Hallo Janina,
So leidenschaftlich dein Beitrag bis dahin und im Folgenden
ist. Würde der auch genauso leidenschaftlich ausfallen, wenn
es sich um das Piercing eines 3-,4-,5-Jährigen handelt? Oder
die Nasenkorrektur der 12-Jährigen? Oder das Tattoo?
erstens einmal war mein Beitrag nicht „leidenschaftlich“, sondern ich habe die Rechtslage dargestellt und klar gemacht, dass eine Urteilsschelte hier unangebracht ist weil das Landgericht Köln eben aufgrund dieser Rechtslage gar nicht anders urteilen konnte , als es getan hat. Zweitens gilt diese Rechtslage natürlich auch für die von Dir genannten Fälle - aber hier befinden wir uns nicht im Brett ‚Allgemeine Rechtsfragen‘ oder ‚Unterricht und Erziehung‘ sondern ‚Religionswissenschaft‘ und diskutieren eine religionssoziologische Frage.
Ich finde diese ganze Diskussion dann heuchlerisch, wenn sie
nur unter dem flammenden Schwert contra Religion geführt wird.
Hier gilt derselbe Hinweis. Außerdem geht es zumindest bei mir definitiv nicht um „contra Religion“ sondern um das spannende Thema Konflikte zwischen archaischen religiösen Anforderungen und Geboten einerseits und staatlich garantierten Menschen- und Grundrechten andererseits.
Aber um für dieses Mal auf Deinen Versuch, die Diskussion in einen offtopic-Bereich zu drängen (mutatio controversiae heisst dieser eristische Taschenspielertrick) einzugehen, stelle ich einfach mal die Umkehrfrage: würdest Du Eltern, die ihre Kleinkinder mit einem Piercing ‚verschönern‘, genauso in Schutz nehmen wie die, die ein 8 Tage altes Baby beschneiden lassen - übrigens in der Regel ohne Betäubung, weil diese in diesem Alter das medizinische Risiko noch erheblich vergrößern würde? Wie schon gesagt - die Rechtslage ist völlig dieselbe - auch Eltern, die ihre Kinder mit Piercings oder Tattoos schmücken wollen, tun dies in dem subjektiven Glauben, dass dies für ihre Kinder von Vorteil ist.
Um nun aber nicht ganz vom Boden der Realität abzuheben - wann hast Du das letzte Mal einen gepiercten oder tätowierten 3-,4-,5-Jährigen gesehen? Möglicherweise bin ich als jemand, der auf dem Land lebt, nicht so ganz auf dem Laufenden - aber ich gehe mal davon aus, dass
a) kein Tätowierer, der noch bei Trost ist, einen solchen Auftrag annehmen würde, weil die daraus entstehenden Rechtsfolgen keine Versicherung tragen würde (wenn schon nicht aus naheliegenderen Gründen) und
b) das Jugendamt, sobald es davon Wind bekäme, die Kinder aus der Obhut der Eltern nähme - zumindest aber ein paar ernste Worte mit ihnen sprechen würde. Zu Recht, wie ich finde - und das ist jetzt nicht nur juristisch gemeint.
Nicht, dass ich missverstanden werde, ich bin nicht pro
Zirukumzision eingestellt. Aber die Diskussion sollte auf der
richtigen Eben geführt werden.
Und diese „Ebene“ wäre nun welche?
Dazu gehört, dass ein Cool-Sein
oder die Realisierung eines Schönheitsideals (ggf. gar eines
der Eltern, was noch nicht einmal das des Kindes ist) mit
Sicherheit niedriger zu werten ist als die Religionsfreiheit
Das ist eine polemische Verzerrung. Es geht nicht um „Cool-Sein oder die Realisierung eines Schönheitsideals“ sondern um das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder, in das da ggf. eingegriffen wird. Auch ein Grundrecht, lies mal Art. 6 GG.
Anscheinend müssen wir hier zur Aufklärung eines Missverständnisses noch ein wenig tiefer in die Rechtsmaterie einsteigen - Deine Perspektive scheint mir da doch etwas verschoben. Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit ist eben nicht die Freiheit, die Religion bzw. religiöse Erziehung Anderer - und sei es die der eigenen Kinder - aus eigenem Recht zu bestimmen.
Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes ist sowohl positiv als Recht, eine Religion in freier Entscheidung zu wählen, als auch negativ als Recht, keine Religion zu wählen und von religiöser Erziehung unbehelligt zu bleiben, bestimmt. Dieses Grundrecht auf negative Religionsfreiheit dürfen Kinder unter 12 Jahren nicht selbst ausüben und als Ausfluss des Grundrechtes auf Erziehung wird Eltern gestattet, das Grundrecht auf Religionsfreiheit als gesetzlicher Vertreter ihrer Kinder stellvertretend auszuüben.
Bei der Bestimmung der religiösen Erziehung durch die Eltern wird von diesen also nicht das Recht auf Religionsfreiheit in Anspruch genommen sondern das Erziehungsrecht. Diesem wird hier Vorrang vor dem Recht der Kinder auf negative Religionsfreiheit gegeben. Umfang dieser Einschränkung der Religionsfreiheit der Kinder regelt das Gesetz über die religiöse Kindererziehung (RelKErzG). Dieses erlaubt Kindern erst ab 12 Jahren, ihr Grundrecht auf negative Religionsfreiheit selbst in Anspruch zu nehmen, positive Religionsfreiheit dürfen sie ab 14 Jahren selbst in Anspruch nehmen.
Wenn hier im Zusammenhang mit der in Frage stehenden Gerichtsentscheidung von Religionsfreiheit die Rede ist, dann sollte man sich bitteschön erst einmal vor Augen halten, dass es nicht um die Religionsfreiheit der Eltern geht - diese wird nämlich in keinster Weise eingeschränkt - sondern um die Religionsfreiheit der Kinder. Dieses Recht nehmen die Eltern lediglich stellvertretend wahr. Darüber zu wachen, dass sie dies verantwortlich und nicht missbräuchlich, also nicht im eigenen Interesse sondern im wohlverstandenen Interesse der Kinder tun, ist Aufgabe des Staates.
und die drohende Stigmatisierung des Kindes, wenn es sich
innerhalb der Glaubensgemeinschaft bestimmten Ritualen nicht
unterzieht.
Genau das ist das Argument, was man z.B. auch von den Befürwortern und insbesondere den Befürworterinnen der Mädchenbeschneidung hört. Von Juden habe ich dieses Argument noch nicht gehört und erwarte auch nicht, es zu hören zu bekommen. Mal ehrlich - was ist denn von einer Religionsgemeinschaft zu halten, die Kinder stigmatisiert, weil sie nicht beschnitten sind? Überhaupt von Religionsgemeinschaften,die ihr Fortbestehen durch sozialen Druck sichern müssen? Da wären die Kinder doch eher zu beglückwünschen,wenn sie von solchen Gemeinschaften möglichst großen Abstand gewinnen.
Wenn man sich die leidenschaftliche Diskussion hier und auf
den Kommentarseiten der Tageszeitungen anguckt und dann
umgekehrt, wie solche Diskussionen beim Thema Piercen von
Kindern bspw. ablaufen…
Hier mal ein Beispiel aus dem Archiv:
Sorry, aber für dumme Ansichten Anderer - zumal wenn sie in Brettern geäußert werden, in denen ich nicht mitdiskutiere - bitte ich doch, nicht mich verantwortlich zu machen.
Freundliche Grüße,
Ralf