Mündiges Glauben vs. theologisches Unwissen
Hallo Maria,
da du deine Frage nach der „Mündigkeit“ des Glaubens
rein auf das Christentum hin
verstanden haben möchtest, finde ich es sinnvoll, auch dort in den Quellen nach Möglichkeiten der Antwort zu suchen. Daß du „Mündigkeit“ hier in einem speziellen Wortgebrauch ansprichst, sagst du selbst, und Ralf hat dazu noch einiges zu Bedenkende beigetragen.
Ich glaube, mich nicht allzuweit aus dem Fenster zu hängen, wenn ich deinen „mündigen Glauben“ in der johanneischen Literatur zugrunde gelegt finde (obwohl die sich in der Christologie ganz erheblich von der synoptischen und der paulinischen unterscheidet). Und zwar im Begriff der Vollmacht (εξουσία) in Joh 1.12:
„Die ihn aber aufnahmen, denen geb er die Vollmacht, Kinder Gottes zu werden - den an/in seinen Namen Glaubenden.“ Wobei die religionssprachlichen Ausdrücke „Kind Gottes“ und „an seinen Namen“ für damalige Leser, wie man weiß, nicht mißverständlich waren. Im „Gesamtpaket“ der joh. Schriften bedeutet insofern „Glauben in ihn“ (wobei ich das „in ihn glauben“ für einen Spezialbegriff dieses Autors halte): „Glauben, daß er der Gesandte Gottes ist“ (im Joh. vielfach so geschrieben). Und dies wiederum besteht lt. Joh-Autor exklusiv(!) darin, dem Auftrag (εντολή), den Jesus als Gesandter zu vermitteln habe, rigoros Folge zu leisten, nämlich dem „liebt einander“ - zusammen mit den in Kap 13-17 ausgeführten Implikationen, die im Begriff „ewiges Leben“ zusammengefaßt sind.
Dieses Glauben ist - lt. Joh. - eine Sache der persönlichen, individuellen Entscheidung und nicht etwa eine der Begabung oder gar des Gefühls. Zu dieser Entscheidung sei dem Menschen die Vollmacht gegeben, und diese Vollmacht beinhaltet die anthropologische Voraussetzung, daß jeder Mensch auch fähig ist, sie (die Entscheidung) zu treffen und sie (die Vollmacht) in Anspruch zu nehmen.
Das allein ist demnach der Kern (speziell christlichen) „mündigen“ Glaubens, mit dem natürlich auch die Realisierung des Auftrags verbunden ist.
Eine weitere Form, in der die Realisiierung des Auftrags (auch vielleicht die von dir gemeinte Mündigkeit) formuliert wird, findet sich im ersten joh. Brief in 1.Joh. 3.19: „daraus erkennen wir, daß wir ‚aus der Wahrheit‘ sind …“. Dort wird also - neben der interaktiven Form des Liebesauftrags - aus dem „innerpsychischen“ Umgang mit der je eigenen Verzweiflung („wenn uns unser Herz verdammt …“) eine weitere individuelle Glaubensgewißheit gewonnen. Das sollte daher gemeint sein, wenn gefragt wird ob sie „wissen, was sie glauben“: Daß sie es wissen, ist damit ja gesagt. Denn das Glauben besteht in der Übernahme eines Auftrags, etwas Bestimmtes zu tun.
Und für diese elementare „Definition“ des christlichen Glaubens (1.Joh. 2.3 bestätigt das) bedarf es keinerlei weiterer Bildung, Ausbildung, Sprachen- und Literaturkenntnis, auch keinerlei Wissens um alle die späteren über Jahrhunderte sich hinziehenden Diskussionen, die btw. weniger religionswissenschaftlicher als vielmehr theologiegeschichtlicher Art sind. Insofern sind auch alle die durch spätere Begriffsdifferenzierungen entstandenen Abspaltungen mit gegenseitigen Verfluchungen („Anathema estin“) und Exkommunizierungen irrelevant. Sofern sie sich an die o.g. Definition des „Glaubens an/in Christus“ binden, sind auch alle Antitrinitarier, Arianer, Modalisten, Miaphysitisten, Nestorianer und und und ebenso „Christen“. Alles das ist Überbau, der gegenüber dem Kern der Geschichte invariant (wenn auch nicht unbedingt irrelevant) ist.
Wenn man sich umschaut in dem, was „fromme“ Christgläubige tatsächlich „verstehen“, auch wenn sie das allgemein als Mindestbedingung verstandene Symbolum Nicaenum sprechen (mit dem ja z.B. die Arianer ausgeschlossen wurden, die über mehr als 500 Jahre die Mehrheit der Christen ausmachten), dann würde man kaum sagen können, daß sie „wissen“, was sie da als Bekenntnis formulieren.
Die Frage ist also nicht, ob sie wissen, was sie glauben, sondern ob sie verstehen, was sie als Bekenntnis formulieren. Fragt z.B. man genauer, was damit gemeint sei:
- mit „eines Wesens mit dem Vater“ (Was ist mit „Wesen“ gemeint? Zumal diese „ousia“ nichts mit dem zu tun hat, was in der heutigen Umgangsprache seit dem Deutschen Idealismus damit gemeint ist),
- mit „gezeugt, nicht geschaffen“ (zusammen mit der Bestimmung „gezeugt vor aller Zeit“, also „vor der Schöpfung“),
- mit „in der Person die Verschiedenheit“ (wobei der umgangsprachliche Begriff „Person“ weder mit dem damaligen (4. Jhdt) griech. „hypostasis“, noch mit der lat. „persona“ etwas zu tun hat),
- mit „Heiliger Geist“, der im Original ja ein Neutrum ist und weder eine Taube(!?) noch eine graue Eminenz wie die in schottischen Schlössern,
usw. usw. dann wird klar, daß diese begrifflichen Feinheiten dem „normalsterblichen Glaubenden“ (dein Ausdruck) vollkommen böhmische Dörfer sind.
Das wird noch deutlicher, wenn man etwa nachfragt, wieso, inwiefern und warum eigentlich „Jesus ‚für uns‘ am Kreuz gestorben ist“. Oder wieso und inwiefern er dadurch „unsere Sünden aufgehoben“ habe. Und selbst, wenn man, wie aus der paulinischen Christologie folgend, das Geschehen als Sühneopfer interpretiert: Kein einziges antikes Opferritual impliziert einen derartig gezielt grausamen Foltertod.
Und wenn man „normalsterbliche Glaubende“ nach der Bedeutung der Trinität fragt, bekommt man auch häufig Antworten, die man eher einem Polytheismus zuschreiben würde, zumal die Details von Heilgenkulten, vor allem im Mittelmeerraum, sowieso eher an einen Polytheismus denken lassen, zumindest einem Kult einer göttlichen Quaternität, wenn man die Marienverehrung in ihren zahlreichen Ausformungen mit hinzunimmt.
Das alles wurde über Jahrhunderte zwischen den genialsten Köpfen der europäischen Geistesgeschichte diskutiert und differenziert, nicht ohne letztlichen Lateral-Nutzen für andere Wissenschaften, aber jedenfalls über die Köpfe der „normalsterblichen“ Gläubigen hinweg. Das sind daher Inhalte, die sich tatsächlich nur dem fachlich Aus- und Vorgebildeten erschließen, und auch heute nur dem, der die sprachlichen Grundlagen hat, nicht nur die ursprünglichen Schriften nachzulesen, sondern vor allem auch die jahrhundertelangen Diskussionen zu verfolgen (und auch die Gründe dafür einzusehen).
Das alles sind aber eben Fragen der Theologiegeschichte und der Religionswissenschaften, auch der abendländischen Philosophiegeschichte. Es sind Fragen der Glaubens_inhalte_, Fragen ihrer Formen und Formulierungen. Es sind gar keine Fragen des Glaubens als solchem (siehe oben). Sie betreffen also nicht die Mündigkeit des Glaubens, sofern es die „Botschaft“ und den „Auftrag“ betrifft, wie er in den Evangelien zu Grunde gelegt ist.
Gläubigkeit, Frömmigkeit, die sich in der einen oder anderen auch sprachlichen Form artikuliert, ist halt nicht dasselbe wie Wissen über religiöse Inhalte und deren Begriffs-Geschichte. Letzteres läßt sich tatsächlich nur durch einschlägige jahre- und jahrzehntelange Studien und Forschungsbemühungen erwerben. Und zu dessen Vermittlung - im Falle entsprechender Fragestellungen - ist dieses Brett ja ursprünglich mal gedacht gewesen.
Noch kurz zu deinem zweiten angedeuteten Thema:
angesichts des Umgangstones - gerade von Seiten der Experten hier
Es mag daran liegen, daß du noch relativ kurz hier bist: Viele der hier Schreibenden kennen einander schon seit vielen Jahren, und haben reichlich Erfahrung, welche Motive hinter so manchen Explikationen stecken. Wenn manchmal der Sound etwas heftiger und deutlicher wird, dann liegt dem oft eine lange Geschichte und Erfahrung mit penetranter Unbelehrbarkeit und ewig wiederholtem argumentativ-methodischem Unsinn zu Grunde.
Das betrifft nicht nur Pseudo-Fragen, die nur Anlaß für der eigenen Phantasie entsprungene, religionswissenschaftlich sein sollende „Theorien“, oder von anderen Literaturen „abgekupferte“ Abhandlungen, oder auch z.B. begrifflich wirres ewigwiederholtes „Identitäts“-Geblubber. Es betrifft vor allem auch unaufhaltsam betriebene Missionierung nicht nur religiöser, sondern auch antireligiöser Art. Letzteres ging in früheren Jahren (manche wissen das noch) noch ganz anders zu und konnte erst einigermaßen gedämpft werden, als wir endlich erreichten, diesem Brett den jetztigen Titel zu geben mit den Beschränkungen, die in der Brettdefinition vermerkt sind. Daß diese sich nicht durchsetzen lassen, liegt nicht an den Teilnehmern hier. Aber es ist halt auch der Grund, warum manchmal der Ton hier etwas heftiger ausfällt. Es betrifft immer solche User, die hier schon seit Urzeiten tätig sind.
Schönen Gruß
Metapher