Urteil zur Säuglingsbeschneidung

Hallo Janina,

So leidenschaftlich dein Beitrag bis dahin und im Folgenden
ist. Würde der auch genauso leidenschaftlich ausfallen, wenn
es sich um das Piercing eines 3-,4-,5-Jährigen handelt? Oder
die Nasenkorrektur der 12-Jährigen? Oder das Tattoo?

erstens einmal war mein Beitrag nicht „leidenschaftlich“, sondern ich habe die Rechtslage dargestellt und klar gemacht, dass eine Urteilsschelte hier unangebracht ist weil das Landgericht Köln eben aufgrund dieser Rechtslage gar nicht anders urteilen konnte , als es getan hat. Zweitens gilt diese Rechtslage natürlich auch für die von Dir genannten Fälle - aber hier befinden wir uns nicht im Brett ‚Allgemeine Rechtsfragen‘ oder ‚Unterricht und Erziehung‘ sondern ‚Religionswissenschaft‘ und diskutieren eine religionssoziologische Frage.

Ich finde diese ganze Diskussion dann heuchlerisch, wenn sie
nur unter dem flammenden Schwert contra Religion geführt wird.

Hier gilt derselbe Hinweis. Außerdem geht es zumindest bei mir definitiv nicht um „contra Religion“ sondern um das spannende Thema Konflikte zwischen archaischen religiösen Anforderungen und Geboten einerseits und staatlich garantierten Menschen- und Grundrechten andererseits.

Aber um für dieses Mal auf Deinen Versuch, die Diskussion in einen offtopic-Bereich zu drängen (mutatio controversiae heisst dieser eristische Taschenspielertrick) einzugehen, stelle ich einfach mal die Umkehrfrage: würdest Du Eltern, die ihre Kleinkinder mit einem Piercing ‚verschönern‘, genauso in Schutz nehmen wie die, die ein 8 Tage altes Baby beschneiden lassen - übrigens in der Regel ohne Betäubung, weil diese in diesem Alter das medizinische Risiko noch erheblich vergrößern würde? Wie schon gesagt - die Rechtslage ist völlig dieselbe - auch Eltern, die ihre Kinder mit Piercings oder Tattoos schmücken wollen, tun dies in dem subjektiven Glauben, dass dies für ihre Kinder von Vorteil ist.

Um nun aber nicht ganz vom Boden der Realität abzuheben - wann hast Du das letzte Mal einen gepiercten oder tätowierten 3-,4-,5-Jährigen gesehen? Möglicherweise bin ich als jemand, der auf dem Land lebt, nicht so ganz auf dem Laufenden - aber ich gehe mal davon aus, dass
a) kein Tätowierer, der noch bei Trost ist, einen solchen Auftrag annehmen würde, weil die daraus entstehenden Rechtsfolgen keine Versicherung tragen würde (wenn schon nicht aus naheliegenderen Gründen) und
b) das Jugendamt, sobald es davon Wind bekäme, die Kinder aus der Obhut der Eltern nähme - zumindest aber ein paar ernste Worte mit ihnen sprechen würde. Zu Recht, wie ich finde - und das ist jetzt nicht nur juristisch gemeint.

Nicht, dass ich missverstanden werde, ich bin nicht pro
Zirukumzision eingestellt. Aber die Diskussion sollte auf der
richtigen Eben geführt werden.

Und diese „Ebene“ wäre nun welche?

Dazu gehört, dass ein Cool-Sein
oder die Realisierung eines Schönheitsideals (ggf. gar eines
der Eltern, was noch nicht einmal das des Kindes ist) mit
Sicherheit niedriger zu werten ist als die Religionsfreiheit

Das ist eine polemische Verzerrung. Es geht nicht um „Cool-Sein oder die Realisierung eines Schönheitsideals“ sondern um das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder, in das da ggf. eingegriffen wird. Auch ein Grundrecht, lies mal Art. 6 GG.

Anscheinend müssen wir hier zur Aufklärung eines Missverständnisses noch ein wenig tiefer in die Rechtsmaterie einsteigen - Deine Perspektive scheint mir da doch etwas verschoben. Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ist eben nicht die Freiheit, die Religion bzw. religiöse Erziehung Anderer - und sei es die der eigenen Kinder - aus eigenem Recht zu bestimmen.

Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes ist sowohl positiv als Recht, eine Religion in freier Entscheidung zu wählen, als auch negativ als Recht, keine Religion zu wählen und von religiöser Erziehung unbehelligt zu bleiben, bestimmt. Dieses Grundrecht auf negative Religionsfreiheit dürfen Kinder unter 12 Jahren nicht selbst ausüben und als Ausfluss des Grundrechtes auf Erziehung wird Eltern gestattet, das Grundrecht auf Religionsfreiheit als gesetzlicher Vertreter ihrer Kinder stellvertretend auszuüben.

Bei der Bestimmung der religiösen Erziehung durch die Eltern wird von diesen also nicht das Recht auf Religionsfreiheit in Anspruch genommen sondern das Erziehungsrecht. Diesem wird hier Vorrang vor dem Recht der Kinder auf negative Religionsfreiheit gegeben. Umfang dieser Einschränkung der Religionsfreiheit der Kinder regelt das Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG). Dieses erlaubt Kindern erst ab 12 Jahren, ihr Grundrecht auf negative Religionsfreiheit selbst in Anspruch zu nehmen, positive Religionsfreiheit dürfen sie ab 14 Jahren selbst in Anspruch nehmen.

Wenn hier im Zusammenhang mit der in Frage stehenden Gerichtsentscheidung von Religionsfreiheit die Rede ist, dann sollte man sich bitteschön erst einmal vor Augen halten, dass es nicht um die Religionsfreiheit der Eltern geht - diese wird nämlich in keinster Weise eingeschränkt - sondern um die Religionsfreiheit der Kinder. Dieses Recht nehmen die Eltern lediglich stellvertretend wahr. Darüber zu wachen, dass sie dies verantwortlich und nicht missbräuchlich, also nicht im eigenen Interesse sondern im wohlverstandenen Interesse der Kinder tun, ist Aufgabe des Staates.

und die drohende Stigmatisierung des Kindes, wenn es sich
innerhalb der Glaubensgemeinschaft bestimmten Ritualen nicht
unterzieht.

Genau das ist das Argument, was man z.B. auch von den Befürwortern und insbesondere den Befürworterinnen der Mädchenbeschneidung hört. Von Juden habe ich dieses Argument noch nicht gehört und erwarte auch nicht, es zu hören zu bekommen. Mal ehrlich - was ist denn von einer Religionsgemeinschaft zu halten, die Kinder stigmatisiert, weil sie nicht beschnitten sind? Überhaupt von Religionsgemeinschaften,die ihr Fortbestehen durch sozialen Druck sichern müssen? Da wären die Kinder doch eher zu beglückwünschen,wenn sie von solchen Gemeinschaften möglichst großen Abstand gewinnen.

Wenn man sich die leidenschaftliche Diskussion hier und auf
den Kommentarseiten der Tageszeitungen anguckt und dann
umgekehrt, wie solche Diskussionen beim Thema Piercen von
Kindern bspw. ablaufen…
Hier mal ein Beispiel aus dem Archiv:

Sorry, aber für dumme Ansichten Anderer - zumal wenn sie in Brettern geäußert werden, in denen ich nicht mitdiskutiere - bitte ich doch, nicht mich verantwortlich zu machen.

Freundliche Grüße,
Ralf

7 Like

Offenbar ist es zumindest zu schwer, ordentlich zu lesen:

Nein.

Dann wird es wohl Ihr Geheimnis bleiben, warum Sie damit auf meinen Beitrag geantwortet haben, obwohl dort genau das steht, was Sie schreiben :wink:.

Martinus

Hi

Es wird die Zahl der diagnostizierten Phimosen steigen und
alles ist wieder in Butter.

Das wird schleht gehen.
Der Gesetzgeber kann sich gar nicht erlauben den Depp zu spielen:smile:

Grüße

Gollum

Dann wird es wohl Ihr Geheimnis bleiben, warum Sie damit auf
meinen Beitrag geantwortet haben, obwohl dort genau das steht,
was Sie schreiben :wink:.

Nein.
Nur ein Beispiel:

„Naja, das ist vielleicht ein wenig oberflächlich betrachtet. Religionen verstehen sich nicht als Clubs, deren Vereinsregeln von Menschen gemacht würden. Sie sehen sich als die Lebensform, die dem Willen einer höheren Ordnung (für gewöhnlich „Gott“ genannt) entspricht. Und da die Gottheit (oder mehrere, oder die weltumfassende Weisheit, was auch immer) über den Menschen steht, stehen ihre Normen auch über denen, die Menschen setzen können.“

Nun ist ist es nicht so, dass ich derlei nicht begriffe, es ist nur so, dass ein Richter -und das muss doch zu verstehen sein- ein Urtel nicht auf dieser Basis fällen kann.

Jo

Dazu gehört, dass ein Cool-Sein
oder die Realisierung eines Schönheitsideals (ggf. gar eines
der Eltern, was noch nicht einmal das des Kindes ist) mit
Sicherheit niedriger zu werten ist als die Religionsfreiheit

Nach dem gesunden Volksempfinden offensichtlich nicht:smile:

Balázs

Stellung der Menschenrchte [LINK]
Mein Vergleich von göttlichen * und damit potentiell absoluten * Geboten auf der einen und Menschenrechten als menschengemachten und damit in meinen Augen nicht absoluten Gesetzen auf der anderen Seite hat hier eine Diskussion ausgelöst, die in diesem Umfang nun wirklich nicht geplant war. Da die Beiträge der Kritiker aus meiner Sicht aber auch keine wirklich zwingenden Argumente für diesen Absolutheitsstatus der Menschenrechte geliefert haben, habe ich mir erlaubt die grundsätzliche Frage dazu im Rechtsbrett nochmal stellen:
/t/absolutheitsanspruch-der-menschenrechte/6908294

Martinus, der - auch wenn er ihren Absolutheitsanspruch hinterfragt - die Menschenrechte nicht in Frage stellt!

*Jeweils aus Sicht der Gläubigen, versteht sich!

erstens einmal war mein Beitrag nicht „leidenschaftlich“,

OK, wenn es dir besser gefällt, dann nenne es engagiert. Das ist - zumindest aus meiner Sicht - nichts nachteiliges!

sondern ich habe die Rechtslage dargestellt und klar gemacht,
dass eine Urteilsschelte hier unangebracht ist weil das
Landgericht Köln eben aufgrund dieser Rechtslage gar nicht
anders urteilen konnte , als es getan hat.

Da bin ich mir nicht so sicher, allerdings bin ich auch juristisch nur ein klein wenig befleckt. Lediglich zum Thema, dass eine Körperverletzung plötzlich keine ist, nur weil sie im religiösen Kontext passiert, habe ich eine eindeutige Meinung, die sich mit deiner deckt.

Zweitens gilt diese
Rechtslage natürlich auch für die von Dir genannten Fälle -
aber hier befinden wir uns nicht im Brett ‚Allgemeine
Rechtsfragen‘ oder ‚Unterricht und Erziehung‘ sondern
‚Religionswissenschaft‘ und diskutieren eine
religionssoziologische Frage.

Das ist mir bewusst.

Hier gilt derselbe Hinweis. Außerdem geht es zumindest bei mir
definitiv nicht um „contra Religion“ sondern um das spannende
Thema Konflikte zwischen archaischen religiösen Anforderungen
und Geboten einerseits und staatlich garantierten Menschen-
und Grundrechten andererseits.

Aber um für dieses Mal auf Deinen Versuch, die Diskussion in
einen offtopic-Bereich zu drängen (mutatio controversiae
heisst dieser eristische Taschenspielertrick) einzugehen,

Das ist eine - nicht sachgemäße und unsachliche - Unterstellung! Ich wollte mitnichten und habe nicht die Diskussion in einen Offtopicbereich drängen! Eigentlich sogar das Gegenteil.

stelle ich einfach mal die Umkehrfrage: würdest Du Eltern, die
ihre Kleinkinder mit einem Piercing ‚verschönern‘, genauso in
Schutz nehmen wie die, die ein 8 Tage altes Baby beschneiden
lassen -

Ich habe hier doch nirgendwo in Schutz genommen. Lies doch noch einmal genau nach, was ich geschrieben habe. Ich habe mich sogar von der Beschneidung distanziert!

die Rechtslage ist völlig dieselbe -
auch Eltern, die ihre Kinder mit Piercings oder Tattoos
schmücken wollen, tun dies in dem subjektiven Glauben, dass
dies für ihre Kinder von Vorteil ist.

Die Rechtslage ist nicht dieselbe - zumindest nicht derart, dass mir nicht bekannt ist, dass das Piercing von Kindern als rechtswidrig eingestuft wird. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren.

Um nun aber nicht ganz vom Boden der Realität abzuheben - wann
hast Du das letzte Mal einen gepiercten oder tätowierten
3-,4-,5-Jährigen gesehen?

Fast täglich?! Wenn man unter Piercing (das habe ich so weit gefasst) auch den Ohrlochstecker versteht in jedem Fall. Hier laufen aber in Berlin auch gepiercte 6-Jährige rum. Alleine bei der Einschulungsfeier kürzlich von Freunden waren auf dem Klassenfoto 3 Jungs und 5 Mädels mit solchen Steckern -von 23 Kindern. Das ist ein Drittel - ich finde die Quote heftig.

Möglicherweise bin ich als jemand,
der auf dem Land lebt, nicht so ganz auf dem Laufenden - aber
ich gehe mal davon aus, dass
a) kein Tätowierer, der noch bei Trost ist, einen solchen
Auftrag annehmen würde, weil die daraus entstehenden
Rechtsfolgen keine Versicherung tragen würde (wenn schon nicht
aus naheliegenderen Gründen) und
b) das Jugendamt, sobald es davon Wind bekäme, die Kinder aus
der Obhut der Eltern nähme - zumindest aber ein paar ernste
Worte mit ihnen sprechen würde. Zu Recht, wie ich finde - und
das ist jetzt nicht nur juristisch gemeint.

Da bist du aber im Irrtum. Nun nicht, was Tattoos bei 10-Jährigen angeht, aber bei 12, 13, 14-jährigen schon. Gleiches gilt für entsprechende Schönheitsoperationen. Bei letzterem ist mir allerdings bekannt, dass es - ähnlich wie bei der Beschneidung - zumindest unter Medizinern eine solche Diskussion gibt.

Nicht, dass ich missverstanden werde, ich bin nicht pro
Zirukumzision eingestellt. Aber die Diskussion sollte auf der
richtigen Eben geführt werden.

Und diese „Ebene“ wäre nun welche?

Die Ebene ist die, dass der Aspekt, den ich heuchlerisch nenne, unterbleibt. M.E. kann nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. S.u.

Dazu gehört, dass ein Cool-Sein
oder die Realisierung eines Schönheitsideals (ggf. gar eines
der Eltern, was noch nicht einmal das des Kindes ist) mit
Sicherheit niedriger zu werten ist als die Religionsfreiheit

Das ist eine polemische Verzerrung. Es geht nicht um
„Cool-Sein oder die Realisierung eines Schönheitsideals“
sondern um das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung der
Kinder, in das da ggf. eingegriffen wird. Auch ein Grundrecht,
lies mal Art. 6 GG.

Verstehe ich richtig, du findest, wenn Chantal oder Jaqueline mit 3 ein Ohrloch gesteckt bekommen, ist das Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder betroffen?

Deine Perspektive scheint mir da doch etwas
verschoben.

Ich glaube eher, dass du mich - aus welchen Gründen auch immer (ich wähne welche) in eine völlig verkehrte Schublade steckst.

Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit
ist eben nicht die Freiheit, die Religion bzw. religiöse
Erziehung Anderer - und sei es die der eigenen Kinder - aus
eigenem Recht zu bestimmen.

Das habe ich nirgendwo behauptet.

Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes ist sowohl
positiv als Recht, eine Religion in freier Entscheidung zu
wählen, als auch negativ als Recht, keine Religion zu wählen
und von religiöser Erziehung unbehelligt zu bleiben, bestimmt.
Dieses Grundrecht auf negative Religionsfreiheit dürfen Kinder
unter 12 Jahren nicht selbst ausüben und als Ausfluss des
Grundrechtes auf Erziehung wird Eltern gestattet, das
Grundrecht auf Religionsfreiheit als gesetzlicher Vertreter
ihrer Kinder stellvertretend auszuüben.

Soweit so gut.

Bei der Bestimmung der religiösen Erziehung durch die Eltern
wird von diesen also nicht das Recht auf Religionsfreiheit in
Anspruch genommen sondern das Erziehungsrecht.

Das sieht allerdings das LG in seiner Begründung nicht so - oder habe ich gerade ein Brett vor dem Kopf?

„Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht
unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich
das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet.“

Diesem wird
hier Vorrang vor dem Recht der Kinder auf negative
Religionsfreiheit gegeben.

Weißt du mehr? Hat das Gericht überhaupt die negative Religionsfreiheit geprüft? In dem, was ich vom Gericht gelesen habe, stand davon nichts.

Wenn hier im Zusammenhang mit der in Frage stehenden
Gerichtsentscheidung von Religionsfreiheit die Rede ist, dann
sollte man sich bitteschön erst einmal vor Augen halten, dass
es nicht um die Religionsfreiheit der Eltern geht - diese wird
nämlich in keinster Weise eingeschränkt - sondern um die
Religionsfreiheit der Kinder.

OK, Brett weg - hier hast du es klarer formuliert und deckt sich auch mit meinem Stand.

Dieses Recht nehmen die Eltern
lediglich stellvertretend wahr. Darüber zu wachen, dass sie
dies verantwortlich und nicht missbräuchlich, also nicht im
eigenen Interesse sondern im wohlverstandenen Interesse der
Kinder tun, ist Aufgabe des Staates.

Bingo. Bis dahin sind wir eins. Und mit der - ich denke mal da gehst du mit - Grundannahme, dass damit immer auch eine Abwägung verschiedener Güter verbunden ist, jetzt erst einmal kurz Schnitt.

Und auf der anderen Seite steht das Thema Körperverletzung und der Umgang mit anderen Körperverletzungen. Körperverletzungen, die (gesellschaftlich, juristisch) geduldet sind, obwohl ihnen kein so hohes Gut wie die Religionsfreiheit entgegen steht.

Und genau das sind die Stränge, die ich gemeint habe.

Genau das ist das Argument, was man z.B. auch von den
Befürwortern und insbesondere den Befürworterinnen der
Mädchenbeschneidung hört.

Wenn ich das Argument der Stigmatisierung anführe, mache ich es mir doch nicht zu eigen!

Weshalb ich dieses Argument aber angeführt habe ist etwas ganz anderes: Hier ist von körperlichem Schaden die Rede. Es gibt aber Rituale in Religionsgemeinschaften, die sind geeignet, seelischen Schaden bei Kindern zu hinterlassen und zwar in einem Ausmaß, bei dem nach meiner Auffassung der mögliche Schaden einer Beschneidung im Vergleich pillepalle ist. (bewusst überspitzt). Was mit da so durch den Kopf geht sind Dinge, wie ich sie sogar in der engeren Familie erleben „durfte“, wo eine Familienangehörige bei den Neuapostolen eingeheiratet hat. Die Kinder, inzwischen alle Erwachsen und z.T. selbst schon Eltern, haben alle eine ziemlichen Knacks davon weg, obwohl sie mit Volljährigkeit (und z.T. früher) ausgetreten sind.

Zu einer sachlichen Diskussion würde m.E. gehören, dass ich - auch und gerade wenn es um die religiösen Aspekte geht - die Abgrenzung zu allen relevanten Randbereichen mache. Dazu gehört, dass ich mir angucke die gesellschaftliche / rechtliche Duldung anderer Körperverletzungen genauso wie die Eingriffsschwelle bei anderen, das Kindeswohl möglicherweise gefährdenden Ritualen, die nicht Körperverletzung im engeren Sinne sind.

Sorry, aber für dumme Ansichten Anderer - zumal wenn sie in
Brettern geäußert werden, in denen ich nicht mitdiskutiere -
bitte ich doch, nicht mich verantwortlich zu machen.

Habe ich das? Nur, weil ich den Aspekt mit hinein gebracht habe, habe ich dich doch nicht dafür verantwortlich gemacht. Zieh mir keine Pantoffeln an, die nicht meine sind - und zieh dir selbst keine an, die man dir nicht gereicht hat.

1 Like

ist es so schwer zu begreifen, dass es hier darum geht, ::dass
ein männlicher Mensch das Recht hat, sich mit unversehrtem
Pimmel für eine, oder auch keine, Religionsgemeinschaft zu
entscheiden?

Darum geht es möglicherweise dir.

Nein. Darum gehtt es hier , was am Brett liegt.

Du missverstehst da was! Natürlich ist das Thema Religionsfreiheit betroffen. Aber nicht derart, dass durch die Beschneidung aktiv in die Religionsfreiheit des Kindes eingegriffen wird.

Ich hätte auch schreiben können „ist es so schwer zu
begreifen, dass es hier darum geht, dass
ein männlicher Mensch das Recht hat, mit unversehrtem
Pimmel durch das Leben zu gehen?“
Ich stimme mit dir völlig darin überein, dass Piercings,
Tattoos etc. bei Kindern ebenfalls (und umso mehr, weil sie
rein modisch motiviert sind) nicht „in Ordnung gehen“

Eben, da ist der Schwerpunkt der Aussage aber auf dem unversehrten Pimmel (oder dem Ohrloch oder der Haut) und nicht auf dem Eingriff in die Religionsfreiheit. Der wäre ja nur dann gegeben, wenn dem Kind durch die Beschneidung ein späterer Zutritt zu einer Religion verwehrt wäre. Mit ist nicht bekannt, dass es eine solche gäbe.

Hallo,

Um nun aber nicht ganz vom Boden der Realität abzuheben - wann hast Du das letzte Mal einen gepiercten oder tätowierten 3-,4-,5-Jährigen gesehen?

Ohne jetzt eine weitere Nebendiskussion anstossen zu wollen: Vornehmlich weibliche Säuglinge und Kleinkinder mit Ohrsteckern.

Permanente Tattoos an Kindern habe ich im diesem Land zum Glück noch nie gesehen.

LG Barbara

Nach dem gesunden Volksempfinden offensichtlich nicht:smile:

Genau darauf wollte ich hinaus, das ist das, was ich als Stellvertreterdiskussion empfinde und heuchlerisch empfinde.

Die Körperverletzung ist eine Körperverletzung weil sie eine Körperverletzung ist, die nicht entschuldet ist. Entschuldet ist sie nicht durch merkwürdige Schönheitsideale (der Eltern), aber auch nicht durch religiöse Motive.

Andererseits gilt aber:

Die Körperverletzung wird nicht dadurch zu einer Körperverletzung, weil sie eine religiös motivierte ist.

Das ist ein Unterschied, in meinen Augen ein sehr entscheidender.

Da die Beiträge der Kritiker aus meiner Sicht aber auch
keine wirklich zwingenden Argumente für diesen
Absolutheitsstatus der Menschenrechte geliefert haben

Mir zumindest geht es nicht um einen Absolutheitsanspruch, sondern darum, dass man einem Richter nicht vorwerfen kann, dass er nach geltendem Recht urteilt.
Sonst nix.

Jo

1 Like

Medizinisches

Es wird die Zahl der diagnostizierten Phimosen steigen und
alles ist wieder in Butter.

Unwahrscheinlich. Phimose ist keine Indikation für eine postnatale Zirkumzision (d.h. während der ersten 6 Wochen nach der Geburt). Der medizinisch indizierte Eingriff sollte zur Risikominimierung frühestens nach Vollendung zumindest des ersten Lebensjahres vorgenommen werden.

Da wir schon beim Medizinischen sind: die ja auch hier behaupteten angeblichen gesundheitlichen Vorteile einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung (sog. ‚Wunschbeschneidung‘) sind längst als Mythos bzw. als Reklame für ein lukratives Geschäftsmodell entlarvt. Sie rechtfertigen nicht die Eingehung der Risiken des Eingriffs: Nachblutung, Hämatom, Wundinfektion, Wunddehiszenz, störende Narben, Urethralstenose, Urethra-Haut-Fistel, Sensibilitätsstörungen der Glans, Glansischämie, erektile Dysfunktion. Statistisch ist bei Zirkumzision von Kindern in 6% der Fälle eine Nachoperation wegen Nachblutung, Wundrevision oder Meatusstenose notwendig. Einer dieser gar nicht so seltenen Fälle hat ja dann auch zu der Gerichtsverhandlung gegen den Arzt und dem hier diskutierten Urteil geführt.

Freundliche Grüße,
Ralf

6 Like

Nachdem ich gerade gelesen habe, dass du den Diskussionsverlauf dort völlig anders darstellst als er ist, ist die Sache für mich erledigt.
„Daß Menschenrechte sich ferner im Laufe der Geschichte gewandelt haben und auch heute in unterschiedlichen Ländern in unterschiedlichem Umfang angewandt werden, ist für mich ein Indiz dafür, daß es eben keine „absoluten Menschenrechte“ gibt, sondern daß sie vielmehr ein Kanon sind, den Menschen in ihrer Zeit mit dem Wissen und Weltbild ihrer Zeit festlegen. Doch der Aufschrei der Empörung im anderen Brett legt nahe, daß ich da einem Denkfehler aufsitze.“

1 Like

Da wir schon beim Medizinischen sind: die ja auch hier
behaupteten angeblichen gesundheitlichen Vorteile einer nicht
medizinisch indizierten Beschneidung (sog.
‚Wunschbeschneidung‘) sind längst als Mythos bzw. als Reklame
für ein lukratives Geschäftsmodell entlarvt.

Da ich wähne, dass du dies auf meinen Beitrag beziehst: Lesen wäre hilfreich, Hineininterpretieren ist es nicht. Nicht immer gilt das, was man lesen will.

Die Ärztekammer - ggf. eine durchaus taugliche Instanz für die med. Beurteilung und eher weniger im Bereich Esoterik anzusiedeln - hat zum Thema sich mehrfach geäußert, u.a. hier:
http://www.aerzteblatt.de/archiv/61273

Dort wird eine Abwägung gemacht zwischen Vor- und Nachteilen und man kommt zum Schluss, dass die Nachteile - deutlich - überwiegen. Das bedeutet aber nicht, dass dadurch die Vorteile nicht mehr vorhanden sind. Vorteile u.a. hygienische (die sich allerdings mit milderen Mitteln auch bewerkstelligen lassen) und vorbeugende (hier gilt ähnliches)

Hallo Janina,
ich verstehe Deine Position nun etwas besser. Ohne nun auf Dein Posting umfassend einzugehen, nur eine Anmerkung.

Es ist wohl richtig, dass bei diversen Körpermodifikationen so einiges geduldet wird. Konkret: es wird ein Verbotsirrtum der Ausführenden geduldet. Nach dem Prinzip wo kein Kläger, da kein Richter. Genau dies galt ja bis zu dem mittlerweile rechtskräftigen Urteil auch für die Beschneidung. Ich persönlich freue mich schon auf den ersten Fall, wo ein Tätowierer oder Piercer wegen ‚Verschönerung‘ eines oder einer Minderjährigen vor Gericht steht und deutlich gemacht bekommt, was davon zu halten ist. Wenn dieser Unfug in Großstädten, wie Du schreibst, tatsächlich schon erhebliche Ausmaße annimt, dauert es hoffentlich nicht mehr allzulange.

Meistens muss ja dazu leider erst einmal etwas schief gehen - wie hier im Beschneidungsfall. Beim Ohrlochstechen ist da die Gefahr allerdings doch recht gering. Zumal da zu berücksichtigen wäre, ob die Eltern da einem ausdrücklichen Wunsch des Kindes stattgegeben haben und ob das Kind reif genug war, so dass man dessen Wunsch ernst nehmen konnte (bei einer Dreijährigen wäre das wohl kaum der Fall).

Freundliche Grüße,
Ralf

Es gibt
aber Rituale in Religionsgemeinschaften, die sind geeignet,
seelischen Schaden bei Kindern zu hinterlassen und zwar in
einem Ausmaß, bei dem nach meiner Auffassung der mögliche
Schaden einer Beschneidung im Vergleich pillepalle ist.

Yep.

(bewusst überspitzt).

Wo? Du untertreibst vornehm und das ist OK.
Aber der Gesetzgeber?

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Hallo Ralf,

Wenn hier im Zusammenhang mit der in Frage stehenden
Gerichtsentscheidung von Religionsfreiheit die Rede ist, dann
sollte man sich bitteschön erst einmal vor Augen halten, dass
es nicht um die Religionsfreiheit der Eltern geht - diese wird
nämlich in keinster Weise eingeschränkt - sondern um die
Religionsfreiheit der Kinder.

ich will hier keineswegs den jüdischen Usern vorgreifen,
aber ich denke, dass Deine Sichtweise leicht verzerrt ist.

Es ist die religiöse Pflicht der Eltern : „Jedes Knäblein, wenn’s acht Tage alt ist, sollt ihr beschneiden bei euren Nachkommen.“ (Gen.17,2)

Wird also die Beschneidung verboten, hindert der Gesetzgeber den religiösen Erwachsenen an der Ausübung seiner Religion!

Der Staat täte also gut daran, sich öffentlich von der allseits gepriesenen „Religionsfreiheit“ zu distanzieren. Es gilt: Religion ist in D (auch in anderen europäischen Ländern) dem Grundgesetz untergeordnet.

Damit könnten sich hier lebende Juden und Moslems arrangieren oder auch nicht.

Die Frage bleibt dann, inwieweit auch für Christen (die ja angeblich hier die Gesetze machen) der biblische Grundsatz gilt:
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg.5,29)

Gruss Harald

1 Like

Hallo Harald.

Die Frage bleibt dann, inwieweit auch für Christen (die ja
angeblich hier die Gesetze machen)

Wer behauptet das?

der biblische Grundsatz gilt
„Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ (Apg.5,29)

Wo siehst du irgendeine Frage?
Hat dir Gott gesprochen oder der Satz stammt von irgendjemanden den du nicht mal kennst.
Das ist nähmlich die Frage:smile:

Gruss Harald

Balázs

Es wäre hilfreich…
…wenn sich Ihre Beiträge in den Themenfäden fänden, aus denen Sie zitieren!

Die Rechtsgrundlage für eine richterliche Entscheidung wurde von mir in keinem Beitrag in Frage gestellt. Der Beitrag, aus dem der von Ihnen gerade zitierte Absatz kommt, bezog sich auf den Vorschlag, die Religionen könnten ihre Regeln den Gesetzen anpassen.
/t/urteil-zur-saeuglingsbeschneidung/6906749/5
Und ich habe nichts anderes getan, als darzulegen, warum das - aus Sicht der Religionsgemeinschaft - nicht so einfach ist. Wenn Sie dazu anderer Meinung sind, dann schreiben Sie’s der Übersicht halber bitte auch dort hin.

Und das, was Sie in diesem Beitrag bildreich erläutern…
/t/urteil-zur-saeuglingsbeschneidung/6906749/52
…hatte ich deutlich im Beitrag davor, auf den Sie sich bezogen haben, geschrieben.

Martinus

Die Urteilsbegründung (lt. Pressemitteilung) der Richter hebt
nur die Abwägung Recht auf körperliche Unversertheit vs.
Religionsfreiheit / Erziehungsrecht ab.

Das Urteil (http://goo.gl/7sjDv) stellt auch auf das Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 GG) ab.

Sie stellt nicht ab
darauf, was hier in einigen Kommentaren angeklungen ist, dass
mit einer solchen Maßnahme in das religiöse
Selbstbestimmungsrecht des Kindes eingegriffen wird.

Richtig. Darin muss man allerdings nicht unbedingt ein Begründungsdefizit sehen. Denn diese Erwägung würde die Ansicht des Gerichts, wie sie in der Entscheidung zum Ausdruck kommt, lediglich untermauern. Wenn das Gericht dafürhält, dass die gebrachten Argumente hinreichend sind, geht das juristisch gesehen völlig in Ordnung.

Mich würden drei Aspekte interessieren. Einerseits gibt es
noch andere Körperverletzungen ohne medizinische
Notwendigkeit, die Eltern in Deutschland straflos erlauben
oder gar initiieren können: bspw. Tattoos, Piercing,
"Schönheits-"OPs. Bei all diesen Körperverletzungen liegt auf
der anderen Seite der Waagschale nicht einmal das hohe Gut der
Religionsfreiheit.

Das möchte ich zunächst einmal unstreichen: Das Grundgesetz räumt der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) einen sehr hohen Stellenwert ein. Anders als die meisten anderen Grundrechte ist es nämlich gemäß seines Wortlautes nicht einschränkbar.

Wohlgemerkt bedeutet das nicht, dass eine Beschränkung der Religionsfreiheit von vornherein nicht in Betracht kommt, wie sich aus einer einfachen und logischen Überlegung ergibt: Kollidieren zwei Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger miteinander, so lässt es sich womöglich gar nicht verhindern, dass das eine den Vorzug erhält und das andere zurücktreten muss. Darum können Grundrechte oder allgemeiner gesprochen Rechtsgüter von Verfassungsrang eine verfassungsimmanente Schranke auch für diejenigen Grundrechte bilden, die sich selbst nicht für einschränkbar erklären (für die Interessierten: http://goo.gl/Me7D8). Das Landgericht Köln stellt auch ausdrücklich darauf ab.

Verfassungsrechtliche Konflikte hat es im Zusammenhang mit der Religionsfreiheit schon oft gegeben. Man denke etwa an die Weigerung von Zeugen Jehovas, einer lebensrettenden Bluttransfusion für die eigenen Kinder zuzustimmen, an die Erlaubnis, unter bestimmten Umständen Tiere zu schächten (auch wenn das einfache Gesetz, also das Gesetz, das im Rang unter der Verfassung steht, es verbietet) und an die Teilnahme muslimischer Mädchen am schulischen Schwimmunterricht.

Die Beschneidung von Jungen ist erst in den letzten Jahren zu einem viel diskutierten Gegenstand der Rechtswissenschaft geworden. So dürfte auch zu erklären sein, dass nun, nur scheinbar ganz plötzlich, ein Strafgericht Stellung bezogen hat.

Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass oft Dinge, die eigentlich unerträglich sind, schlicht aus Gewohnheit lange akzeptiert und gar nicht hinterfragt werden. Es ist das Recht und auch die Pflicht eines jeden Gerichts, den zur Beurteilung gestellten Sachverhalt „richtig“ und nicht etwa gewohnheitsmäßig zu beurteilen. Nebenbei bemerkt hat das Gericht auch nicht die Wahl zwischen einer richtigen und einer rechtspolitisch wünschenswerten Entscheidung. Es gilt das Gesetz und nur das Gesetz (Art. 97 GG). Das Problem, dass die Beschneidungen zukünftig illegal erfolgen könnten und dann vielleicht viel gefährlicher werden, ist darum ein Aspekt, auf den zumindest ein Strafgericht nicht abstellen darf.

Und es handelt sich auch bei all diesen
Körperverletzungen um welche, bei denen es schon in sich eine
medizinische Abwägung, was den Nutzen angeht, gibt (die es
immerhin bei der Zirkumzision gibt und die zwar contra
Zirkumzision ohne med. Notwendigkeit ausfällt, aber dennoch
gibt es med. Argumente pro). Eigentlich wäre doch hier die
gleiche juristische Messlatte gefragt - oder nicht?

Oder nicht.

Auf der einen Seite sind die Anforderungen an ein Verbot sogar höher, wenn ein religiöses Motiv im Raum steht. Ein Piercing wird in aller Regel als Schmuck getragen, so dass die Religionsfreiheit gar nicht erst zum Zuge kommt.

Auf der anderen Seite weisen deine Beispiele mehr Unterschiede zur Beschneidung eines Jungen auf als nur das Motiv. Einmal ganz abgesehen davon, dass ein Piercing womöglich weitaus weniger in die körperliche Unversehrtheit eingreift als eine Beschneidung, haben wir es hier regelmäßig mit einer ganz anderen Altersklasse des Betroffenen zu tun. Kein Vierjähriger bittet seine Eltern ernsthaft um eine Schönheits-OP, und ich habe auch noch nie von Eltern gehört, die ihr Kind zwingen, sich ein Tattoo stechen zu lassen. Wenn sie das täten, würden sie sich wohl ohne weiteres strafbar machen. Wenn aber der Wunch von dem „Kind“ ausgeht, das ja in aller Regel schon jugendlich ist, ist das etwas ganz anderes.

Überraschen wird dich vermutlich, dass es insbesondere in den üblichen Piercing- und Tattoo-Fällen gar nicht so sehr auf die Eltern ankommt. Denn die Wirksamkeit der Einwilligung hängt jedenfalls im Strafrecht von der (tatsächlichen) Einsichtsfähigkeit des Betroffenen ab und nicht etwa von der Volljährigkeit.

Abseits der juristischen Bewertung erscheint mir nämlich die
Diskussion hierzu ein wenig heuchlerisch, weil sie im Grunde -
so scheint es mir - Stellvertreterdiskussion ist. Es geht gar
nicht so sehr um die Körperverletzung eines „unschuldigen“
Kindes.

Ich lese bei dir allerdings heraus, dass du auch die juristische Bewertung durchaus heuchlerisch findest. Hier die religiös motivierte Beschneidung eines Jungen, die verboten und strafbar ist, dort Piercings und Tattoos, die straffrei bleiben. Doch selbst wenn man aus der Pönalisierung der Beschneidung zwingend darauf schließen müsste, dass Piercings usw. erst recht strafbar sein müssen, wäre das m.E. nicht korrekt argumentiert. Es ist ja nicht gesagt, dass ein Richter, der das eine für strafbar hält, das andere für erlaubt halten würde.

Auch die religiös motivierte Beschneidung wurde bislang nicht als strafrechtliches Problem begriffen. Wenn es nun einen Umschwung in der Rechtsprechung geben sollte (was ich bezweifle, weil (monotheistische) Religionen in Deutschland einen sehr hohen Stellenwert haben; das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgericht ist da eher eine bemerkenswerte Ausnahme denn die Regel), kann man das schlecht unter Hinweis darauf kritisieren, dass doch andere Dinge „auch“ straffrei seien, denn auch hier könnte die Rechtsprechung sich ja ändern. Vor allem aber glaube ich nicht, dass das Landgericht Köln von einer straflosen Körperverletzung ausgegangen wäre, wenn statt der Beschneidung ein Nasenpiercing zu beurteilen gewesen wäre.

Abgesehen davon sind Gerichte nicht an die Ansichten anderer Gerichte gebunden, so dass sie eben auch zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können.

Und rein praktisch: Das ist ein (inzwischen rechtskräftiges)
Urteil eines Landesgerichtes. Juristisch ist die Frage doch
erst einmal jetzt am Ende. Rechtssicherheit gibt es in der
Frage dadurch immer noch nicht, was ich persönlich am
Unbefriedigensten finde. Was müsste passieren, um diese
Rechtssicherheit zu bekommen?

Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung würde den Weg freimachen für eine Klage oder ggf. eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht.

Das Landgericht hätte das BVerfG
anrufen können, hat es aber nicht.

Das konnte es auch nicht. Denn dafür hätte es ein (entscheidungserhebliches) Gesetz für verfassungswidrig halten müssen (Art. 100 GG), was es nicht getan hat.

Was ich im Übrigen an dem
Urteil wirklich ganz besonders Gaga finde: Einerseits
verurteilt man den Arzt nicht mit Verweis auf Verbotsirrtum,
andererseits legt man nicht die Grundlage für eine juristische
Lösung, die aus dieser Rechtsunsicherheit rausführt.

Und was hätte das Gericht tun können, das du nicht „gaga“ findest? Mir fällt nichts ein. Das Gericht hatte nicht mehr und nicht weniger zu entscheiden als die Frage, ob der Angeklagte sich strafbar gemacht hatte. Der Freispruch wegen eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) geht völlig in Ordnung. Daraus ergeben sich aber keine weiteren Kompetenzen für das Gericht.

Und nun?

Nun haben wir erst einmal einen unangenehmen Schwebezustand, für den aber niemand so recht etwas kann.

Last not least: Hier war nur der Arzt angeklagt. Was ist mit
den Eltern?

Das kann ich dir leider auch nicht sagen. Entweder hat die Staatsanwaltschaft auch die Eltern angeklagt, und wir wissen es nicht, oder sie hat es nicht getan, und wir können über den Grund nur spekulieren. Mir fällt kein plausibler Grund ein. Wir müssten doch wenigstens von einer Anstiftung (§ 26 StGB) ausgehen.

Und was - angenommen, es würde verboten (bzw.
nicht mehr entschuldet)- wenn Eltern künftig die Beschneidung
dann nicht mehr durch Ärzte, sondern durch med. Laien
durchführen lassen mit der Variante, dass sie dieses ggf. im
Ausland tun. Könnten Sie dann hier - auch im Nachhinein -
belangt werden?

Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist (§ 7 StGB).

Eine Entschuldigung wird wohl nicht mehr in Betracht kommen, weil nun kein Arzt mehr sagen kann, er habe von der Strafbarkeit nichts gewusst und hätte davon auch nicht Kenntnis nehmen können. Für die bis heute geschehenen Beschneidungen wird aber immer auf Verbotsirrtum erkannt werden.

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