erstens einmal war mein Beitrag nicht „leidenschaftlich“,
OK, wenn es dir besser gefällt, dann nenne es engagiert. Das ist - zumindest aus meiner Sicht - nichts nachteiliges!
sondern ich habe die Rechtslage dargestellt und klar gemacht,
dass eine Urteilsschelte hier unangebracht ist weil das
Landgericht Köln eben aufgrund dieser Rechtslage gar nicht
anders urteilen konnte , als es getan hat.
Da bin ich mir nicht so sicher, allerdings bin ich auch juristisch nur ein klein wenig befleckt. Lediglich zum Thema, dass eine Körperverletzung plötzlich keine ist, nur weil sie im religiösen Kontext passiert, habe ich eine eindeutige Meinung, die sich mit deiner deckt.
Zweitens gilt diese
Rechtslage natürlich auch für die von Dir genannten Fälle -
aber hier befinden wir uns nicht im Brett ‚Allgemeine
Rechtsfragen‘ oder ‚Unterricht und Erziehung‘ sondern
‚Religionswissenschaft‘ und diskutieren eine
religionssoziologische Frage.
Das ist mir bewusst.
Hier gilt derselbe Hinweis. Außerdem geht es zumindest bei mir
definitiv nicht um „contra Religion“ sondern um das spannende
Thema Konflikte zwischen archaischen religiösen Anforderungen
und Geboten einerseits und staatlich garantierten Menschen-
und Grundrechten andererseits.
Aber um für dieses Mal auf Deinen Versuch, die Diskussion in
einen offtopic-Bereich zu drängen (mutatio controversiae
heisst dieser eristische Taschenspielertrick) einzugehen,
Das ist eine - nicht sachgemäße und unsachliche - Unterstellung! Ich wollte mitnichten und habe nicht die Diskussion in einen Offtopicbereich drängen! Eigentlich sogar das Gegenteil.
stelle ich einfach mal die Umkehrfrage: würdest Du Eltern, die
ihre Kleinkinder mit einem Piercing ‚verschönern‘, genauso in
Schutz nehmen wie die, die ein 8 Tage altes Baby beschneiden
lassen -
Ich habe hier doch nirgendwo in Schutz genommen. Lies doch noch einmal genau nach, was ich geschrieben habe. Ich habe mich sogar von der Beschneidung distanziert!
die Rechtslage ist völlig dieselbe -
auch Eltern, die ihre Kinder mit Piercings oder Tattoos
schmücken wollen, tun dies in dem subjektiven Glauben, dass
dies für ihre Kinder von Vorteil ist.
Die Rechtslage ist nicht dieselbe - zumindest nicht derart, dass mir nicht bekannt ist, dass das Piercing von Kindern als rechtswidrig eingestuft wird. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren.
Um nun aber nicht ganz vom Boden der Realität abzuheben - wann
hast Du das letzte Mal einen gepiercten oder tätowierten
3-,4-,5-Jährigen gesehen?
Fast täglich?! Wenn man unter Piercing (das habe ich so weit gefasst) auch den Ohrlochstecker versteht in jedem Fall. Hier laufen aber in Berlin auch gepiercte 6-Jährige rum. Alleine bei der Einschulungsfeier kürzlich von Freunden waren auf dem Klassenfoto 3 Jungs und 5 Mädels mit solchen Steckern -von 23 Kindern. Das ist ein Drittel - ich finde die Quote heftig.
Möglicherweise bin ich als jemand,
der auf dem Land lebt, nicht so ganz auf dem Laufenden - aber
ich gehe mal davon aus, dass
a) kein Tätowierer, der noch bei Trost ist, einen solchen
Auftrag annehmen würde, weil die daraus entstehenden
Rechtsfolgen keine Versicherung tragen würde (wenn schon nicht
aus naheliegenderen Gründen) und
b) das Jugendamt, sobald es davon Wind bekäme, die Kinder aus
der Obhut der Eltern nähme - zumindest aber ein paar ernste
Worte mit ihnen sprechen würde. Zu Recht, wie ich finde - und
das ist jetzt nicht nur juristisch gemeint.
Da bist du aber im Irrtum. Nun nicht, was Tattoos bei 10-Jährigen angeht, aber bei 12, 13, 14-jährigen schon. Gleiches gilt für entsprechende Schönheitsoperationen. Bei letzterem ist mir allerdings bekannt, dass es - ähnlich wie bei der Beschneidung - zumindest unter Medizinern eine solche Diskussion gibt.
Nicht, dass ich missverstanden werde, ich bin nicht pro
Zirukumzision eingestellt. Aber die Diskussion sollte auf der
richtigen Eben geführt werden.
Und diese „Ebene“ wäre nun welche?
Die Ebene ist die, dass der Aspekt, den ich heuchlerisch nenne, unterbleibt. M.E. kann nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. S.u.
Dazu gehört, dass ein Cool-Sein
oder die Realisierung eines Schönheitsideals (ggf. gar eines
der Eltern, was noch nicht einmal das des Kindes ist) mit
Sicherheit niedriger zu werten ist als die Religionsfreiheit
Das ist eine polemische Verzerrung. Es geht nicht um
„Cool-Sein oder die Realisierung eines Schönheitsideals“
sondern um das elterliche Recht auf Pflege und Erziehung der
Kinder, in das da ggf. eingegriffen wird. Auch ein Grundrecht,
lies mal Art. 6 GG.
Verstehe ich richtig, du findest, wenn Chantal oder Jaqueline mit 3 ein Ohrloch gesteckt bekommen, ist das Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder betroffen?
Deine Perspektive scheint mir da doch etwas
verschoben.
Ich glaube eher, dass du mich - aus welchen Gründen auch immer (ich wähne welche) in eine völlig verkehrte Schublade steckst.
Die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit
ist eben nicht die Freiheit, die Religion bzw. religiöse
Erziehung Anderer - und sei es die der eigenen Kinder - aus
eigenem Recht zu bestimmen.
Das habe ich nirgendwo behauptet.
Religionsfreiheit im Sinne des Grundgesetzes ist sowohl
positiv als Recht, eine Religion in freier Entscheidung zu
wählen, als auch negativ als Recht, keine Religion zu wählen
und von religiöser Erziehung unbehelligt zu bleiben, bestimmt.
Dieses Grundrecht auf negative Religionsfreiheit dürfen Kinder
unter 12 Jahren nicht selbst ausüben und als Ausfluss des
Grundrechtes auf Erziehung wird Eltern gestattet, das
Grundrecht auf Religionsfreiheit als gesetzlicher Vertreter
ihrer Kinder stellvertretend auszuüben.
Soweit so gut.
Bei der Bestimmung der religiösen Erziehung durch die Eltern
wird von diesen also nicht das Recht auf Religionsfreiheit in
Anspruch genommen sondern das Erziehungsrecht.
Das sieht allerdings das LG in seiner Begründung nicht so - oder habe ich gerade ein Brett vor dem Kopf?
„Ihre Religionsfreiheit und ihr Erziehungsrecht würden nicht
unzumutbar beeinträchtigt, wenn sie gehalten seien abzuwarten, ob sich
das Kind später selbst für eine Beschneidung entscheidet.“
Diesem wird
hier Vorrang vor dem Recht der Kinder auf negative
Religionsfreiheit gegeben.
Weißt du mehr? Hat das Gericht überhaupt die negative Religionsfreiheit geprüft? In dem, was ich vom Gericht gelesen habe, stand davon nichts.
Wenn hier im Zusammenhang mit der in Frage stehenden
Gerichtsentscheidung von Religionsfreiheit die Rede ist, dann
sollte man sich bitteschön erst einmal vor Augen halten, dass
es nicht um die Religionsfreiheit der Eltern geht - diese wird
nämlich in keinster Weise eingeschränkt - sondern um die
Religionsfreiheit der Kinder.
OK, Brett weg - hier hast du es klarer formuliert und deckt sich auch mit meinem Stand.
Dieses Recht nehmen die Eltern
lediglich stellvertretend wahr. Darüber zu wachen, dass sie
dies verantwortlich und nicht missbräuchlich, also nicht im
eigenen Interesse sondern im wohlverstandenen Interesse der
Kinder tun, ist Aufgabe des Staates.
Bingo. Bis dahin sind wir eins. Und mit der - ich denke mal da gehst du mit - Grundannahme, dass damit immer auch eine Abwägung verschiedener Güter verbunden ist, jetzt erst einmal kurz Schnitt.
Und auf der anderen Seite steht das Thema Körperverletzung und der Umgang mit anderen Körperverletzungen. Körperverletzungen, die (gesellschaftlich, juristisch) geduldet sind, obwohl ihnen kein so hohes Gut wie die Religionsfreiheit entgegen steht.
Und genau das sind die Stränge, die ich gemeint habe.
Genau das ist das Argument, was man z.B. auch von den
Befürwortern und insbesondere den Befürworterinnen der
Mädchenbeschneidung hört.
Wenn ich das Argument der Stigmatisierung anführe, mache ich es mir doch nicht zu eigen!
Weshalb ich dieses Argument aber angeführt habe ist etwas ganz anderes: Hier ist von körperlichem Schaden die Rede. Es gibt aber Rituale in Religionsgemeinschaften, die sind geeignet, seelischen Schaden bei Kindern zu hinterlassen und zwar in einem Ausmaß, bei dem nach meiner Auffassung der mögliche Schaden einer Beschneidung im Vergleich pillepalle ist. (bewusst überspitzt). Was mit da so durch den Kopf geht sind Dinge, wie ich sie sogar in der engeren Familie erleben „durfte“, wo eine Familienangehörige bei den Neuapostolen eingeheiratet hat. Die Kinder, inzwischen alle Erwachsen und z.T. selbst schon Eltern, haben alle eine ziemlichen Knacks davon weg, obwohl sie mit Volljährigkeit (und z.T. früher) ausgetreten sind.
Zu einer sachlichen Diskussion würde m.E. gehören, dass ich - auch und gerade wenn es um die religiösen Aspekte geht - die Abgrenzung zu allen relevanten Randbereichen mache. Dazu gehört, dass ich mir angucke die gesellschaftliche / rechtliche Duldung anderer Körperverletzungen genauso wie die Eingriffsschwelle bei anderen, das Kindeswohl möglicherweise gefährdenden Ritualen, die nicht Körperverletzung im engeren Sinne sind.
Sorry, aber für dumme Ansichten Anderer - zumal wenn sie in
Brettern geäußert werden, in denen ich nicht mitdiskutiere -
bitte ich doch, nicht mich verantwortlich zu machen.
Habe ich das? Nur, weil ich den Aspekt mit hinein gebracht habe, habe ich dich doch nicht dafür verantwortlich gemacht. Zieh mir keine Pantoffeln an, die nicht meine sind - und zieh dir selbst keine an, die man dir nicht gereicht hat.