Grammar School (Gymnasium), Secondary Technical School (Realschule) und Secondary Modern School (Hauptschule) wurde in den 1940er Jahren entwickelt. In Großbritannien ist das Ständedenken wesentlich größer als in Deutschland. Durch die Auswahl nach IQ (Verbal reasoning tests usw.) gelangte eine größere Zahl an Unterschichtkindern in die Grammar Schools und nahm damit den Oberschichtkindern, die eben nicht intelligent genug waren, die Plätze weg. Damit war die Oberschicht nicht einverstanden, weil das nicht in die Grammar School aufgenommen werden mit kompletter Dummheit gleichgesetzt wurde. Es gab eigentlcih kein Durchfallen beim sogenannten 11+ Test, aber de facto wurde ein nicht Aufgenommenwerden auf die Grammar School von der Gesellschaft als „fail“ bewertet. Gerade Oberschichteltern wollten sich damit nicht zufrieden geben, und so wurde schon in den 60er Jahren begonnen, das System umzuwerfen und Comprehensive Schools einzurichten. Die Folge davon ist, dass ärmere Kinder jetzt wieder Pech haben, weil die Schulen an ihren Orten sehr schlecht sind. Die sogenannte „soziale Mobilität“ entsteht dadurch, dass Dinge, die hier eine Lehre wären, dort eben Abiturkurse sind.

Ich nicht. Ich kenne es persönlich umgekehrte Fälle, dass
jugendliche Problemfälle vom Gymnasium mit Zwischenstation
Realschule in der Hauptschule landet. Soweit ich es aus
Artikeln kenne ist die Durchlässigkeit nach „oben“ in
deutschen Schulsystem eher begrenzt. Vor allem hängt es auch
vom Standort ab. In Frankfurt dürfte es deutlcih anders
aussehen als auf dem flachen Land in Bayern.
Wenn in Frankfurt ein türkischstämmiger Junge auf der
Hauptschule landet, kommt er da so schnell nicht mehr weg, mag
er noch so begabt sein.

Gerade auf dem platten Land in Bayern wurden früher Kinder nicht fürs Gymnasium empfohlen, damit die Hauptschule am STandort bestehen bleibt. ist einer Freundin von mir passiert (ich hab das Grundschulzeugnis gesehen, Schnitt fürs Gymnasium war eindeutig erfüllt). Sie ist dann nach der 6. hauptschule auf die Realschule gewechselt, hat dann eine Ausbildung zur Kinderpflegerin gemacht und auf der BOS das Abitur. Und solche gibts hier mehrere.

LG, Sarah

2 Like

Herzlichen Dank (o.w.T.)