Aus der Sicht einer Angehörigen
Hi helena ,
ich habe nicht alles gelesen,daher möge man mir evtl. Wiederholungen verzeihen.
Als Angehörige eines Wachkomapatienten ist meine Meinung sicherlich von anderen Erfahrungen geprägt,als das bei den meisten Menschen der Fall sein wird.
Ich finde die Diskussion um Terri schlicht und ergreifend entsetzlich.Mal ganz abgesehen davon,daß der „Fall“ in Amerika zu einem Politikum hochgepuscht wird,frage ich mich auch hier immer wieder,wie man allen Ernstes die Meinung vertreten kann,man möge diese arme Frau doch endlich verhungern und verdursten lassen !
Mir persönlich graust von der Gedanke, daß dieser Frau
gezwungen wird, so ein Leben weiter zu führen. (siehe dafür
den Film: „Das Meer in mir“ - Ich persönlich denke genauso wie
Ramon Sampedro)
Ich kenne diesen Film nicht,kann dazu also nichts sagen,empfehle an dieser Stelle aber mal die Lektüre der Bücher von Julia Tavalaro -„Bis auf den Grund des Ozeans“ und Jean-Dominique Bauby -„Schmetterling und Taucherglocke“ !
Beide Bücher sind von Wachkomapatienten verfasst!
Julia Tavalaro,nach einer Hirnblutung seit nunmehr über 20 Jahren im Wachkoma schrieb das Buch nachdem sie über 7 Jahre für quasi hirntod gehalten wurde und entsprechend in einer Pflegestation vor sich hindämmerm mußte.Erst ein Klinikwechsel und eine aufmerksame Krankenschwester,die bemerkte,daß man sich über einen einfachen Ja-Nein-Code mit ihr verständigen konnte, ermöglichten ihr ihr heutiges Leben - im Rollstuhl aber in Kontakt mit ihrer Umwelt (sie besucht sogar Literaturseminare)
Jean Dominique Bauby- ehemaliger Chefredakteur einer großen Pariser Zeitung-erlitt mit 43 Jahren einen Hirnschlag ,der ihn komplett und dauerhaft lähmte.Ähnlich wie J.T. konnte er sich nur noch mit dem Zwinkern eines Augenlieds verständlich machen.
Sein Buch-mit unglaublichem Mut,Humor und Witz geschrieben- beweist,daß auch ein Leben in einem solchen Zustand lebenswert sein kann!
Natürlich sind nicht alle Wachkomapatienten derart präsent - aber wer will entscheiden,ob sie es sind oder nicht,bzw. selbst die Neurologen geben zu,daß sie noch meilenweit davon entfernt sind,die Funktionsweise des menschlichen Gehirns wirklich zu verstehen und stehen immer wieder unschlüssig vor ganz erstaunlichen Entwicklungen.
Und wer weiß schon etwas über das Seelenleben eines solchen Menschen?
Mir persönlich graut eher vor einer Gesellschaft,die ihre schwächsten Mitglieder als lebensunwert einstuft oder ihnen schlicht den Tod wünscht -mit der geballten Überheblichkeit und Angst des Gesunden der unfähig ist,sich einen anderen Zustand auch nur vorzustellen.
Ich finde, die Medizin hat solche Fortschritte gemacht, daß
mittlerweile, das Leben eines Menschen oft nicht nur an die
Natur liegt sondern eben an der Stand der medizin oder -noch
weit schlimmer- an das wohlwollen der Gesetzesgeber.
Unglaublich!
Da gebe ich Dir Recht.
Ich möchte eines Tages auch nicht vom Wohlwollen des Gesetzgebers abhängig sein,wenn ich einmal krank werde und wömöglich mit über 60 eine Dialyse,ein Hüftgelenk o.ä. brauche…
Diese Dame, hätte vor 50 Jahren so etwas erlebt, wäre jetzt
nciht am Leben. Doch jetzt entscheiden 500 Menschen über ihr
Leben und zwar 500 menschen die sie noch nie gesehen hat und
die vor 2 Jahrn noch nie von ihr gehört hatten. Und nun
bestimmen sie, daß Terri zu leben hat.
Und Du kennst sie so gut,daß Du ihren Todeswunsch hier in ihrem Namen vertreten kannst…?
Außerdem hast Du vielleicht auch mitbekommen,daß ihre Eltern darum kämpfen,daß sie am Leben bleiben darf!!!
Ihr Ehemann kann sich doch auch in „Abwesenheit“ scheiden lassen,so daß seinem Glück nichts mehr im Wege stünde!
(…aber halt - dann würde er ja wahrscheinlich die Versicherungssumme nicht kassieren können - zu dumm…)
Ich habe in Erfahrung gebracht wie sie zu diesem Wachkomma
(„Apallisches Syndrom“ ist der Fachbegriff dafür) kam: Vor 15
(!!!) Jahren wollte die damals 26 Jahre alte Terri Schiavo
eine Fastenkur machen. Aufgrunddessen kam sie zu einem solchen
Kaliummangel, daß sie einen Herzinfarkt erlitt. Dieser hatte
zu Folge, daß ihr Gehirn lange genug mit Sauestoff
unterversorgt wurde, so daß sie in diesem Wachkomma zustand
fiel. Und so bis heute. Die Verantwortlichen, die diese Diät
empfahlen, wurden zu einer Bezahlung von 2,2 Mio US$
bestrafft.
Es ist doch völlig unerheblich,wie sie in diesen Zustand geraten ist.
Doch in diesem Zustand, (im Gegnsatz zu Komma) sind einige
Reflexe noch vorhanden und manchmal schaut es so aus, als ob
der Patient tatsächlich auf Reize reagiert. Was aber falsch
ist.
Woher beziehst Du Dein diesbzgl. Wissen?
Um Deine Kenntnisse etwas zu vertiefen,empfehle ich die Lektüre eines der Bücher von Prof.Andreas Zieger (Neurochirurg),der zum Thema Wachkoma forscht und arbeitet und dabei Mensch geblieben ist (ein ganz außergewöhnlicher sogar…)
Deine Aussage erinnert mich an den Ausspruch eines ganz besonders feinfühligen Neurologen,der uns seinerzeit auf der Intensivstation mit dem freundlichen Kommentar bedachte :„Ein Huhn dem man den Kopf abhackt, zappelt auch noch ein bißchen…“
Am liebsten hätte ich dem Herrn ins Gesicht gek…
Kein mensch hat bis jetzt beweisen können, daß diese
Regungen auf gespürte Emotionen zurück zu führen sind. Also,
die Patienten verlieren Wasser aus den Augen, sie weinen aber
nicht; die Patienten strecken bestimmten Gesichtsmuskeln,
lächeln aber nicht;…
Das ist VÖLLIGER QUATSCH!!!
Jeder der mit Wachkomapatienten zu tun hat,weiß mit der Zeit die Eigenheiten und Wünsche des Patienten zu deuten ,auch wenn sich dies eben nicht auf den uns normalerweise vertrauten Kommunikationsebenen abspielt, sondern sich sehr viel subtiler äußert.
Ich kenne inzwischen sehr sehr viele Wachkomapatienten und Du würdest staunen,wenn Du sehen könntest,wie sehr sie sich freuen können,wenn man sie z.B. ins Wasser legt oder wie aufmerksam sie zuhören,wenn man ihnen vorliest oder wie die Augen aufgehen,wenn sie ihre Lieblingsmusik hören oder,oder,oder…
Der Vater eines Betroffenen hat es einmal so formuliert:smiley:iese unendliche Freude und Dankbarkeit in den Augen seines Schwerstbehinderten,dauerbeatmungspflichtigen,erwachsenen Sohnes würde ihn für alles Leid und den ungeheueren Stress (den die Pflege eines solchen Patienten natürlich 24 Std. am Tag bedeutet)mehr als entschädigen.Die meisten Menschen haben keine Ahnung,wieviel ein Wachkomapatient einem auch GEBEN kann!!!
Aber mal angenommen, sie wacht tatsächlich auf: Davon
abgesehen daß sie schwerstbehindert ist und bleibt (das ist
absolut kein Grund zur Entscheidung für oder ohne - ich wollte
es nur erwähnt haben), in welcher Welt wird sie wieder
„hineingeboren“ werden? Als sie den Herzinfarkt erlitt wie
war die welt? Was geschah dann??? Seitdem weiß sie ncihts von
der Aussenwelt!
Na und?
Es hat vor einigen Jahren einen französischen Jungen gegeben,der in Italien einen Unfall hatte und dort lange Zeit im Koma lag,als er wieder aufwachte konnte er kein Wort französisch mehr - dafür aber fließend italienisch.Das hatte er während seines Komas (im Schlaf?) erlernt.
Ich persönlich kenne eine Frau,die nachdem sie (schwerbehindert) wieder erwacht war,ihre Familie nicht mehr erkannte.Noch heute muß man ihr ihre Kinder immer wieder aufs Neue vorstellen- aber sie erkennt mit großer Freude nach wie vor alle,die sie seinerzeit in der Reha gepflegt und versorgt hatten.
Ist das nach Deiner Auffassung „lebensunwert“?
Ich kenne einen jungen Mann,dem man heute seine Behinderung kaum noch anmerkt.
Auch er lag über viele Monate im Koma.Die Eltern hatte man bereits auf eine mögliche Organentnahme angesprochen,da er als nahezu hirntot galt und die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt werden sollten.
Dem haben sie zum Glück nicht zugestimmt und ihn statt dessen verlegen lassen.
Ich bin auf Eure Meinungen sehr gespannt!!
Nichts und niemand gibt uns das Recht,über das Leben oder Sterben anderer Menschen Entscheidungen zu treffen.
Und wer da meint beurteilen zu können,ob ein Leben lebenswert ist oder nicht ist nach meiner Auffassung nicht nur arrogant und dumm,sondern vor allem gefeit vor jeglichen Erfahrungen,die uns als Menschen dem Menschsein - der Humanitas - näher bringen und uns daran reifen und wachsen lassen.
Auf die Art und Weise,wie wir den Kränksten und Schwächsten in unserer Gesellschaft begegnen,begegnen wir uns letztendlich selbst.
Sorry - aber diese aufgeregte Großbuchstabenzeitungsmentalität macht mich einfach wütend und all deren Vertretern möchte ich nicht wünschen,daß sie sich eines Tages in einer Situation wiederfinden,wo ihr Aufschrei nach humanem Sterben (im Fall Terri ja alles andere als human) oder gar Sterbehilfe auf (Finanz-)politisch offene Ohren gestossen ist und sie womöglich selbst davon betroffen sind.
MfG Ango