Guten Tag.
Kann es sein, dass ihr hier alle überseht, dass […]
Nein.
Schulsysteme mit Gesamtschule
Nochmal. Gesamtschule ist ein irreführender Begriff. Die westdeutsche Gesamtschule ist ein gescheiterter Gegenentwurf zur ostdeutschen Einheitsschule und hat nicht viel mit den integrierten Schulen anderer Länder zu tun. Das gegliederte Schulsystem bleibt in der Gesamtschule bestehen:
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Es existiert, wie im gegliederten Schulsystem, äußere Differenzierung, die, wie im gegliederten Schulsystem, vertikal organisiert ist.
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Es existiert, wie im gegliederten Schulsystem, fast keine innere Differenzierung und der Unterricht ist, wie im gegliederten Schulsystem, nur auf homogene Lerngruppen zugeschnitten.
Das ist wieder der gleiche Stumpfsinn, der alte Mist im neuen Gewande.
(homogene Lerngruppen; dauerhafte, institutionalisierte Trennung und Frühauslese)
Das Wortungetüm für dieses Konzept heißt „kooperative Gesamtschule“.
sondern auch die schlechtesten?
Interessant ist vielmehr, daß die integrierten Schulsysteme derjenigen Länder schlechter als das gegliederte Schulsystem liegen, die entweder ein beträchtliches Gefälle zwischen arm und reich aufweisen, oder die ausgeprägt Privatschulen zulassen.
Das erschütternste Beispiel aus jüngerer Zeit ist hierfür das Bildungssystem der Sowjetunion, heute Russische Föderation und vormals Sowjetrepubliken. Die sowjetische Schule hatte eine beträchtliche Höhe in Mathematik und Naturwissenschaften. Mit dem Zusammenbruch am Anfang der 90er löste sich auch die Einheitsschule auf und wurde in eine horizontal gegliederte, integrierte Schule umgewandelt. Seitdem ist das Bildungsniveau in Osteuropa im Abwind, weil vor allem die Privatschulen die öffentliche Schule ausbluten.
Die betuchten Kreise entziehen sich der staatlichen Schule, so daß das Schulsystem dort arbeitet wie das deutsche Schulsystem bis ins 20. Jahrhundert, weil die Privatschule die gesellschaftliche Abschottungsfunktion des Gymnasiums einnimmt.
Die Schulsysteme der entsprechenden Länder sind somit recht nahe am Niveau, wie es vom gegliederten Schulsystem im 19. Jahrhundert und zu Zeiten der Weimarer Republik zu vermuten ist.
Es bestreitet niemand, das Unterrichtsbedingungen wichtig sind, aber die Strukturfrage ist eine sehr, sehr wichtige Frage. Die Konservativen wollen das kaputte System mit Unmengen Arznei und Maschinerie künstlich am Leben erhalten, obwohl der Sprung zur Gemeinschaftsschule objektiv sinvoller wäre. Und um das durchsetzen zu können, muß man natürlich die Frage nach der Schulstruktur kleinreden und den Menschen fälschlicherweise vermitteln, daß es dringlichere Probleme gäbe.
In Wirklichkeit ist die Frage, wie Schule institutionell organisiert werden soll, die wichtigste Frage überhaupt – denn die Schulstrukur ist immer da. Sämtliche bildungspolitischen Handlungen spieleb sich auf der Grundlage der Schulstruktur ab; die Schulstruktur ist wie die Hintergrundaufbauten im Theater oder wie die Leinwand im Lichtspielhaus; die Schulstruktur ist fragmentarisch in allem vorhanden, sie beeinflußt den Schulalltag und die schulische Bürokratie gleichermaßen; die Schulstruktur definiert Randbedingungen und bestimmt die Grenze der schulischen Möglichkeiten.
Schon dieser kybernetischen Analyse folgend ist das gegliederte Schulsystem der Gemeinschaftsschule völlig unterlegen.
Die Gemeinschaftsschule dagegen vermag die eigentlichen Probleme
sehr gut zu lösen und besser als das gegliederte Schulsystem.
Es beginnt schon damit, daß viele strukturelle und bürokratische Probleme, die das gegliederte Schulsystem sich selbst schafft, nicht entstehen.
[…] noch wird die so wichtige individuelle Förderung der Schüler erleichtert.
Das Gegenteil ist richtig.
Um es drastisch zu formulieren:
Die Doofen bleiben immernoch doof und die Klugen klug.
Nein.
Das faseln die Konservativen in Westdeutschland immer nur, während das Gegenteil gut untersucht ist.
[…] dass besser betuchte Familien ihre Kinder dann in Privatschulen geben
Privatschulen verbieten.
Warum dann zum Beispiel Finnland mit seiner Gesamtschule so viel
besser ist als Deutschland?
Finnland hat keine Gesamtschule.
Das liegt meiner Meinung nach nicht am System an sich in Finnland
Die Finnen sehen das anders und verweisen auf die DDR.
sondern den - verglichen mit Deutschland - traumhaften Bedingungen
mit sehr kleinen Klassen und gut ausgebildeten Lehrern. Hätten wir
das auch in Deutschland, wären wir, davon bin ich überzeugt gerade
MIT dreigliedrigem Schulsystem Weltspitze.
Nein, das ist ja das Paradoxe.
Deutschland betreibt genau die schulische Infrastruktur, die seit Anbeginn der Zeit großkotzig behauptet, die deutschen Kinder in ihren Talenten und Begabungen optimal zu bilden und auf diese Weise unübertroffene Spitzenleistungen zu entwickeln.
Nur die blöde Wirklichkeit begreift es nicht und sperrt sich gegen den Fieberwahn der erzkonservativen Selektions- und Separationsmaschinerie.
Deutschland hat im internationalen Vergleich die homogensten Lerngruppen und verschwendet größte Mühe, um die Ressourcen im Bildungssystem wie kein anderes Land auf homogene Lerngruppen zu verteilen. Trotzdem keine Erfolge.
Außerdem ist Dir nicht bewußt, daß sich die Finnen die „traumhaften Bedingungen“ aus der DDR abkupferten. Die Finnen bewunderten bei ihren Besuchen Anfang der 70er die kleinen Schulen, die Klassengrößen, die materielle Ausstattung, die Organisation des Schullebens, die handwerkliche Herangehensweise der Lehrer, das Konzept der Nachmittagsbetreuung, die Schulhorte usw.
Und lustigerweise zeigte die DDR noch nichtmal ihre Vorzeigeschulen wie z.B. die weltberühmte Heinrich-Hertz-Oberschule, weil in der Zeit das Schulsystem extrem umgebaut wurde und man „notgedrungen“ den Finnen 08/15-Schulen zeigen mußte.
Und was ist denn einfacher? Die Unterrichtsbedingungen und das Lehrerstudium für eine Schule zu reformieren, oder sämtliches Zeug wieder und wieder und wieder und wieder und wieder für vier oder mehr Schulen zu entwerfen?
Und welche Unterrichtsbedingungen überhaupt?
Meinst Du Unterrichtsmittel, die materielle Ausstattung, die Schulgebäude?
Oder meinst Du, daß die bevorzugten Gymnasien diesbezüglich ihre Sonderstellung verlieren sollten?
Was ist mit dem gerne vergessenen Schulnetz?
Gehört für Dich eine wohnortnahe Schule, die das stundenlange Busfahren vermeidet, zu den traumhaften Bedingungen?
Wie sieht es mit den für die Kinder und eine glückliche Kindheit so unendlich wichtigen „stabilen Verhältnissen“ aus?
Sind es für Dich traumhafte Bedingungen, wenn Kinder nach der 4. Klasse zerwürfelt werden in anderen Schulen?
Was ist mit Turnhallen? Schwimmhallen? Schulgärten? Obrservatorien?
In vierfacher Ausfertigung? Auch für die Restschulen (Hauptschulen)?
Ein begabtes Arbeiterkind kommt heutzutage mit größter
Wahrscheinlichkeit auf das Gymnasium.
Versagen der Eltern
Das ist falsch.
Vor allem in den Bundesländern, die das gegliederte Schulsystem mit größter Härte verteidigen, ist die Chancenungleichheit am größten, so daß minderbegüterte Kinder übervorteilt werden.
Darüber hinaus ist der Verweis auf die Eltern ein primitives Ausweichmanöver und der Versuch, das Versagen des staatlichen Schulwesens zu rechtfertigen.
Bräche dem Schulsystem ein Zacken aus der Krone, die Eltern aktiv einzubinden in den staatlichen Bildungs- und Erziehungsprozeß?
Die Unterschicht ist doch gerade wegen des gegliederten Schulsystems abgestürzt. Wie will ein Schulsystem langfristig die Einstellung zu Bildung zum Guten wenden, wenn es sich aus seiner Erziehungsfunktion stiehlt, seine Aufklärungsfunktion ignoriert und sich aus den Familien zurückzieht?
Viele Grüße