Schöpfung, rein praktisch
Aber wie bekommt man nun nach dieser Vorstellung den Übergang von der Zeitlosigkeit zur Erschaffung von etwas, was den Bedingungen der Zeit unterliegt, hin (so rein praktisch meine ich)
Das kommt dann drauf an, ob das philosophiegeschichtlich, theologiegeschichtlich oder (wie im UP explizit nicht gemeint) aktuell physikalisch gefragt würde.
Rein auf Augustinus bezogen: Auch er präzisiert ja die Frage ähnlich so (Kap. 10): Wenn Gott die Welt geschaffen hat (und, was er noch nicht genauer bedenkt: der Schöpfungsakt in der Vergangenheit liegt), dann müsse dem ja ein göttlicher Wille vorausgehen. Da Gott aber nicht ewig schafft, sondern in einem Augenblick, dann kann der Wille dazu, obwohl außer der Zeit, nicht kontinuierlich bestanden haben. Somit müßte es auch in der Zeitlosigkeit Gottes ein Vorher und Nachher geben, was der Voraussetzung widerspricht.
Es ist also entweder in Gottes Wesen („substantia“) etwas Zeitliches, oder die Schöpfung ist selbst ewig. Beides ist im vorausgesetzten Standpunkt abgelehnt. Die Lösung liegt bei ihm eben, wie schon dargestellt, darin, daß die Vorher/Nachher-Relation hier gar nicht gilt, denn die kann nur da gelten, wo bereits Zeit ist (sie allein macht ja „Zeit“ aus. Jedenfalls die objektive, physikalische Zeit). Also ist die Rede von einem „Übergang“ sinnlos bezüglich dieser Frage:
Natürlich ist, was die christliche Schöpfungstheologie betrifft, bei Augustinus nicht aller Tage Abend. Ich hab mich nur auf ihn fokussiert, weil ihm die Fragestellung zuerst historisch manifestiert wurde, die Hawking gerne als Guirlande über seinen manchmal witzigen, manchmal auch kindischen antitheologischen Zynismus hängt.
In der europäischen Philosophiegeschichte war der Schritt zum Begriff der Creatio ex nihilo in diesen Fragen von Bedeutung, mit der eine Opposition gegen die eleatische (Melissos), akademische (Platon: Tímaios) und peripathetische (bei Aristoteles ist der Kosmos zeitlich unbegrenzt) gesetzt werden sollte [*]. Erst mit der arabischen Philosophie (alFarabi, Aviceann, Averroes u.a.) und mit der eine neue Aristoteles-Rezeption kamen in der Scholastik bezügl dieser Fragen neue Impulse hinzu: Albertus Magnus und Thomas v. Aquin diesbezüglich die Exponenten.
Thomas hat eine interessante Argumentation hinterlassen in seiner Summa contra gentiles Lib.II cap.17: „Schöpfung ist weder Bewegung noch Veränderung“. Die mag ich allerdings ungern kurzreferieren, da sie Kenntnisse der aristotelischen Begriffsdifferenzierung Potenz (potentia) vs. Entelechie/Energie (actus) resp. möglich vs. wirklich voraussetzt.
Übrigens sind die analogen Fragestellungen der heutigen physikalischen
Kosmologie allesamt rein hypothetisch, weil die retrospektive Evolution des Kosmos schon lange vor dem entscheidenden Zeit- Punkt aufhört. Bereits bei 10-43 sec. hat die physikalsiche Beschreibung der entsprechenden Materiezustände eine Ende (→ Planck-Grenze) und die physikalsichen Begriffe von Raum und Zeit sind nicht mehr brauchbar. Daher alle diese sehr wohl interessanten Konstruktionen wie Stringtheorie, M-Branes, multiple universes u.s.w, die aber alle mit Beobachtbarem nichts mehr zu tun haben. Sie alle haben zudem ganz andere Raum und Zeitbegriffe, als es die früheren Philosophien hatten.
Derweil sind alle die oben angedeuteten antiken philosphischen Gedankengänge, vor allem die Begriffsbildungen, Voraussetzungen auch für die heutige Physik gewesen.
[*] Im Rahmen dieser „Creatio ex nihilo“-Konzeption wäre deine zweite Formulierung:
wie kann … aus der Zeitlosigkeit heraus etwas (zeitlich) Bedingtes entstehen, wenn es vorher definitiv nichts (zeitlich) Bedingtes gab?
übrigens so beantwortbar:
Die Entstehung von Bedingtem aus Unbedingtem ist eben eine unbedingte (= voraussetzungslose). Genau das meint nämlich das „ex nihilo“!
Gruß
Metapher