Hallo Nemo.
Die Freundin eines früheren Bekannten hat sich Anfang der 1990er bei mir mal ausgeheult, weil sie in ihrer Berufsschule (irgendwas mit Blumengestrüpp - Floristik?) gemobbt würde.
Es seien etwa 30 Mädchen und wohl keine Jungs in der Klasse.
Zwei der Mädchen geben den Ton an, sie sind die Queens und sie halten zusammen wie Pech und Schwefel. Mit ihnen befreundet zu sein ist eine Auszeichnung. Für die, die diesen Rang nicht erreichen, gilt, dass alle Anweisungen der Führungsriege zu befolgen sind.
Wer sich dem widersetzt, hat zu leiden. So auch die besagte Bekanntenfreundin. Die hat eben einfach ihr Ding gemacht.
Ihr würden die schriftlichen Hausaufgaben weggenommen, sodass sie diese bei Kontrolle nicht vorzeigen könne. Als die dem Lehrer schilderte, wie es dazu kam, bekamen die Übeltäterinnen zwar einen Rüffel, aber danach hatte die Bekanntenfreundin noch viel mehr auszustehen.
Regelmäßig wurde sie von 2 Mitläuferinnen festgehalten, damit sie den Bus nicht besteigen konnte, der sie heimbringen sollte. Sie musste dann ein oder zwei spätere Busse nehmen und war erst mehrere Stunden später zu Hause.
Es wurde Wasser, Zigarettenasche und Unrat in ihre Schultasche gekippt, und in ihre Getränkeflaschen wurde Urin gefüllt.
In der Klasse gab es noch eine, die auf diese Art gemobbt wurde. Sämtliche Bestrebungen, sich das Wohlwollen der Queens zuzuziehen, scheiterten. Ebenso jene, sich mit der Mitleidenden zu verbünden oder Mitläuferinnen der unteren Chargen „abzuwerben“.
Sie war den Quälerinnen machtlos ausgeliefert. Die Lehrer interessiert das nicht, die alleinerziehende Mutter ist in der Sache nicht zu involvieren gewesen und der Bekannte, ihr Freund, arbeitete auswärts und kam nur alle 2 Wochen heim.
Ob sie selbst für die Situation kann? Sie ist eine freundliche Person mit guten Umgangsformen, geistig nicht allzuweit her, aber das dürfte in dieser Klasse keiner gewesen sein. Die soziale Situation ist prekär (Sozialhilfeniveau), aber das allein kann es nicht sein.
Es wird wahrscheinlich nie so richtig zu erforschen sein, was einen zum Opfer macht. Eine eineindeutige Antwort wird es nicht geben. Es ist wohl die klitzekleine Nuance, die unterbewusst wahrgenommen wird und sofort zur Disqualifikation führt.
So kann sich jemand wie die besagte Bekanntenfreundin zum Opfer machen, aber auch eine von dir beschriebene hübsche und selbstbewusste Person.
Wenn ich zurückdenke, hatte ich auch eine Situation, wo durch alle Hierarchien hindurch gemobbt wurde.
Ich war irgendwo zwischendrin.
Einer musste in Socken in einer Pfütze stehen, auf dem Besenstiel Gitarre spielen und andere pinkelten in diese Pfütze rein.
Ich habe den Text verfasst, für das Lied, was er dazu singen musste.
An dem Typ war nichts! Er war geistig nicht ganz so behende, sportlich auch nicht, und das reichte wohl.
5 Jahre später geschah etwas. Ich war auf einem OpenAir und betrat das Toilettenhäuschen. Als ich so da stand und verrichtete, trat einer neben mich. 2 Meter groß, Muskeln wie Arnold Schwarzenegger und der schaute beim Pinkeln auf mich hinab. Als wir fertig waren und die Hände wuschen, sprach er mich an. „Na, kennen wir uns nicht?“ Ich schaute ihn an, und da dämmerte es. Der Holzgitarrenspieler. Au weia. Jetzt muss ich sterben.
Aber das Gegenteil geschah. Er sagte, dass er mir verziehen hat. Wir tranken Bier, das er ausgab, und ich sollte dem damaligen Rädelsführer ausrichten, dass er sein blaues Wunder erleben kann, wenn die beiden einmal zusammentreffen sollten.
Mobbingstrukturen sind zu kompliziert, um deren Funktion einfach mal so aufzuschließen. Es handelt sich nicht um ein Kinderfahrrad.
Das Opfer ist zum gewichtigen Teil schuld, ja, aber wodurch es diese Verantwortung auf sich zieht, muss man im Einzelfall anschauen.
Mittlerweile achten in den Schulen die Lehrer darauf und hinterfragen Kinderbeziehungen bei den Eltern. So hab ich das gestern gehört. Die Öffentlichmachung des Phänomens in den Medien hat dies wohl bewirkt.