Hallo Carlos,
hast du jemals in einer deutschen Hauptschulklasse gestanden und unterrichtet? Falls das deutsche Abitur ein Niveau erreichen sollte, das von der Mehrzahl dieser Schüler geschafft werden würde, könnten wir nach meiner Überzeugung auch ganz darauf verzichten.
Über den Zeitpunkt der Selektion kann man sicher nachdenken, zu glauben, man könne sie aufheben und dabei den selben Standard wahren, halte ich für recht naiv. Daran ändern auch Praktiken in anderen Ländern nichts. Die Versuche gleichzumachen führen letzten Endes immer zu einer Verschlechterung, da man ein Mittel aus den Guten und den Schwachen bilden muss. Das geht immer zu Lasten der Guten.
Nichtsdestotrotz halte ich es für unabdingbar, Schwächere zu fördern und vielfältige Möglichkeiten für Quer- und Seiteneinstiege zu schaffen.
Ein Problem, dessen Lösung aber noch vor allem stehen müsste ist in meinen Augen aber das Fehlen von Kulturtechniken und den (an sich) simpelsten Grundsätzen von Anstand und Erziehung. Solange Lehrer damit beschäftigt sind, drei Viertel ihrer Unterrichtszeit damit zu verbringen, Schüler daran zu hindern, sich zu schlagen, mit unflätigen Bemerkungen um sich zu werfen und sich komplett respektlos zu verhalten, kommt Wissensvermittlung zu kurz.
Selbstverständlich ist Unterricht immer auch Erziehung und nicht nur die Vermittlung von Fakten. Aber: Das wird zwar lautstark gefordert, aber gleichzeitig permanent unterlaufen. Auch hier im Forum kann man beobachten, wie Schüler bei völlig normalen Erziehungsmaßnahmen nach dem Rechtsanwalt rufen und Eltern den Lehrern jegliches Recht entziehen, erzieherisch zu handeln, sobald sich der Sprössling bei Mama beklagt.
Es ist schwierig für Kinder, Lehrer als Respektsperson zu betrachten, wenn Eltern ihnen zuhause vermitteln, dass sie sich von ihnen nichts gefallen lassen müssen. Natürlich dürfen Kinder nicht in Angst vor Lehrern leben müssen. Umgekehrt darf das aber ebenso wenig passieren.
Schöne Grüße,
Jule