Sozialgesellschaftliche Blickkontakte.
Aha.
Ja genau! Ich meine, warum lebst Du denn auf’m Dorf? Hast Du et-
wa das schnöde, anonyme und unpersönliche Großstadtleben nicht,
oder nicht mehr ausgehalten? Es lässt sich leicht über etwas re-
den u. groß herziehen wenn man nicht selbst davon betroffen ist,
nicht wahr?
Dann wüsste ich gern, was du überhaupt über Umgangsformen
weißt.
Wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger als Du.
Menschen haben unterschiedliche „Distanzzonen“, die den
Abstand zu anderen Menschen regeln. Zu Menschen, die man nicht
kennt, hält man bspw. einen größeren Körperabstand als zu
vertrauten Menschen.
Sach bloß, wusste ich noch gar nicht. Bin grad neu auf die
Welt gekommen.
Diese Distanzzonen zu kennen und zu respektieren ist Teil
unserer Kultur und gehört zu den Soft Skills, die ein Mensch
haben sollte.
Mann bin ich blöd…
Hält jemand diese Distanzzonen nicht ein, wird das von anderen
Mensch als aufdringlich und unhöflich(!) empfunden. Es wird
dir also im Berufsleben mal zugute kommen, wenn du es noch
lernst, solche Distanzzonen einzuhalten.
Sag mal wie kommst Du eigentlich darauf, dass ich sowas nicht
wüsste und noch lernen muss? Und wie kommst Du darauf, dass ich
etwa noch nicht im Berufsleben stehe?
Das Einhalten dieser Distanzen kann durch bestimmte Umstände
erschwert werden, bspw. wenn es in der U-Bahn sehr voll ist:
Dann ist man auf einmal mit vielen Menschen auf Körperkontakt,
die man gar nicht kennt. Dann wird die Distanz über Blicke
geregelt, d.h. man würde jemandem dann nicht noch tief in die
Augen sehen, weil das zu vertraut wäre.
Klar, mache ich täglich sowas. Kriege jedes Mal eine geknallt
und verstehe danach die Welt nicht mehr.
Das ist so anonym, so kalt u. unper-
sönlich. Ein Ausdruck unserer heutigen Gesellschaft?
Das es dir kalt vorkommt hat wohl damit zu tun, dass dir
persönlich Nähe und Wärme fehlen.
Mag sein, aber da bin ich bestimmt nicht der Einzige…
Kennst Du den Song „Dein Leben“ von den Söhnen Mannheims
(mit Xavier Naidoo)? Lief/läuft oft mal im Radio.
[Auszug]
Es geht nicht nur um dein Leben,
sondern ob es ein Leben ist.
Mach es dir nicht zu schwer,
zu viele Blicke sind schon leer.
Wir stelln die Ordnung wieder her,
die keine Ordnung ist.
Gib die Sorgen wieder her.
Wenn das in Ordnung ist,
Dann lebt jeder wieder mehr
Und alles ordnet sich.
Hoffnung ist größer als das Meer.
[Auszug Ende]
Vielleicht ist mein Blick ja gerade nicht leer. Und viellei-
cht sind mir andere Mitmenschen ja nicht völlig gleichgültig?
Unpersönlich ist es, weil Menschen in einer Stadt mit hoher
Bevölkerungsdichte gar nicht mit jedem anderen Bewohner in
(Blick-)Kontakt treten können oder wollen. Wo Menschen eng
zusammenleben, müssen sie Wege finden, sich gegeneinander
abgrenzen zu können, um eine gewisse Privatsphäre bewahren zu
können.
Stell Dir vor in die U-Bahn steigt ein Straßenmusiker ein und
beginnt auf seiner Gitarre zu spielen und etwas zu singen. Und
keiner guckt hin (viele tun es tatsächlich nicht) und niemand
gäbe Geld. Dann würde es das bald nicht mehr geben und immer
mehr stirbt, wird tot und grau.
Wenn ich durch mein Dorf gehe, grüßen mich alle, die ich
treffe. Ich treffe aber auch höchstens 12 Leute.
Gehe ich durch die Großstadt, dann kann ich nicht alle 3000
Menschen grüßen, die mir beim Shopping über den Weg laufen.
Klaro?
Man bin ich blöd, das war mir jetzt überhaupt nicht klar…
Hat denn jemand verlangt oder geschrieben, Du sollst alle
grüßen, anlächeln und ihnen auch noch die Hand schütteln?
Nein! Es ging lediglich um kurze Blicke. Viele Menschen se-
hen sich ja nicht mal in d. Augen, wenn sie miteinander re-
den (okay ich nehm’s sicherheitshalber gleich vorweg: Hier-
mit habe ich nicht gemeint oder verlangt, dass man sich wäh-
rend eines Gesprächs ununterbrochen die ganze Zeit in die
Augen starren muss).
Alle gucken
auf ihr Handy, in die Zeitung, aus dem Fenster, oder ausweichend
ins Leere.
Ja, und zwar, weil sie nicht mit jedem in Kontakt treten
können oder wollen. Das ist die Art, wie man sich im Gedränge
abgrenzt.
Ich finde auch in Ballungsräumen sollte Kommunikation unterein-
ander nicht verlorengehen, und die fängt mit Blickkontakten an!
Wenn ein Notfall oder Überfall in d. U-Bahn passiert, dann muss
die Kommunikation unter den Fahrgästen schließlich auch funktio-
nieren (was sie aber leider vielfach eben auch nicht mehr tut).
Wie langweilig.
Das ist eben dein Problem. Offensichtlich hast du einen sehr
großen Wunsch nach Nähe und menschlicher Begegnung und suchst
dir dafür das falsche Jagdrevier. Und dafür, dass du
Langeweile hast, bist nur du selbst verantwortlich, kein
anderer Mensch muss sie dir vertreiben.
Schon wieder hast Du mich voll erwischt! Ich bin immer derjeni-
ge, der mit der fleckigen Jogginghose in der U-Bahn sitzt und
sabbernd und geifernd den Frauen nachstellt…
Im Übrigen: Keine Frau muss sich rechtfertigen, dass sie
auffällige Partyklamotten trägt und dich auf dem Weg zu Party
keines Blickes würdigt.
Das hab ich auch nicht verlangt. Ich denke, viele haben auch
einfach Spaß und Gefallen daran zu gefallen. Den Spaß sollte
man ihnen lassen. Ist doch schön!
Du beziehst alles auf dich und machst deinen Selbstwert davon
abhängig. Und wenn das scheitert, dann wertest du den anderen,
der dein Ego nicht pushen will, ab. Deshalb bist du in meinen
Augen schon irgendwie ein armes Würstchen.
Oh weh, jetzt fühl ich mich aber mies…
Wie Du mich immer triffst -
Yedi386