Wissend (im) Glauben

Moin,

Ab wann darf man sich mündiger Christ nennen? Mündig in dem
Sinn, dass man weiß was man glaubt.

Wer nicht weiß, was er glaubt oder glauben soll, ist wohl kaum als gläubig zu bezeichnen.

Aber es wird immer wieder der
Eindruck erweckt zum Glauben dürfe bzw. auch könne sich nur
jemand kompetent äußern, der mindestens 2 Doktortitel
aufzuweisen hat und sämtliche antike Literatur in seinem Leben
bereits zumindest einmal selbst übersetzt hat.

Das klingt für mich eher so, als würden Blinde von der Farbe reden. Würde Religionswissenschaft auch irgend etwas über Glauben lehren, müsste es doch da irgend eine Art von Konsens geben. Das Gegenteil ist der Fall. Der eigene Glaube (falls überhaupt einer vorhanden ist) ist auch bei Religionswissenschaftlern heterogen und letztendlich privat.

Ich will niemandem seine Bildung absprechen (wie könnte ich!),
ziehe auch meinen Hut, aber was weiß denn im Gegensatz zu
einem derart Wissenden der einfache Gläubige dann tatsächlich
über seine Religion?

Was weiß denn schon der derart Wissende? Ich kenne kaum eine Wissenschaft, deren Lehrbücher nicht nach spätestens 10-20 Jahren hoffnungslos veraltet sind, und grade im Bereich der Religionswissenschaften gibt es häufig so viel unterschiedliches „Wissen“ wie es Wissenschaftler gibt. Welcher dieser Meinungen man sich dann anschließt ist häufig nichts weiter als die Frage, welche Meinung einem am besten in den eigenen Kram passt.

Schulwissen, das was die Kirche ihren
Schäfchen vermittelt ist, das wird hier oft genug betont,
nicht ausreichend um über den christlichen Glauben bescheid zu
wissen.

Das spielt auch gar keine Rolle. Entscheidend für den Gläubigen dürfte sein, das, was von allen möglichen Seiten an Manipulationsversuchen auf ihn einströmt, zu hinterfragen. Und genau hier beginnt meiner Meinung nach die Mündigkeit. Leider gibt es hier genug Leute, die auch nur imstande sind, den Glauben anderer zu kritisieren.

Meine Frage lautet nach wie vor: Wie mündig ist ein
normalsterblicher Glaubender?

Ungefähr so mündig wie ein normalsterblicher Religionswissenschaftler.

Gruß,
M.

Moin,

Yeshayahu Leibowitz vertrat bezogen auf das Judentum einmal
die Ansicht, dass die Frage der Existenz G’ttes sich hier gar
nicht stellt.

Das ist eine Ansicht eines Einzelnen die wohl nicht von Vielen
geteilt wird.

Und hier hast du vermutlich eher aus Versehen etwas sehr wichtiges über den Glauben gesagt, denn ein ist sicher: was jemand glaubt unterliegt in keiner mir bekannten Religion einer Mehrheitsentscheidung sondern das bestimmt jeder individuell ganz für sich allein.

Gruß,
M.

1 Like

Hallo,

wenn jemand ernsthaft glaubt, dass eine Jungfrau einen Gott geboren hat, dieser dann von seinem Sender und Auftraggeber zur Folterung und Ermordung freigegeben wurde, und schließlich das nur wegen der bösen Menschen gewesen sein soll, dann traue ich mir nicht zu, über die Mündigkeit dieses Menschen ein Urteil abzugeben.

Gruß FraLang

Moin,

Yeshayahu Leibowitz vertrat bezogen auf das Judentum einmal
die Ansicht, dass die Frage der Existenz G’ttes sich hier gar
nicht stellt.

Das ist eine Ansicht eines Einzelnen die wohl nicht von Vielen
geteilt wird.

Und hier hast du vermutlich eher aus Versehen etwas sehr
wichtiges über den Glauben gesagt, denn ein ist sicher: was
jemand glaubt unterliegt in keiner mir bekannten Religion
einer Mehrheitsentscheidung sondern das bestimmt jeder
individuell ganz für sich allein.

Ja, klar. Aber umgekehrt ist es auch nicht so, dass die Meinung eines Einzelnen ausreicht um zu sagen, die Frage nach Gott würde sich nicht stellen.

Moin,

Ja, klar. Aber umgekehrt ist es auch nicht so, dass die
Meinung eines Einzelnen ausreicht um zu sagen, die Frage nach
Gott würde sich nicht stellen.

Ich hab Elis Einwurf ein bisschen anders verstanden. Letztendlich hat natürlich auch der Gläubige keinen „naturwissenschaftlichen“ Beweis dafür, ob es Gott gibt oder nicht.

Viele Gläubige, die ich kenne, führen ihr Leben unter der Prämisse, dass es einen Gott gibt, indem sie sich irgendwann einmal (aus unterschiedlichsten Gründen) für diese Prämisse entschieden haben. Andere (nicht Gläubige) entscheiden sich für ein Leben unter der gegenteiligen Prämisse (auch gut).

Es ist also nicht unbedingt ein: „ich weiß, dass es einen Gott gibt“, sondern eher ein „ich geh mal davon aus“ oder ein „ich hoffe es“.

Interessanterweise fühlen sich häufig beide Fraktionen (die mit und ohne Gott) in ihrer weiteren Lebenserfahrung bestätigt. Vieles scheint also auch eine Frage dessen zu sein, wie man die eigenen Erfahrungen deutet (der eine sieht bei ein und der selben Erfahrung Gottes Wirken, der anderen Schicksal oder Zufall).

Ganz sicher ist aber, dass man mit der Frage nach der Existenz nicht wirklich weiterkommt. Sie führt zu nichts, da sie letztendlich nicht belegbar ist. Somit kommen Religionen und Gläubige eben häufig ganz gut ohne sie aus, und das nicht nur im Einzelfall.

Auf die Frage: hättest du vieles im Leben anders gemacht, wenn sich heraus stellt, dass du mit deiner Prämisse falsch liegst, würden etliche Gläubige vermutlich antworten: Nö. Im Allgemeinen ist ein (mündiges) religiöses Leben nämlich ein gutes Leben.

Gruß,
M.

Definition des christlichen Glaubens
Hi Ralf.

Ab wann darf man sich mündiger Christ nennen? Mündig in dem Sinn, dass man weiß was man glaubt.

Deine Definition von „mündig“ ist etwas eigenwillig - ich
würde das einen „informierten Christen“ nennen. Aber gut, es
ist klar, was Du meinst.

Und natürlich auch, was du meinst :smile: Da beim Thema die Definition der Schlüsselbegriffe wichtig sind, hier gleich eine zur „Mündigkeit“. Ich beziehe mich der Einfachheit halber auf den Wiki-Artikel „Mündigkeit“:

_3.1 Definition von Mündigkeit

Nach Adorno ist Mündigkeit, in Anlehnung an Kant, ein Aspekt der Persönlichkeit, die die Fähigkeit eines Menschen meint, vernünftig und autonom handeln zu können. Dies bedeutet die eigenständige und unabhängige Meinungsbildung, kritische Reflexion, deren angemessene Arktikulation, das Hinterfragen, ggf. Kritisieren der Gegebenheiten und Intentionen sämtlicher Geschehnisse._

Es ist klar, dass diese Bestimmung mit dem, was Maria intendiert, nur schwer in Deckung zu bringen ist.

Das Problem sehe ich hier weniger
darin „dass man weiß, was man glaubt“ - das Problem liegt eher
darin, zu wissen, was einen Christen eigentlich definiert und
ob das, wovon man weiß, dass man es glaubt, überhaupt noch
unter ‚christlicher Glaube‘ zu subsumieren ist.

Dein Definitionsversuch

Fur mich ist christlicher Glaube auf kleinstem gemeinsamem Nenner im Nicaenum definiert, dem Glaubensbekenntnis, das von nahezu allen christlichen Kirchen als verbindlich anerkannt wird.

hat eine Version des christlichen Glaubens im Sinn, die man - denke ich - nicht wirklich als authentisch bezeichnen kann. Zu elaboriert ist das Ganze, zu strategisch produziert, zu sehr beeinflusst von einem weltlichen Herrscher, historisch zu spät und inhaltlich zu zufällig entstanden, kurz: zu kontingent. Eine echte Definition sollte sich nur auf das Notwendige stützen (im Unterschied zum Kontingenten), und das ist - mangels authentischerer Dokumente - nun einmal das Quartett der kanonischen Evangelien. Insofern halte ich Wikis („Christ“) Definition für sinnvoller:

Als Christ wird eine Person bezeichnet, die sich zu Jesus von Nazaret (auch Jesus Christus genannt) und dessen Lehren bekennt, die im Neuen Testament der Bibel überliefert sind und getauft ist.

Dass damit die Probleme erst losgehen, nämlich die der Interpretation der in den Ev enthaltenen Lehren, versteht sich. Die Probleme beginnen mit der fehlgegangenen Naherwartung des Weltendes durch den Protagonisten, setzen sich mit christologischen Unklarheiten fort (als Gottessohn inkarniert oder nach seinem Tod zum Göttlichen erhöht?) und enden mit unlösbaren ethischen Fragen (ist JC ein Pazifist oder notorischer Höllenprediger?, was bedeutet ´die Liebe Gottes´ angesichts der Höllendrohungen? usw.) Für mich folgt daraus, dass christlicher Glaube inhaltlich, wegen der Nichteindeutigkeit der Quellen, absolut undefinierbar ist.

Chan

1 Like

Hi.

Auch wenn Religionswissenschaft ein Paradox an sich sein könnte.

Aber nur, wenn man den Sinn dieses Begriffs nicht versteht.

Chan

Zirkelhafte Logik
Hi Rolf.

Es gibt hier ja eine recht lautstarke Fraktion, die meint, Religion oder Glaube und Mündigkeit schlössen einander aus. Die Glaubenden würden von Pfaffen und anderen Dunkelmännern gelenkt und manipuliert. Auf diesen Unsinn will ich gar nicht eingehen.

Dazu drei Zitate, die zeigen, dass dieser Verdacht nun wirklich nicht aus der Luft gegriffen ist.

Joseph Ratzinger in einer Predigt im Jahr 1979:

Der christliche Gläubige ist eine einfache Person. Aufgabe der Bischöfe ist es deshalb, den Glauben dieser kleinen Leute vor dem Einfluss von Intellektuellen zu bewahren.

Das war noch ´harmlos´. Jetzt aber:

Papst Pius II. (15. Jh.):

Uns und den Unsrigen ist das Märchen vom Jesus zum Segen geworden.

Papst Leo X. (um 1500):

Man weiß, wie viel die Fabel von Christus uns genutzt hat.

Glaube und Wissen ist seit jeher ein äußerst fruchtbares Geschwisterpaar gewesen, von Augustin über Anselm von Canterbury bis heute haben alle wichtigen Theologen über diese Frage nachgesonnen.

Das mit dem ´fruchtbaren Geschwisterpaar´ passt ja wohl eher zu diversen ägyptischen Herrscherpaaren… Jedenfalls steht die scholastische Theologie unter dem Motto:

Philosophia ancilla theologiae (Die Philosophie ist die Magd der Theologie).

Zwischen den „Geschwistern“ herrscht also keine Gleichberechtigung, was für die „Fruchtbarkeit“ bedeutet, dass sich im wesentlichen nur die Gene des Glaubens fortpflanzen. Anders gesagt: Der Offenbarungs-Glaube sagt, wo´s lang geht. Und da, wo das Wissen dem Glauben im Wege steht (Bruno, Galilei usw.), macht man kurzen Prozess.

Können wir uns einigen, dass der Glaube eine Form der Existenzdeutung ist? Zum Glauben gehört das Vertrauen auf Gott oder einen Gott - ich will jetzt mal nicht der alten Dr. Murje auskramen mit seinem „höheren Wesen, das wir verehren“. Dazu gehört auch, dass dieser Gott dem Glaubenden seinen Willen kundgetan hat und dass er von ihm eine Lebensführung erwartet, die die diesem Willen entspricht.

Einspruch: Nicht „dieser Gott“ hat seinen Willen „dem Glaubenden“ kundgetan, vielmehr ist dieser vermeintliche Wille mit Ach und Weh aus den Texten der Evangelien ablesbar. Und auch dort - eben Ach und Weh - nur auf mehrdeutige Weise. Da die „kleinen Leute“ (Ratzinger) nicht in der Lage sind, ohne Lesehilfe besagten Willen aus den alten Texten zu herausdechriffrieren, waren Legionen von Interpreten am Werk, um in einander widersprechender Weise das Unverstehbare verstehbar zu machen. Nicht genug damit: Die evangelikalen Quellen, auf die sich die Interpretationen stützen, hängen historisch in der Luft: Niemand weiß, wer sie wann und warum geschrieben hat und aus welchen Quellen die Autoren schöpften.

Das alles - und noch mehr - wird von deiner lapidaren Formulierung

Dazu gehört auch, dass dieser Gott dem Glaubenden seinen Willen kundgetan hat

komplett zugedeckt.

Ich muss fähig sein, mein Handeln zu messen an dem Wort Gottes, an den Texten, die ich für mich für verbindlich erkannt oder erklärt habe,

Eine zirkelhafte Logik. Einerseits gilt als absolutes Kriterium das „Wort Gottes“, andererseits selektierst du die Texte, die deiner Meinung nach das „Wort Gottes“ transportieren. Das passt nicht zusammen. Wenn du der Entscheider darüber bist, was als „Wort Gottes“ zu gelten hat, dann hat deine Person erkenntnistheoretische Priorität vor diesem „Wort“. Denn dein, auf diese Weise absolut gesetztes, Ich entscheidet, was wahr und was nicht wahr ist. Daraus folgt, dass „Gott“ (für dich) keine absolute Instanz ist, sondern ein Objekt deines Willens. „Absolut“ wäre nur ein Gott, der dir offenbar wird ohne ein dazwischen geschaltetes und von dir selektiertes Textmedium.

Chan

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Mündiges Glauben vs. theologisches Unwissen
Hallo Maria,

da du deine Frage nach der „Mündigkeit“ des Glaubens

rein auf das Christentum hin

verstanden haben möchtest, finde ich es sinnvoll, auch dort in den Quellen nach Möglichkeiten der Antwort zu suchen. Daß du „Mündigkeit“ hier in einem speziellen Wortgebrauch ansprichst, sagst du selbst, und Ralf hat dazu noch einiges zu Bedenkende beigetragen.

Ich glaube, mich nicht allzuweit aus dem Fenster zu hängen, wenn ich deinen „mündigen Glauben“ in der johanneischen Literatur zugrunde gelegt finde (obwohl die sich in der Christologie ganz erheblich von der synoptischen und der paulinischen unterscheidet). Und zwar im Begriff der Vollmacht (εξουσία) in Joh 1.12:
„Die ihn aber aufnahmen, denen geb er die Vollmacht, Kinder Gottes zu werden - den an/in seinen Namen Glaubenden.“ Wobei die religionssprachlichen Ausdrücke „Kind Gottes“ und „an seinen Namen“ für damalige Leser, wie man weiß, nicht mißverständlich waren. Im „Gesamtpaket“ der joh. Schriften bedeutet insofern „Glauben in ihn“ (wobei ich das „in ihn glauben“ für einen Spezialbegriff dieses Autors halte): „Glauben, daß er der Gesandte Gottes ist“ (im Joh. vielfach so geschrieben). Und dies wiederum besteht lt. Joh-Autor exklusiv(!) darin, dem Auftrag (εντολή), den Jesus als Gesandter zu vermitteln habe, rigoros Folge zu leisten, nämlich dem „liebt einander“ - zusammen mit den in Kap 13-17 ausgeführten Implikationen, die im Begriff „ewiges Leben“ zusammengefaßt sind.

Dieses Glauben ist - lt. Joh. - eine Sache der persönlichen, individuellen Entscheidung und nicht etwa eine der Begabung oder gar des Gefühls. Zu dieser Entscheidung sei dem Menschen die Vollmacht gegeben, und diese Vollmacht beinhaltet die anthropologische Voraussetzung, daß jeder Mensch auch fähig ist, sie (die Entscheidung) zu treffen und sie (die Vollmacht) in Anspruch zu nehmen.

Das allein ist demnach der Kern (speziell christlichen) „mündigen“ Glaubens, mit dem natürlich auch die Realisierung des Auftrags verbunden ist.

Eine weitere Form, in der die Realisiierung des Auftrags (auch vielleicht die von dir gemeinte Mündigkeit) formuliert wird, findet sich im ersten joh. Brief in 1.Joh. 3.19: „daraus erkennen wir, daß wir ‚aus der Wahrheit‘ sind …“. Dort wird also - neben der interaktiven Form des Liebesauftrags - aus dem „innerpsychischen“ Umgang mit der je eigenen Verzweiflung („wenn uns unser Herz verdammt …“) eine weitere individuelle Glaubensgewißheit gewonnen. Das sollte daher gemeint sein, wenn gefragt wird ob sie „wissen, was sie glauben“: Daß sie es wissen, ist damit ja gesagt. Denn das Glauben besteht in der Übernahme eines Auftrags, etwas Bestimmtes zu tun.

Und für diese elementare „Definition“ des christlichen Glaubens (1.Joh. 2.3 bestätigt das) bedarf es keinerlei weiterer Bildung, Ausbildung, Sprachen- und Literaturkenntnis, auch keinerlei Wissens um alle die späteren über Jahrhunderte sich hinziehenden Diskussionen, die btw. weniger religionswissenschaftlicher als vielmehr theologiegeschichtlicher Art sind. Insofern sind auch alle die durch spätere Begriffsdifferenzierungen entstandenen Abspaltungen mit gegenseitigen Verfluchungen („Anathema estin“) und Exkommunizierungen irrelevant. Sofern sie sich an die o.g. Definition des „Glaubens an/in Christus“ binden, sind auch alle Antitrinitarier, Arianer, Modalisten, Miaphysitisten, Nestorianer und und und ebenso „Christen“. Alles das ist Überbau, der gegenüber dem Kern der Geschichte invariant (wenn auch nicht unbedingt irrelevant) ist.

Wenn man sich umschaut in dem, was „fromme“ Christgläubige tatsächlich „verstehen“, auch wenn sie das allgemein als Mindestbedingung verstandene Symbolum Nicaenum sprechen (mit dem ja z.B. die Arianer ausgeschlossen wurden, die über mehr als 500 Jahre die Mehrheit der Christen ausmachten), dann würde man kaum sagen können, daß sie „wissen“, was sie da als Bekenntnis formulieren.

Die Frage ist also nicht, ob sie wissen, was sie glauben, sondern ob sie verstehen, was sie als Bekenntnis formulieren. Fragt z.B. man genauer, was damit gemeint sei:

  • mit „eines Wesens mit dem Vater“ (Was ist mit „Wesen“ gemeint? Zumal diese „ousia“ nichts mit dem zu tun hat, was in der heutigen Umgangsprache seit dem Deutschen Idealismus damit gemeint ist),
  • mit „gezeugt, nicht geschaffen“ (zusammen mit der Bestimmung „gezeugt vor aller Zeit“, also „vor der Schöpfung“),
  • mit „in der Person die Verschiedenheit“ (wobei der umgangsprachliche Begriff „Person“ weder mit dem damaligen (4. Jhdt) griech. „hypostasis“, noch mit der lat. „persona“ etwas zu tun hat),
  • mit „Heiliger Geist“, der im Original ja ein Neutrum ist und weder eine Taube(!?) noch eine graue Eminenz wie die in schottischen Schlössern,
    usw. usw. dann wird klar, daß diese begrifflichen Feinheiten dem „normalsterblichen Glaubenden“ (dein Ausdruck) vollkommen böhmische Dörfer sind.

Das wird noch deutlicher, wenn man etwa nachfragt, wieso, inwiefern und warum eigentlich „Jesus ‚für uns‘ am Kreuz gestorben ist“. Oder wieso und inwiefern er dadurch „unsere Sünden aufgehoben“ habe. Und selbst, wenn man, wie aus der paulinischen Christologie folgend, das Geschehen als Sühneopfer interpretiert: Kein einziges antikes Opferritual impliziert einen derartig gezielt grausamen Foltertod.

Und wenn man „normalsterbliche Glaubende“ nach der Bedeutung der Trinität fragt, bekommt man auch häufig Antworten, die man eher einem Polytheismus zuschreiben würde, zumal die Details von Heilgenkulten, vor allem im Mittelmeerraum, sowieso eher an einen Polytheismus denken lassen, zumindest einem Kult einer göttlichen Quaternität, wenn man die Marienverehrung in ihren zahlreichen Ausformungen mit hinzunimmt.

Das alles wurde über Jahrhunderte zwischen den genialsten Köpfen der europäischen Geistesgeschichte diskutiert und differenziert, nicht ohne letztlichen Lateral-Nutzen für andere Wissenschaften, aber jedenfalls über die Köpfe der „normalsterblichen“ Gläubigen hinweg. Das sind daher Inhalte, die sich tatsächlich nur dem fachlich Aus- und Vorgebildeten erschließen, und auch heute nur dem, der die sprachlichen Grundlagen hat, nicht nur die ursprünglichen Schriften nachzulesen, sondern vor allem auch die jahrhundertelangen Diskussionen zu verfolgen (und auch die Gründe dafür einzusehen).

Das alles sind aber eben Fragen der Theologiegeschichte und der Religionswissenschaften, auch der abendländischen Philosophiegeschichte. Es sind Fragen der Glaubens_inhalte_, Fragen ihrer Formen und Formulierungen. Es sind gar keine Fragen des Glaubens als solchem (siehe oben). Sie betreffen also nicht die Mündigkeit des Glaubens, sofern es die „Botschaft“ und den „Auftrag“ betrifft, wie er in den Evangelien zu Grunde gelegt ist.

Gläubigkeit, Frömmigkeit, die sich in der einen oder anderen auch sprachlichen Form artikuliert, ist halt nicht dasselbe wie Wissen über religiöse Inhalte und deren Begriffs-Geschichte. Letzteres läßt sich tatsächlich nur durch einschlägige jahre- und jahrzehntelange Studien und Forschungsbemühungen erwerben. Und zu dessen Vermittlung - im Falle entsprechender Fragestellungen - ist dieses Brett ja ursprünglich mal gedacht gewesen.

Noch kurz zu deinem zweiten angedeuteten Thema:

angesichts des Umgangstones - gerade von Seiten der Experten hier

Es mag daran liegen, daß du noch relativ kurz hier bist: Viele der hier Schreibenden kennen einander schon seit vielen Jahren, und haben reichlich Erfahrung, welche Motive hinter so manchen Explikationen stecken. Wenn manchmal der Sound etwas heftiger und deutlicher wird, dann liegt dem oft eine lange Geschichte und Erfahrung mit penetranter Unbelehrbarkeit und ewig wiederholtem argumentativ-methodischem Unsinn zu Grunde.

Das betrifft nicht nur Pseudo-Fragen, die nur Anlaß für der eigenen Phantasie entsprungene, religionswissenschaftlich sein sollende „Theorien“, oder von anderen Literaturen „abgekupferte“ Abhandlungen, oder auch z.B. begrifflich wirres ewigwiederholtes „Identitäts“-Geblubber. Es betrifft vor allem auch unaufhaltsam betriebene Missionierung nicht nur religiöser, sondern auch antireligiöser Art. Letzteres ging in früheren Jahren (manche wissen das noch) noch ganz anders zu und konnte erst einigermaßen gedämpft werden, als wir endlich erreichten, diesem Brett den jetztigen Titel zu geben mit den Beschränkungen, die in der Brettdefinition vermerkt sind. Daß diese sich nicht durchsetzen lassen, liegt nicht an den Teilnehmern hier. Aber es ist halt auch der Grund, warum manchmal der Ton hier etwas heftiger ausfällt. Es betrifft immer solche User, die hier schon seit Urzeiten tätig sind.

Schönen Gruß
Metapher

Hallo,

was Du beschreibst ließe sich gut in den Geschichtswissenschaften oder Literaturwissenschaften unterbringen. Wäre dort gut aufgehoben.

Gruß, Paran

Hallo,

dieses Brett heißt „Religionswissenschaften“ - nicht, wie oft
missverstanden, „Religion“.

dann halt Dich doch einfach raus.

Warum? Ich bin eher wissenschaftlich als religiös interessiert. Passt also.

Es gibt einen Unterschied zwischen Beidem.

Ja,aber nur in dem Sinne, wie auch der Unterschied
Naturwissenschaft
und Natur gegeben ist.

Klar. Und wie der Unterschied zwischen Ernährungswissenschaft und Ernährung oder Humanmedizin und Mensch.

Kannst Du eine Operation durchführen, weil Du selbst ein Mensch bist?

Auch wenn Religionswissenschaft ein Paradox an sich sein
könnte.

Ja, deshalb ist es auch völlig daneben, wenn Atheisten und
u.a. hier
versuchen philosophische (Glaubens-) Lehren einzubringen
welche sich
gegen einen Gottesglauben richten.In Religion ist Glaube
„gesetzt“.

In Religionen schon, in Religionswissenschaften eben nicht. Genau da ist der Unterschied.

Religions-„Wissenschaft“ - eventuell paradox ! - wenn
gehandhabt,
macht aber keinen Sinn, wenn sie sich nur als
Religionsgeschichte
versteht.Sie will sehr wohl die Religionen inhaltlich und vom
ihrem
Selbstverständnis ergründen und genau dies ist von
verbreitetem
Interesse, nicht nur hier im Brett.

In punkto Religionsgeschichte kann man dann aber sehr weit zurück gehen (einige tausend Jahre) und selbst derzeit gibt es Weltweit viel mehr Religionen, als hier auch nur ansatzweise diskutiert werden.

Wichtigtuerei mit „exaktem“ Übersetzungsverständnis von
Schriften,
mit Präsentation griechischer, aramäischer oder arabischer
Schrift
dient den Autoren dieser Präsentationen nur dazu zu zeigen was
für
große Leuchten sie sind im Gegensatz zum „Dummvolk“,welches
sich
erfrecht statt ihnen andächtig zuzuhören, auch seine Gedanken
dazu
zu geben.

In dem Punkt gebe ich Dir recht. Das Auseinandernehmen div. recht junger Schriften kommt letzlich dem Religionsgrund nicht nahe. Das ist, wie der Ostfriese sagen würde, Korinthenkackerei.

Außerdem solltest Du mal die Brettbeschreibung lesen, ehe Du
hier
kritisch die Beiträge und Fragen von „Nichtwissenschaftlern“
hinterfragst.

Ich habe gerade nichts hinterfragt, sondern nur festgestellt, dass hier ein falsches Brett gewählt wurde.

Wo sind Deine „wissenschaftlichen“ Beiträge ?

Ich verweise auf Darwin. Man muss nicht Abi gemacht haben, um dessen Theorie zu verstehen und nachvollziehen zu können.
Man muss nur Verstand und Augen auf machen. Ersteres kann schwierig sein.

Gruß, Paran

Hallo,

stimmt.

Gruß, Paran

Was meinst du mit Techniken die keinem realen Ding
entsprechen?

Alle Techniken welche wir heutzutage gebrauchen. Nimm nur
dieses Forum. Alle hier verwendeten Techniken existierten so
in der realen Welt früher nicht. Woher kämen diese, wenn wir
alle deine obige Beschreibung der realen Welt korrekt wäre?

Da hast du was missverstanden. Alle Erfindungen, auch
diejenigen noch in der Zukunft gemacht werden, haben als
Grundlage Dinge und Erkenntnisse die in der realen Welt
existieren.

Tja, hier irrst du eben gewaltig (Argumente kamen alle schon).

Oder ich habe mich falsch ausgedrückt. Wissenschaft kann sich
nur mit dem befassen was in der realen Welt existiert oder
möglich ist. Mit „realer Welt“ meine ich die materielle Welt.

Das habe ich richtig verstanden, nur irrst du dich hier eben gewaltig (Argumente kamen alle schon).

Nein. Man kann nicht wissen ob es einen Gott gibt, da Gott
nicht wissenschaftlich nachweisbar oder widerlegbar ist.

Wenn du dieses meinst, dann solltest du dieses auch so
schreiben und nicht allgemein von einer Wissensgrundlage
schreiben, diese kann nämlich ohne solche Glaubenssätze
auskommen.

Ähm… doch. Die Wissensgrundlage bezüglich der Existenz eines
Gottes. Was ist daran allgemein, wenn ich schreibe, dass man
nicht an Gott aufgrund einer Wissensgrundlage glauben kann?

Eben weil du dieses nicht geschrieben hast. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass du hier einen sehr beschränkten Begriff von Religion hat. Du schriebst zumindest anfänglich von Wissensgrundlage von Religionen und diese liegt eben vor.

Yeshayahu Leibowitz vertrat bezogen auf das Judentum einmal
die Ansicht, dass die Frage der Existenz G’ttes sich hier gar
nicht stellt.

Das ist eine Ansicht eines Einzelnen die wohl nicht von Vielen
geteilt wird.

Ja, ja, was nicht sein darf, kann nicht sei. Ich teile seine Ansicht und er hat damit viele Anhänger. Neben ihm gibt es auch viele andere, welche ähnliche Ansichten vertreten.

Aber das passt halt nicht in dein subjektives Bild von Religion.

Denn wie gesagt, kann sich jede Wissenschaft
nur mit dem befassen, was in der realen Welt existiert.

Und das ist wie gesagt schlicht falsch. Oben hatten wir es
schon über Technik und auch Wissenschaft findet seine Theorien
und Ideen eben gerade nicht in de realen Welt. Sie sind darin
enthalten, aber eben erst einmal verborgen. In dem Sinne von
dir eben nicht real.

Ja klar. Aber die neuen Ideen beziehen sich auf das was in der
realen Welt existiert, auch wenn man das vorher noch nicht
kannte. Man kannte ja früher auch keine Neutronen, aber sie
waren trotzdem vorhanden.

Neutronen sind keine Technik. Ich beziehe mich hier nicht zufällig auf Technik, welche philsophisch nämlich sehr wohl ein Problem darstellt, da diese vorher nicht in der Welt ein Dasein hatte.

Aber wenn dir Technik Probleme bereitet, dann such nach Ideen und Theorie in deiner realen Welt. Du wirst sie nirgends finden. Und dennoch sind sie Basis ohne die es keinerlei Wissenschaft gäbe.

Dein privater Glaube ist kein Gegenstand einer Wissenschaft; […]

Du musst mir hier nichts erklären, ich bin nur verwundert, da mit du hier einer der Teilnehmer bist, welcher dauernd hier im Forum privaten Glauben meint kritisieren zu müssen.

Das sind alles Themen die man wissenschaftlich untersuchen
kann.

Na, also, nun doch.

Wie nun doch?

Mal geht es und mal nicht. Ich kann nichts dafür wenn du bei deiner Argumentation hin und her springts.

Ansonsten kann man neben obigen negativen Beispielen, welche
in Deutschland keinerlei Mehrheiten finden (würden), auch
positive Beispiele dem gegenüberstellen.

Was meinst du mit keinerlei Mehrheiten?

Wo sind hierzulande ernsthafte Bestrebungen für Verbote von
Blasphemie?

In Deutschland gibt es den sogenannten Blasphemieparagraphen:

Ich weiss, nur wo ist hiermit das Problem wieder? Selbst wenn diese abgeschafft würde, würde sich rechtlich nichts ändern, da dann andere Gesetze greifen würden.

Und dieser Paragraph hat eben nichts mit deinem negativ Beispiel zu tun, dass Beleidigungen von G’tt unter Strafe gestellt werden.

Es spielt auch keine Rolle ob Einflüsse von Religion negativ
oder positiv sind. Religion und Staat sollten aus gutem Grund
voneinander getrennt sein.

Unsinn. Kirche und Staat müssen getrennt sein, Religion und
Staat kann nur in einer Diktatur getrennt werden, weil dieses
alleine Ginge, in dem alle Menschen in diesem Staat keinerlei
Religion mehr angehören würde.

Ich glaube du hast dich verschrieben.
Ich meine mit Staat die Regierung mit ihren Gewalten, und mit
Religion die kirchlichen Institutionen und deren Vertreter die
Gesetzgebung beeinflussen wollen.

Nein, nicht ich! Wenn du Religion im Sinne von Kirche meinst, dann solltest du das auch schreiben und dieses ist in diesem Staat eben getrennt.

Trennung von Staat und Religion bedeutet nicht, dass die
Bürger (die selbstverständlich auch Teil des Staates sind)
kein Recht auf Religionsausübung mehr haben sollen. Es
bedeutet nur, dass es nicht mehr so sein soll wie im
Mittelalter, als die Kirchen Staatsgewalt hatten.

Eben darum spricht man hier auch von Trennung von Kirche und Staat. Oh man, ist es so schwer einen Fehler zuzugeben?

Und genau dieses ist in Deutschland entgegen deiner Behauptung eben gegeben.

In Deutschland ist das aber zu
meinem Bedauern nicht der Fall.

Sicherlich ist dieses bis auf ganz wenige Grenzfälle der Fall.
Allerdings wird hier eben auch von Trennung von Staat und
Kirche gesprochen und eben keine Trennung von Staat und
Religion gefordert, wie bei dir.

http://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A4kularismus

Links sind keine Argumentation.

Und glücklicherweise ist dieses auch nicht der Fall.

Du nennst das einen glücklichen Umstand, aber nur weil du
zufällig der Religion angehörst der man allgemein eine Prägung
unserer Kultur zuschreibt. Was wäre wenn du in einem Land
leben würdest, in dem die Sharia gilt?

LOL, ich wüsste nicht, dass in diesem Land die Halacha nun Staatsgesetzgebung sei. Somit irrst du dich auch in diesem Punkt.

Und wenn hier die Sharia für alle gelten würde, wäre Staat und Kirche auch nicht mehr getrennt. Dein Gegenargument ist also völlig bedeutungslos.

Gruss,
Eli

Ja, klar. Aber umgekehrt ist es auch nicht so, dass die
Meinung eines Einzelnen ausreicht um zu sagen, die Frage nach
Gott würde sich nicht stellen.

Es geht hier nicht um eine Meinung, sondern um eine Argumentation. Und wenn diese nicht zählt, bedarf es einer Gegenargumentation oder anderer Axiome.

Schon erstaunlich, dass man das alles hier immer wieder auslegen muss an Menschen die vorgeben, so wissenschaftlich zu denken.

In diesem Sinn kommt das Judentum, die jüdische Religion, die Ausführung der selben eben sehr wohl auch ganz gut ohne G’tt aus. Niemand wird hier ein besserer Mensch durch ein Wissen über G’tt und auch das Vetrauen muss in dieser Frage nicht auf der Existenz G’ttes ruhen, sondern kann ganz andere Bezugspunkte haben.

Hi Ch’an

Da beim Thema die
Definition der Schlüsselbegriffe wichtig sind, hier gleich
eine zur „Mündigkeit“. Ich beziehe mich der Einfachheit halber
auf den Wiki-Artikel „Mündigkeit“:

_3.1 Definition von Mündigkeit

Nach Adorno ist Mündigkeit, in Anlehnung an Kant, ein Aspekt
der Persönlichkeit, die die Fähigkeit eines Menschen meint,
vernünftig und autonom handeln zu können. Dies bedeutet die
eigenständige und unabhängige Meinungsbildung, kritische
Reflexion, deren angemessene Arktikulation, das Hinterfragen,
ggf. Kritisieren der Gegebenheiten und Intentionen sämtlicher
Geschehnisse._

Es ist klar, dass diese Bestimmung mit dem, was Maria
intendiert, nur schwer in Deckung zu bringen ist.

Richtig, daher auch mein Problem mit der Verwendung dieses Begriffs, dem ich dadurch begegnen wollte, dass ich zwischen ‚mündig‘ (im gebräuchlichen Sinn) und ‚informiert‘ (‚mündig‘ im Sinn Marias) unterschieden habe - sowie zwischen ‚mündiger Spiritualität‘ und ‚mündigem Christentum‘, das im Gegensatz zur ‚mündigen Spiritualität‘ den ‚informierten Christen‘ voraussetzt.

Dein Definitionsversuch

Fur mich ist christlicher Glaube auf kleinstem gemeinsamem Nenner im Nicaenum definiert, dem Glaubensbekenntnis, das von nahezu allen christlichen Kirchen als verbindlich anerkannt wird.

hat eine Version des christlichen Glaubens im Sinn, die man -
denke ich - nicht wirklich als authentisch bezeichnen kann. Zu
elaboriert ist das Ganze, zu strategisch produziert, zu sehr
beeinflusst von einem weltlichen Herrscher, historisch zu spät
und inhaltlich zu zufällig entstanden, kurz: zu kontingent.

Religionen sind immer kontingent - auch wenn unkritische Gläubige dies bestreiten. Sie fallen nicht vom Himmel, sie werden nicht fix und fertig von Erleuchteten oder Propheten verkündet, sie werden nicht konstruiert und der Konstruktionsplan dann in einem heiligen Manifest veröffentlicht. Religionen haben zunächst einmal eine - in der Regel einige Jahrhunderte umfassende - Genese, bis sie zu ihrer ‚klassischen‘ Form gefunden haben bzw. zu einem Formen- und Gedankenkanon, der sie definiert. Dass diese klassische Form dann natürlich auch weiter Entwicklungen (die parallel zu sozialen, politischen, ökonomischen … stattfinden) ausgesetzt ist, ist unbestritten. Diese Weiterentwicklung hat jedoch eine andere Qualität - sie ist von den schon genannten äußeren Bedingungen abhängig und kein Formationsprozess mehr.

Den Status, den ich gerade ‚klassisch‘ genannt habe, hat eine Religion ereicht, wenn der kontingente Prozess der Genese abgeschlossen wird - in der Regel durch eine Fixation wie z.B. das nicaenum. Wichtige Schritte zu solch einer Fixierung sind Verschriftlichung und Kanonbildung. Auch, wenn die genaue Verortung eines solchen ‚Fixpunktes‘, an dem man von einer Religion in ihrer ‚klassischen Form‘ sprechen kann, sicher ein gutes Stück Willkür beinhaltet, so gibt es mE doch sehr gute Gründe dafür, im Fall des Christentums hier das symbolum nicaenum zu setzen. Selbstverständlich macht das nun die Arianer / Homöer (auf die Metapher verwiesen hatte) nun nicht a posteriori zu Nichtchristen - ich wollte, wie ich schrieb, für das heutige Christentum auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner verweisen. Dass da nun z.B. die Unitarier nicht unter diese Definition fallen - solche Mängel sind unvermeidbar.

Meine Definition ist vom Grundsatz her eine historische und auf den ‚fait social‘ eines kirchlich ‚abgesegneten‘ Glaubensinhaltes abgestellt, während Metapher eine theologische Definition präsentiert hat, die für eine Christin wie Maria wahrscheinlich hilfreicher ist. Für mich ist diese Definition eher untauglich - zum einen, weil mir, wie ich ja erwähnte, die theologisch/exegetische Argumentationsebene mangels Hintergrundwissen nicht zugänglich ist, zum anderen, weil mein Interesse am Christentum (wie ebenfalls erwähnt) sich nicht auf theologischer, sondern historischer und sozialer Ebene (eben der des ‚fait social‘) bewegt. Nun geht es allerdings in diesem Thread nicht um eine Fragestellung von mir, sondern von Maria. Sie wird selbst wissen, was für sie hilfreicher ist.

Mit der von Dir angeführten Wikipedia-Definition wiederum habe ich das Problem, dass sie entschieden zu reduktionistisch ist. Was ausgeblendet wird, das ist ein Großteil des oben erwähnten Formationsprozesses, nach dessen Abschluss man eigentlich erst von einem Christentum im heutigen Sinne (anstatt im Sinne eines historischen Ur- oder Frühchristentums) sprechen kann. Einige wichtige Aspekte davon, die sich in den Evangelien gar nicht finden wie z.B. die Trinitätslehre hat Metapher ja in seinem Posting angerissen.

Für mich folgt daraus, dass christlicher Glaube inhaltlich, wegen der Nichteindeutigkeit der Quellen, absolut undefinierbar ist.

Nun - bei einer Definition stellt sich immer die Frage nach ihrer Intension. Gerade, weil Du die Intension hier auf die Evangelien beschränkst, kommst Du zu keiner eindeutigen Definition. Das Problem liegt nicht an den Evangelien, nicht am Christentum - es liegt bei Dir bzw. an Deinem zu stark eingeschränkten Intensionsbereich.

Eine echte Definition sollte sich nur auf das Notwendige
stützen

Richtig

und das ist -
mangels authentischerer Dokumente - nun einmal das Quartett
der kanonischen Evangelien.

… die zwar notwendig, aber eben nicht hinreichend sind.

(im Unterschied zum Kontingenten)

nun - sind die Evangelien und der gesamte Schriftenkanon (für den ja Texte ausgewählt und auch Texte verworfen wurden) etwa nicht kontingent entstanden?

Dein Denkfehler liegt in der undifferenzierten Verwendung des Begriffes ‚notwendig‘. Notwendig im Kontext von Kontingenz bedeutet, dass ein bestimmter Sachverhalt ‚notwendig‘ (und nicht nur potentiell) aus gegebenen Ursachen folgt, mithin unvermeidlich ist. ‚Notwendig‘ im Kontext einer Definition bedeutet, dass sich die Intension auf alle Merkmale erstreckt, die den zu definierenden Sachverhalt kennzeichen. Welche und wieviele Merkmale dies sind, bestimmt sich durch die Extension der Definition, also die Abgrenzung des zu definierenden Sachverhaltes gegen andere. Um dies kurz an einem Beispiel zu verdeutlichen: eine Definition des Christentums sollte sich mit den intensierten Merkmalen nicht auch auf andere Religionen anwenden lassen - dann ist die Extension zu groß, die Definition ‚unscharf‘. Eine Definition des Christentums sollte sich aber auch nicht nur beispielsweise auf das Frühchristentum oder das römisch-katholische anwenden lassen - dann ist die Extension zu klein, die Definition zu ‚eng‘. Ob nun die bei der Definition intensierten Merkmale kontingent oder notwendig entstanden sind, spielt dabei keine Rolle.

Freundliche Grüße,
Ralf

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Hi Ralf.

Religionen haben zunächst einmal eine - in der Regel einige Jahrhunderte umfassende - Genese, bis sie zu ihrer ‚klassischen‘ Form gefunden haben bzw. zu einem Formen- und Gedankenkanon, der sie definiert.

A.a.O. bezeichnest du deine Perspektive als „historisch“ im Unterschied zu „theologisch“. Kann man diese Ebenen aber überhaupt trennen, wenn es um die Bestimmung des christlichen Glaubens geht? Ist es für die Definition des Christenglaubens nicht methodisch notwendig (…), ihn in seinem Kern ernstzunehmen? Besagt dieser Kern nicht, dass es einen Jesus gab, der exklusiv und im Auftrag des Einen Gottes auf Erden dessen Botschaft verbreitete? Und dass diese Botschaft in den Evangelien - und nur dort - überliefert ist? Und zwar im O-Ton Jesus? Kommt hier die heilige Wahrheit nicht direkt vom Erzeuger („Ich bin die Wahrheit“)?

Das Christentum gründet dem Selbstanspruch nach auf der historisch fixierbaren Offenbarung Gottes durch die Worte des Jesus. Dieser Selbstanspruch lässt sich beim Definitionsversuch nicht ignorieren. Die glaubensimmanente Absolutsetzung der Jesusworte berechtigt dazu, den Rahmen der Intension bzw. Extension der Definition auf die Evangelien zu reduzieren. Denn dort und nirgendwo sonst steht, was Jesus angeblich gesagt hat. Das ist Extension genug. Warum für eine Begriffsbestimmung ins ferne 4. Jahrhundert schweifen, wenn in den Evangelien das allein Entscheidende steht? Es geht doch nicht um eine anonym entstandene Lehre, die an einem Punkt X historisch greifbar und über Jahrhunderte hinweg fortentwickelt wird, bis sie - bei einem Konzil - eine „klassisch“ zu nennende Gestalt annimmt. Mit dieser Definitionsfindung wird das Wesentliche des christlichen Glaubens verfehlt: Die verbale Präsenz der göttlichen Wahrheit in den Evangelien. Welchen Grund gibt es, die von Gewalttätigkeiten begleiteten Dadaismen von Nicäa zur Definitionsgrundlage zu machen? Ich sehe keinen. Der ´fait social´, auf den du dich quasi positivistisch berufst, ist nur ein Machtgebilde, das keine Definition legitimiert.

Deine Definition wäre ohnehin nur sinnvoll, wenn du belegen könntest, dass die Festlegungen von Nicäa logisch aus den Jesusworten folgen. Ohne diese Voraussetzung läuft man Gefahr, das zu Definierende zu verfälschen.

Mit der von Dir angeführten Wikipedia-Definition wiederum habe ich das Problem, dass sie entschieden zu reduktionistisch ist. Was ausgeblendet wird, das ist ein Großteil des oben erwähnten Formationsprozesses, nach dessen Abschluss man eigentlich erst von einem Christentum im heutigen Sinne (anstatt im Sinne eines historischen Ur- oder Frühchristentums) sprechen kann.

Ich meine, dass das, was du „Formationsprozess“ nennst, mit nicht weniger Recht auch „Deformationsprozess“ genannt werden könnte. Harnack hat im 19. Jh. behauptet, das Christentum habe sich durch die Einverleibung der hellenistischen Philosophie von seinen - wie auch immer zu bestimmenden - Wurzeln entfernt. Er nannte das abwertend die „Hellenisierung des Christentums“. Natürlich gibt es hellenistische Aspekte schon im Joh-Ev, dessen Logoslehre von der Gnosis und/oder Philon von Alexandria inspiriert ist. Der erste systematische Hellenisierer aber war Justin Mitte des 2. Jh. Ein Gipfelpunkt dieses Prozesses ist das Konzil von Nicäa. Ich kam noch nicht dazu, Harnacks Argumentation im Originaltext zu lesen, klar ist aber, dass er die Evangelien als die reine Basis des Christenglaubens ansah, von welcher die spätere Entwicklung bis zu Nicäa eine Entfremdung darstellt („Christentum im Verständnis der Antike“). Harnack und die Anhänger seiner These würden deiner Definition also höchstwahrscheinlich nicht zustimmen.

Ratzinger hat übrigens gegen diese These gekämpft und behauptet, dass die hellenistische Philosophie das Christentum wesenhaft in sich enthält und also keinen Fremdkörper darstellt, wie Harnack ja meint. Dass Ratzinger damit nur retten will, was nicht zu retten ist, sieht auch ein Blinder.

Die Definition von „Definition“ lautet übrigens: Oberbegriff plus spezifische Differenz (genus proximum et differentia specifica). Christlicher Glaube ist also, minimalistisch definiert, ein religiöser Glaube (= Oberbegriff), der auf den in den Evangelien überlieferten Lehren des Jesus von Nazareth (= spezifische Differenz) gründet.

Die meisten lexikalischen Definitionen (also der erste Satz im Artikel „Christentum“) dürften in diese Richtung ausfallen. Von Nicäa liest man erst zehn oder zwanzig Sätze später…

Chan

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Hallo,

Ist es für die Definition des Christenglaubens
nicht methodisch notwendig (…), ihn in seinem Kern
ernstzunehmen? Besagt dieser Kern nicht, dass es einen Jesus
gab, der exklusiv und im Auftrag des Einen Gottes auf Erden
dessen Botschaft verbreitete?

Fast - beim „exklusiv“ widerspreche ich. „In besonderer Weise“ würde ich akzeptieren.

Und dass diese Botschaft in den Evangelien - und nur dort - überliefert ist?

„Und nur dort“ - nein. Wie kommst Du darauf?!

Und zwar im O-Ton Jesu?

Nein!

Kommt hier die heilige Wahrheit nicht direkt vom Erzeuger („Ich bin die Wahrheit“)?

„Wahrheit“ ist ein Schlüsselbegriff im Johannesevangelium. Ich hab mich damit mal gründlicher beschäftigt, aber das ist lange her. Die Bedeutung geht jedenfalls eher in Richtung „Wahrhaftigkeit“ und von mit einem Wahrheitsverständnis, das sich auf „Das ist historisch so geschehen“ beschränkt, überhaupt nicht abgedeckt.

Das Christentum gründet dem Selbstanspruch nach auf der
historisch fixierbaren Offenbarung Gottes durch die Worte des
Jesus. Dieser Selbstanspruch lässt sich beim
Definitionsversuch nicht ignorieren. Die glaubensimmanente
Absolutsetzung der Jesusworte berechtigt dazu, den Rahmen der
Intension bzw. Extension der Definition auf die Evangelien zu
reduzieren.

Eben nicht. „Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen“ - wir haben die Offenbarung in menschlicher Gestalt und auch in menschlicher Überlieferung. Da haben die Evangelien keine andere Stellung als die anderen neutestamentlichen Bücher. Sie sind nicht historischer, und v.a.: Der Wert einer Überlieferung bemisst sich nicht nach ihrer Historizität.

Der Glaube an die Wahrheit, die in der Bibel steckt, ist nicht der Glaube „So ist es gewesen“, sondern der Glaube „Das erschließt mir die Wirklichkeit“.
Und so sind, denke ich, auch die Evangelien geschrieben: nicht als etwas verpfuschte historische Berichte, die’s halt leider nicht besser gibt, sondern als theologisch deutende Erzählungen über Jesus.

Ja, ich vermute ja, es ist alles für die Katz, was ich hier geschrieben habe, aber ich konnte das nicht unwidersprochen stehen lassen.

Viele Grüße,

Jule

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Hi.

Und dass diese Botschaft in den Evangelien - und nur dort - überliefert ist?

„Und nur dort“ - nein. Wie kommst Du darauf?!

Und zwar im O-Ton Jesu?

Nein!

Natürlich nicht. Aber hast du nicht erkannt, dass ich die christliche Sicht nur hypothetisch zugrunde legte und das vorher auch klar gesagt habe? Eigentlich sollte bekannt sein, dass ich - in diesem Forum wohl als einziger - die historische Existenz von Jesus abstreite.

Kommt hier die heilige Wahrheit nicht direkt vom Erzeuger („Ich bin die Wahrheit“)?

„Wahrheit“ ist ein Schlüsselbegriff im Johannesevangelium. Ich hab mich damit mal gründlicher beschäftigt, aber das ist lange her. Die Bedeutung geht jedenfalls eher in Richtung „Wahrhaftigkeit“ und von mit einem Wahrheitsverständnis, das sich auf „Das ist historisch so geschehen“ beschränkt, überhaupt nicht abgedeckt.

„Wahrhaftigkeit“ scheint mir ebenfalls zu banal zu sein. Immerhin steht die „Wahrheit“ im Zitat neben Licht und Leben.

Die glaubensimmanente Absolutsetzung der Jesusworte berechtigt dazu, den Rahmen der Intension bzw. Extension der Definition auf die Evangelien zu reduzieren.

Da haben die Evangelien keine andere Stellung als die anderen neutestamentlichen Bücher. Sie sind nicht historischer, und v.a.: Der Wert einer Überlieferung bemisst sich nicht nach ihrer Historizität.

Habe ich das bei den Ev jemals behauptet? Du hast meine Argumentation einfach nicht verstanden.

Der Glaube an die Wahrheit, die in der Bibel steckt, ist nicht der Glaube „So ist es gewesen“, sondern der Glaube „Das erschließt mir die Wirklichkeit“.

Ich bezog mich auf Jesus-Worte, nicht auf irgendwelche Ereignisse. Auch das hast du übersehen.

Chan

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Hallo,

Natürlich nicht. Aber hast du nicht erkannt, dass ich die
christliche Sicht nur hypothetisch zugrunde legte

nun, das Hypothetische scheint sich auch darauf zu beziehen, was wohl die christliche Sicht ist. Das, was Du da schilderst, jedenfalls nicht.

„Wahrhaftigkeit“ scheint mir ebenfalls zu banal zu sein.
Immerhin steht die „Wahrheit“ im Zitat neben Licht und Leben.

Nein, es ist auch kein guter Begriff, da hast Du recht. Ich müsste mich mal wieder mehr da hinein vertiefen, ich wollte nur eine Richtung angeben, um zu zeigen, dass der Wahrheitsbegriff des JohEv etwas völlig anderes ist als das schnöde „Das war so“. Das ist die (meine, aber da bin ich wahrlich nicht alleine) christliche Sicht.

Die glaubensimmanente Absolutsetzung der Jesusworte berechtigt dazu, den Rahmen der Intension bzw. Extension der Definition auf die Evangelien zu reduzieren.

Da haben die Evangelien keine andere Stellung als die anderen neutestamentlichen Bücher. Sie sind nicht historischer, und v.a.: Der Wert einer Überlieferung bemisst sich nicht nach ihrer Historizität.

Habe ich das bei den Ev jemals behauptet? Du hast meine
Argumentation einfach nicht verstanden.

Der Glaube an die Wahrheit, die in der Bibel steckt, ist nicht der Glaube „So ist es gewesen“, sondern der Glaube „Das erschließt mir die Wirklichkeit“.

Ich bezog mich auf Jesus-Worte, nicht auf irgendwelche
Ereignisse. Auch das hast du übersehen.

Und meine Argumentation bezog sich auch auf die Jesus-Worte. Du hast meine Argumentation einfach nicht verstanden… Musst Du auch nicht.

Viel Spaß noch,

Jule

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Hallo Ch’an,

ich kann und will Dich nicht daran hindern, Dir eine Definition von Christentum zurechtzubasteln, die nicht nur Ekklesiologie und Christologie ignoriert (angefangen mit Paulus), aber dafür Deiner Argumentationslinie dient. Es gibt genug Leser hier, die eine untergeschobene petitio principii nicht erkennen oder denen sie egal ist, wenn nur das Ergebnis ideologisch ‚stimmt‘. Viel Spass mit denen - ich bin aus der Diskussion wieder mal 'raus.

Freundliche Grüße,
Ralf

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